© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   38/02 13. September 2002


Die nationale Karte

Wie Kanzler Schröder mit der Irak-Frage die Wahlen zu gewinnen versucht
Dieter Stein

Kurz bevor der Himmel Bundeskanzler Schröder die Flutkatastrophe und damit unfreiwillig die Rolle des rettenden Deichgrafen schenkte, gaben die Meinungsforscher unisono die Bundestagswahl für Rot-Grün verloren. "Die Wahl ist gelaufen", hieß es noch Ende Juli. In dieser Lage zog Schröder mit dem pathetisch ausgerufenen "deutschen Weg" die nationale Karte aus dem Ärmel. Die SPD spielte den außenpolitischen Joker aus, der von einer Regierung im Poker des Wahlkampfes gebracht wird, wenn sie innenpolitisch in eine aussichtslose Situation gerät.

Und in einer solchen völligen Defensive befindet sich Rot-Grün mit über vier Millionen Arbeitslosen und einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit Jahrzehnten, deren Umstände überwiegend nicht auf "weltwirtschaftliche Entwicklungen" zurückzuführen sind, wie die SPD ständig zu rechtfertigen sucht. Schröder blieb also gar nichts anderes übrig, als auf das für ihn ungeliebte Feld der Außenpolitik auszuweichen.

Seit Anfang August radikalisierten sich so die Äußerungen Schröders zielgerichtet bezüglich eines möglichen Angriffs der USA auf den Irak. Hatte man noch Wochen zuvor eine auf UN-Resolutionen gestützte militärische Durchsetzung der Forderung nach Einlaß von UN-Inspektoren in den Irak unterstützt, heißt es nun apodiktisch seitens des Kanzlers: "Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer Intervention im Irak nicht beteiligen."

Doch dabei blieb es nicht. Nachdem die SPD-Wahlkämpfer bei ihren Auftritten und nach neuesten Umfragen freudig die Erfahrung machten, welche Zustimmung sie von den Deutschen für eine strikte Absage an einen neuerlichen riskanten Militäreinsatz erhalten, wurden alle Hemmungen fallengelassen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler, der das Amt von Verteidigungsminister Peter Struck erst kürzlich übernommen hat, lieferte die saftigsten neo-nationalen Stilblüten aus dem Regierungslager: "Bush benimmt sich so, als sei er der Princeps Cäsar Augustus und Deutschland die Provinz Germania", es könne nicht sein, daß Bündnispartner als "Verfügungsmasse" behandelt würden. Über den US-amerikanischen Botschafter in Berlin, Daniel Coats, der die Bundesregierung wegen ihrer ablehnenden Äußerungen kritisiert hatte, tönte Stiegler: "Herr Coats ist kein Botschafter Abrassimow." Abrassimow war Botschafter der Sowjetunion in der DDR und hatte Ost-Berlin Moskaus Forderungen in die Feder diktiert.

Schröder selbst erinnerte in einer Pressekonferenz in bislang bei einem Bundeskanzler nicht gekannter Kälte in bezug auf das Verhalten der USA gegenüber Deutschland: "Konsultationen kann nicht heißen, daß ich zwei Stunden vorher einen Anruf bekomme und gesagt wird: 'Wir gehen rein.'" Schröder entgegnete seinen Kritikern, die ihm eine Gefährdung der "deutsch-amerikanischen Freundschaft" vorhalten: "Alles andere wäre Unterordnung und nicht Freundschaft." Es sei nicht das Wesen einer Freundschaft, daß die eine Seite sage, was sie wolle, und die andere Seite "die Hacken zusammenklappt".

