© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002


Widerstand und Terror
von Gernot Hüttig

Jede Zeit bedarf offenbar des Feindes. Die Annahme, nach dem Ende das Kalten Krieges sei eine Zeit des Friedens angebrochen, war falsch. Doch die Feindschaft scheint sich zu sublimieren. Der neue Feind läßt sich nicht mehr orten. Er haust nicht mehr in einem bestimmten Territorium, sondern "hinter den sieben Bergen". Der Unbewaffnete ist das Ziel des Terroristen. Auf den Gedanken, der Terrorist sei ein Soldat, wird niemand kommen. So stellt sich die Frage, ob der Terrorist ein Partisan ist. Die Frage ist von großer Bedeutung. Denn der Partisan genießt seit einigen Jahrzehnten einen diskutablen Ruf, sogar kriegsrechtlich.

Carl Schmitts Schrift "Die Theorie des Partisanen" erschien 1962, als der Vietnamkrieg tobte, ein klassischer Partisanenkrieg. Schmitt gibt dem Partisanen folgende Merkmale: 1) Der Partisan kämpft irregulär, nämlich ohne Uniform und mit verborgenen Waffen. 2) Er kämpft in einer politischen Front, ist Parteigänger; das Wort Partisan leitet sich von Partei ab. 3) Er ist beweglich, schnell und nutzt das Überraschungsmoment. 4) Er ist abhängig von einem interessierten Dritten, der ihn umso mehr zum Werkzeug seiner Interessen machen kann, als sich der tellurische Charakter des Partisanen verflüchtigt und seine (zugelieferte) Ausrüstung auf dem neuesten Stand der Technik ist. 5) Er ist trotz gesteigerter Mobilität mit dem Boden verbunden, mit der autochthonen Bevölkerung und der geographischen Eigenart. Er will den heimatlichen Raum von einer raumfremden Ordnung befreien, den Besatzer und Unterdrücker vertreiben, seine Statthalter und Kollaborateure entmachten, kurzum ein Recht auf Selbstbestimmung geltend machen. Der antikolonialistische Kampf ist seine Spezialität. Schmitt nennt diese Zielrichtung "tellurisch". Wer sich mit der Herrschaft über ein Territorium begnügt, läßt sich leicht befrieden. Wessen Ziel hingegen global ist, wer die Herrschaft über die Welt anstrebt, bleibt ruhelos. Da Maos Konzeption des Partisanen räumlich begrenzt ist, nämlich auf eine großräumig aufgeteilte Welt zielt, hält sie Schmitt für genuiner als die Lenins und Stalins, deren Ziel die "One World" der klassenlosen Gesellschaft ist. Die räumliche Gebundenheit des Partisanen und die hieraus folgende defensive Art der Feindschaft sind entscheidend für seine Beurteilung des Partisanen.

Inwieweit beschreiben diese Merkmale auch den Terroristen? Daß der Terrorist irregulär kämpft, versteht sich ebenso wie seine gesteigerte Mobilität. Der Terrorist, den jeder vor Augen hat, wenn vom "Kampf gegen den Terror" die Rede ist, ist auch Parteigänger. Die Abhängigkeit des Terroristen von einem interessierten Dritten, vom "Schurkenstaat", liegt auf der Hand. Form und Grad der Abhängigkeit bestimmen gemäß Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen das Recht des von Terroristen angegriffenen Staates, gegen den Unterstützerstaat vorzugehen. Der Angriff der Terroristen muß "unmittelbar" von dem Unterstützerstaat ausgehen. Waffenlieferungen, Finanzierung, Unterschlupfgewährung und logistische Unterstützung reichen nicht aus.

