© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Ohne Verläßlichkeit
Die Verschiebung der Steuerreform wirkt sich für die meisten schädlich aus
Bernd-Thomas Ramb

In der Euphorie des Mitleids mit den Flutopfern der Elbeüberschwemmung werden Stimmen gegen die geplante Verschiebung der Steuerreform schnell als herzlos und unsolidarisch abgestempelt. Das mutige "Nein, so nicht" der FDP ragt deshalb ebenso deutlich heraus, wie das "Eigentlich eher nicht, aber wir wollen nicht hartherzig erscheinen" der CDU/CSU peinlich wankelmütig wirkt. Die Koalitionsbedingung der FDP, nur mit einer Partei zusammengehen zu wollen, die die Verschiebung der Steuerreform widerruft, ist ebenfalls so respektabel, wie sie den Katalog der potentiellen Bündnispartner drastisch reduziert - nämlich auf eine halbe Variante. Die SPD dürfte sich kaum auf diese Kehrtwende ihrer Finanzpolitik einlassen. Zu verführerisch ist der politisch korrekt benebelnde Duft der sozialen Anständigkeit des Verschiebungsvorhabens.

Der scheinbar unvermeidbare Drang zur beflissenen Zustimmung zum Vorschlag des Bundesfinanzministers, die Steuersenkung um ein Jahr zu verschieben, hat selbst die Arbeitgeberverbände angesteckt. Größte Verärgerung rief dabei der vorauseilende Kotau des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervor. Trifft eine verschobene Steuersenkung doch vor allem den Mittelstand und die kleinen Betriebe, deren Zwangsmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern in unverändert heftiger Diskussion steht. Nun ist die eigene, hoheitlich erzwungene Dachorganisation den Mitgliedsbetrieben in den Rücken gefallen. Der Skandal ist um so größer, als der DIHK kürzlich seine Mißwirtschaft mit einer Schadenssumme von zehn Millionen Euro eingestehen mußte. Diese Zeche dürfen die kleinen und mittleren Betriebe nun auch noch zusätzlich bezahlen. Bei so einer doppelt schlechten Interessenvertretung werden die Firmenpleiten sicher nicht geringer werden, der Unmut aber gewaltig wachsen.

Sowenig Beachtung wie die Sorgenrufe der Wirtschaftsunternehmen finden auch die Bedenken der Wissenschaftler. Diese beziehen sich zunächst einmal auf den quantitativen Effekt der Steuersenkungsverschiebung. Da hat das Institut der Deutschen Wirtschaft in einer jüngsten Studie vorgerechnet, daß die im nächsten Jahr angepeilten Steuermehreinnahmen von 6.6 Milliarden Euro nur zu einem Bruchteil den flutgeschädigten Ländern direkt zugute kommen. Sämtliche ostdeutschen Länder und Gemeinden erhalten gerade einmal 300 Millionen Euro an Mehreinnahmen. Selbst wenn der Bund seinen gesamten Steuerzusatzanteil nur dem Land Sachsen überweisen würde, wären das bloß drei Milliarden Euro. Sachsen hat aber bereits jetzt einen Schaden von über zehn Milliarden Euro berechnet.

Ob die westdeutschen Länder und Gemeinden ihre Steuermehreinnahmen von zusammen 3,3 Milliarden Euro so ohne weiteres an die Elbeanrainer weiterleiten, ist mehr als fraglich. Da dürften zuvor eigene Schadensersatzansprüche befriedigt werden, egal ob durch Hochwasser oder sonstige Naturgewalten hervorgerufen. Die spektakuläre Geldbeschaffungsmaßnahme durch Widerruf eines bereits beschlossenen Gesetzes zur Steuersenkung wird also bei weitem nicht das Volumen an Entschädigungszahlungen finanzieren können, das allerorts vermeldet wird. Der Gegenvorschlag des Wirtschaftsforschungsinstituts, statt dessen die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt für ein Jahr heraufzusetzen, bringt allerdings kaum Verbesserungen. Zwar wären die Einnahmen mit insgesamt 8,2 Milliarden Euro etwas höher, die Verteilungsproblematik auf Bund, Länder und Gemeinden jedoch die gleiche. Weiterhin würde zwar die Steuerlast von den Unternehmen genommen, die Kaufkraft der Konsumenten aber nun im vollen Umfang geschwächt.

Die Kaufkraftschwächung ist dabei das Hauptargument, nicht nur gegen das Alternativmodell der Mehrwertsteueranhebung, sondern auch gegen die Verschiebung der beschlossenen Steuersenkung. Die Argumente für die Steuerreform, die ohnedies in Ausmaß und Konsequenz noch nicht der Weisheit letzter Schluß war, sind durch die Flutkatastrophe nicht hinfällig geworden. Im Gegenteil ist es jetzt wichtiger denn je, die darbende deutsche Volkswirtschaft wieder in die Gänge zu bringen. Das wiederum kann nur durch eine deutliche Anhebung der privat verfügbaren Einkommen erfolgen. Dazu aber sind zunächst einmal die Staatsanteile am erarbeiteten Produktionswert kräftig zu senken. Im Klartext heißt das: Steuern runter und Abgaben runter. Gegenteiliges hat in den letzten zwanzig Jahren eindeutig zum Massensterben der kleinen und mittleren Betriebe und zur bestehenden hohen Arbeitslosigkeit geführt.

Das Zusatzgebot ist die Nachhaltigkeit. Der deutsche Steuerzahler muß sich auf die eingeschlagene Richtung und die vereinbarten Sätze mehrjährig verlassen können. Wenn eine Regierung das Richtige beschließt, diesen Beschluß aber noch vor Ausführung aus nichtigen Gründen verwirft, erzeugt das kein Vertrauen in die Verläßlichkeit der Wirtschaftspolitik. Wenn Wirtschaftspolitik nicht mehr kalkulierbar ist, werden die Konsumenten noch weniger zu Konsumausgaben bereit sein. Die wirtschaftspolitische Unsicherheit, zudem bei sinkenden privaten Einkommen, kann eine Volkswirtschaft bis zum Exitus vergiften.


 
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