© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Blick in die Medien
Zeitkonto
Ronald Gläser

Die Reflexion des großen TV-Duells sagt mehr über die Zuschauer und Fernsehsender als über Stoiber und Schröder. In Wirklichkeit war das Zusammentreffen des Kanzlers und seines Herausforderers doch die langweiligste Versuchung, seit es Wahlkämpfe gibt. Auf allen Kanälen wurden die Zuschauer mit Blitzanalysen und Umfragen bombardiert. Hier wurde über die Kameraeinstellung debattiert, dort über den Sexappeal der Kontrahenten. Den Gipfel der Banalität bestieg Sat1 mit der ersten Einschätzung der jeweiligen Partei-Generalsekretäre, Meyer und Müntefering. Kann von den zwei Wahlkampfstrategen Objektivität erwartet werden? Wohl kaum. Die taz widmete ihre gesamte Titelseite dem "Sieger": Sie erschien vollständig mit der schönen Wortschöpfung "Zeitkonto" bedruckt. Für die Medien ist eine Fernsehdiskussion ein Spektakel, das Einschaltquoten verspricht. Deswegen stürzen sie sich darauf. In Amerika nutzen die Sender die landesweiten Vorwahlen zu nicht enden wollenden Berichten. Spekulationen, wer in welchem Staat vorne liegt, liefern den Stoff für Tausende Sendestunden. Aber auch hier sind die Diskussionen der Kandidaten langweilig. Der amerikanische Kolumnist Pat Buchanan hat es auf den Punkt gebracht. Die Amerikaner hatten zwei Präsidentschaftsbewerber (Gore und Bush). Der eine wollte etwas mehr für das Gesundheitssystem tun, der andere wollte drei Prozent niedrigere Steuern. Zwischen Stoiber und Schröder finden sich ebenfalls nur marginale Differenzen. Die Zuschauer werden es bei künftigen Duellen mit Umschalten quittieren. 


 
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