Markige Worte allesamt, die aus Berlin zu hören sind. Gut, daß sie einmal so offen ausgesprochen und erste Übungen in der Wahrnehmung und Demonstration nationaler Interessen in aller Öffentlichkeit vollzogen werden. Auch anhand der gemessenen Zustimmung wird deutlich, daß die Deutschen schon lange erwarten, daß eine Führung nationale Interessen artikuliert und verteidigt. Einer Emnid-Umfrage zufolge teilen 71 Prozent der befragten Bürger die Haltung des Kanzlers, den Einsatz deutscher Truppen gegen den Irak abzulehnen. Insbesondere im Osten hofft die SPD, damit die auf Anti-Kriegs-Kurs setzende PDS abdrängen zu können.

Aber: Die Botschaft hört man wohl, allein, es ­­fehlt der Glaube. Es darf bezweifelt werden, ob hinter den markigen nationalen Tönen aus dem Schröder-Lager wenig mehr steckt als ein pfiffiger Wahlkampf-Schachzug. Die US-Regierung läßt deshalb vielsagend verlauten, sie werde es vermeiden, den Ausgang der Bundestagswahl mit Kommentaren zu Äußerungen Schröders und Stoibers zu beeinflussen.

Überrollt wurde durch das Spielen der nationalen Karte die traditionell amerika-unkritische Union: Kanzlerkandidat Stoiber hat erst nach anfänglichem Schlingern versucht, die außenpolitische Initiative Schröders ins Leere laufen zu lassen, wobei ihm sein Kompetenz-Experte für Sicherheits- und Außenpolitik, Wolfgang Schäuble, immer wieder Knüppel zwischen die Beine warf. Stoiber vollzog zunächst mehr oder weniger die Positionen der Regierung nach und verkündete jeweils ebenfalls, die Opposition wolle keinen Angriff auf den Irak. Schröder hat deshalb seine Positionen so lange verschärft, bis der Dissens zwischen Stoiber und ihm offen zutage trat. Die Union erklärt nun, daß, um eine "Drohkulisse" gegen Saddam Hussein aufrecht erhalten zu können, ein militärisches Vorgehen - aber nur unter UN-Mandat - nicht ausgeschlossen werden dürfe.

CSU-Landesgruppenchef Michael Glos äußerte Anfang der Woche nicht zu Unrecht Zweifel, ob Schröder sein striktes Nein nach der Wahl durchhalten könne. Glos wirft ihm Unglaubwürdigkeit vor, denn Schröder lasse schon Signale streuen: "Nach dem 22. September ist alles anders." Es drängt sich so der Eindruck auf, daß Schröders "deutscher Weg" ein "ungeheuer widersprüchliches, durchsichtiges Manöver ist" (Glos) - nämlich dann, wenn den hehren Worten keine Konsequenzen folgen. Was ist beispielsweise mit einer finanziellen Beteiligung Deutschlands an einem möglichen neuen Golfkrieg? Franz Müntefering hat dies jetzt ausgeschlossen. Er erklärte, die deutsche Ablehnung heiße "nicht nur, daß wir nicht mit Soldaten, sondern daß wir nicht mit Geld dabei wären". Auf dieses Versprechen wird man sicher später einmal zurückkommen müssen.

Und was ist mit den in Deutschland stationierten US-Soldaten, den US-Flughäfen, Waffen und Material? Hier hält sich die deutsche Regierung bedeckt. Sie ist durch Stationierungsverträge gebunden. Immerhin hat der rechtspolitische Sprecher der Grünen erklärt: "Sollte Deutschland eine Unterstützung des Irak-Angriffs ablehnen, darf es auch keine indirekte Unterstützung geben, etwa durch Start- und Landerechte für die Amerikaner." Ein Verbot von Überflugrechten und das Versagen von Startgenehmigungen für US-Flieger wäre eine politische Bombe für die Nato.

Der als nationaler Tiger abgesprungene Bundeskanzler wird, falls er die Wahl gewinnt, als Bettvorleger Bushs landen, wenn hinter den nationalen Tönen kein ernsthaftes Konzept steht, das in eine Emanzipation Europas von den USA mündet. Ansonsten wurde nicht Deutschland genützt, sondern geschadet.


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