Weniger leicht beantwortet sich die Frage nach dem tellurischen Wesen des Terroristen. Es läßt sich nicht leugnen, daß die großen Partisanenbewegungen vom spanischen Kampf gegen Napoleon bis zum Vietnamkrieg in der Heimat des Partisanen operierten. Auch der Terrorismus findet - worüber man sich durch das spektakuläre Ereignis des 11. September 2001 nicht täuschen lassen darf - sein Feld in der Heimat der Aktivisten. Allerdings trägt er zunehmend den Kampf auf das Territorium des Gegners.

Den klassischen Schauplätzen des Partisanenkrieges ist gemeinsam, daß ihre Beschaffenheit dem technisch unterlegenen und deshalb auf Schlupfwinkel und Unwegsamkeiten angewiesenen Partisanen entgegenkommt. Wälder, Unebenheiten und Höhlen entziehen den Partisanen der Beobachtung. Der Versuch der Entlaubung der vietnamesischen Wälder zeigt den Stellenwert der Landschaft. Doch die Wüste wächst auch geographisch, und die technischen Mittel der Beobachtung sind inzwischen so perfektioniert, daß sie der Partisan immer weniger zu unterlaufen vermag. Der technische Fortschritt läßt sich im Vergleich des russischen Afghanistankrieges mit dem amerikanischen ahnen. Der antikolonialistische Krieg ist inzwischen schlecht angesehen. Der Aufständische ist deshalb gezwungen, den Feind dort anzugreifen, wo er angreifbar ist, nämlich in der Heimat des Unterdrückers selbst.

Diese Verlagerung des Kampfplatzes verändert die soziale Struktur der Aufständischen. Che Guevara konnte noch von einem Kampf der Bauern sprechen. Die Bewegung wie ein Fisch im Wasser ist dem ungebildeten Autochthonen nur im eigenen Land möglich. Im Feindesland hängt der Erfolg davon ab, sich der der Sprache und Lebensweise des Feindes zu bedienen und die Technik zu beherrschen. Der Wandel des Partisanen zum Terroristen steigert das Bildungs- und Ausbildungsniveau.

Es ist von einem Terroristen die Rede, der als Gaststudent oder Gastarbeiter in Feindesland einsickert. Samuel Huntington weist nachdrücklich darauf hin, daß die Zahl derer wächst und nicht etwa abnimmt, die sich ihrer ethnischen und kulturellen Wurzeln entsinnen und keine Integration mehr anstreben. Diese Möglichkeit ist noch kaum in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen. Für diese Desintegrationswilligen aber ist die Heimat nicht mehr räumlich gegeben und bestimmbar. "Freiheit für den Islam" heißt für den Palästinenser etwas anderes als für den Berliner Türken. Ist der Terrorist nicht mehr auszugrenzen, so verwandelt sich der Terror in einen Bürgerkrieg. In einer Welt ohne Grenzen gibt es nur Bürgerkriege. Bürgerkriege aber übertreffen den schlimmsten Nationenkrieg an Grausamkeit. Das Grauen vor dem Terrorismus findet hierin seine Berechtigung.

Verlagert der Terrorist gezwungenermaßen den Kampfplatz in das Land des Unterdrückers, so trifft er auf Zivilisten. So stellt sich die Frage, ob der reguläre Kampf ein unabdingbares Merkmal des Partisanenkampfes ist. Schmitt hat die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß der Partisan Massenvernichtungswaffen in die Hand bekommt. In der Tat verliert die Unterscheidung zwischen Kämpfenden und Nichtkämpfenden zunehmend an Sinn. Wem wirtschaftliche Gesichtspunkte genügen, mag sich mit dem Hinweis auf die Arbeitsteilung der Industriegesellschaft begnügen. Andere werden eine Veränderung des Menschen insgesamt feststellen, wie sie Ernst Jünger beschrieben hat: "Unter allen Wendungen, die im Arbeitsraume zu vollziehen sind, ist die zur Rüstung die bedeutendste. Dies erklärt sich daraus, daß der geheimste Sinn des Typus und seiner Mittel auf Herrschaft gerichtet ist. Es gibt hier kein, und sei es noch so spezielles Mittel, das nicht zugleich Machtmittel, das heißt, Ausdruck des totalen Arbeitscharakters ist. Dieses Verhältnis tritt im Bestreben des Krieges hervor, sich aller, auch der ihm scheinbar fernliegenden Gebiete zu bemächtigen. Ähnlich wie der Unterschied zwischen Stadt und Land, tritt hier der Unterschied zwischen Front und Heimat, zwischen Heer und Bevölkerung, zwischen Industrie und Rüstungsindustrie in einen minderen Rang. Der Krieg als ein Urelement entdeckt hier einen neuen Raum, - er entdeckt die besondere Dimension der Totalität, die den Bewegungen des Arbeiters zugeordnet ist." Der moderne Krieg betrifft die gesamte Gesellschaft. Daher konnten im Zweiten Weltkrieg die Angloamerikaner Städte und Einwohner verpulvern. Was dem regulär Kämpfenden zusteht, wird man dem irregulär Kämpfenden kaum versagen können. Bezeichnenderweise nehmen die USA beim Verzicht auf den Einsatz nuklearer Waffen die Terroristen und "Schurkenstaaten" aus und machen damit keine Unterscheidung zwischen Kämpfenden und Nichtkämpfenden.

Ein Zwischenziel des Partisanen ist nach Schmitt die Zerrüttung der sozialen Ordnung. Gemeint ist damit die soziale Ordnung der eigenen Heimat, wo der Partisan kämpft. Die eigene Bevölkerung soll dem Schutz des Unterdrückers entzogen und damit gezwungen werden, den Schutz des Partisanen zu suchen. Der im Land des Unterdrückers Wirkende vermag auf die soziale Ordnung seiner eigenen Heimat nicht einzuwirken. Umso größer ist die Möglichkeit, die soziale Ordnung im Land des Unterdrückers zu stören. Der Partisan im Land des Unterdrückers ist nicht nur außerstande, der Bevölkerung im Land des Unterdrückers eine neue Ordnung anzubieten, sondern er bezweckt dies auch nicht.

Im klassischen Partisanenkrieg greifen am Ende auf Seiten des Partisanen reguläre Kämpfer ein. Den heutigen Unterdrücker bewahrt seine absolute technische Überlegenheit vor einem Angriff regulär Kämpfender in dem von ihm unterdrückten Land. Jedoch kosten ihn die im eigenen Land empfangenen Stöße möglicherweise am Ende so viel, daß sich die Fortsetzung der Unterdrückung nicht mehr lohnt. Der Rückzug der Aggressoren aus Somalia war ein Rückzug unter diesem Gesichtspunkt.

Terrorist und Partisan unterscheiden sich deshalb im wesentlichen nicht. Der Terrorist ist vielmehr der Partisan unter veränderten Bedingungen. Er kämpft den Kampf gegen die Vereinheitlichung. Es ist der Freiheitskampf unserer Zeit. Gegner des Terroristen sind alle diejenigen, die eine "One World", also die politische Einheit der Erde und der Menschheit, anstreben. Hier darf man sich nicht von "terroristischen Lebensläufen" täuschen lassen. Es gibt einen nur am Mittel interessierten Scheinterrorismus, der sich gegen die Vielgestaltigkeit der Welt richtet und deshalb auch gegen die Gestalt der eigenen Heimat.

Der Terrorismus rebarbarisiere den Krieg, ist zu hören. Damit wird dem Terroristen ein vertretbares Ziel zugebilligt, aber eine Verletzung der Spielregeln zur Last gelegt. Der Vorwurf ist berechtigt, sofern nicht vergessen wird, daß es der Unterdrücker ist, der die Spielregeln aufgestellt. Der nichtbarbarische Krieg, der gehegte, wie er im 18. und 19. Jahrhundert in Europa, und nur dort, in Blüte stand, hatte sich bereits im 20. Jahrhundert überlebt. Ein Krieg, in dem man die Städte des Feindes auslöscht, ist nicht länger gehegt, was immer an der eigentlichen Front sich an Resten der Ritterlichkeit erhalten haben mag.

Allerdings war den Amerikanern dank ihrer geographischen Lage und materiellen Überlegenheit der nichtgehegte Krieg am eigenen Leib immer erspart geblieben. Für Kriege außerhalb des europäischen Kulturkreises, insbesondere für Kolonialkriege, galt das Gesetz der Hegung ohnehin nie. Der Partisanenkrieg war beiderseits stets ein barbarischer Krieg. Der Übergang des Partisanenkrieges zum Terroristenkrieg und damit die Verlagerung des Kriegsschauplatzes reimportiert nun jenen Krieg in das Land des Unterdrückers. Dieser ist gezwungen, Formen des Kolonialkriegs im eigenen Land zu praktizieren. So verwundert es nicht, daß ein führender Jurist der USA vorschlug, die Familienangehörigen von palästinensischen Selbstmordattentätern zu Abschreckungszwecken zu töten. Der Terroristenkrieg vermehrt nicht etwa den Terror, sondern verteilt ihn ein wenig um.

Ungern wird zur Kenntnis genommen, daß von dem Reimport des Terrors nur wenige Staaten betroffen sind. Es sind dies vorwiegend Staaten, deren Existenz auf die Ausrottung und Vertreibung der autochthonen Bevölkerung gegründet ist. Der Terrorismus scheint ein Echo zu sein. Hier zeigen sich zwei Arten von Feindschaft. Die von Schmitt sogenannte wirkliche Feindschaft - wirklich, weil sie sich von der spielerischen der europäischen Kabinettkriege des 18. Jahrhunderts abhebt - kennt keine Grenzen. Sie ist nur auf die Verdrängung des Unterdrückers, also die Befreiung der Heimat, gerichtet, nicht auf die Vernichtung des Gegners. Die Geschichte hat Schmitt zur Modifizierung seines "Begriff des Politischen" gezwungen. Sie hat ihn mit einer weltanschaulichen, quasi-religiösen Feindschaft konfrontiert. Diese absolute Feindschaft kommt erst mit der Vernichtung des Gegners zur Ruhe. Sie ist Ausdruck der Diskriminierung des Gegners, der wesensmäßig als das Böse, der "Schurke" begriffen wird. Die Diskriminierung wiederum folgt der Veränderung der Waffen zu reinen Vernichtungsmitteln. "Solche Vernichtungsmittel erfordern den absoluten Feind, wenn sie nicht unmenschlich sein wollen. Die Menschen, die jene Mittel gegen andere Menschen anwenden, sehen sich gezwungen, diese anderen Menschen, das heißt ihre Opfer und Objekte auch moralisch zu vernichten. Sie müssen die Gegenseite als Ganzes für verbrecherisch und unmenschlich erklären, für einen totalen Unwert. Sonst sind sie eben selber Verbrecher und Unmenschen", erklärt Carl Schmitt. Der Herr der "One World" verfügt damit nicht nur über die technisch überlegenen Waffen, die auf die Vernichtung der Massen zielen, sondern auch über die dazugehörige Ideologie. Seine Strategie ist die der "präventiven defensiven Intervention", das heißt der gezielten Offensivschläge, auch mit Nuklearwaffen. So stehen sich im Kampf gegen den Terrorismus ein von beschränkter und ein von absoluter Feindschaft beseelter Gegner gegenüber.

Die Partisanenkriege des 20. Jahrhunderts haben dem Partisanen zunehmend Siege gebracht. Der Terrorist könnte ihn beerben. Er ist nicht automatisch Feind jeder Nation. Sich in einen abstrakten "Kampf gegen den Terrorismus" hineinziehen zu lassen, ohne die Frage nach den Hintergründen zu stellen, ist politisch nicht die intelligenteste Option.


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