© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002


"Neustart für die FPÖ"
John Graf Gudenus, FPÖ-Bundesrat, über die Hintergründe des Wiener Koalitionsbruchs und die Chancen bei den Neuwahlen
Moritz Schwarz

Graf Gudenus, am vergangenen Sonntag sind vier Spitzenpolitiker der FPÖ, darunter die Parteichefin und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser, von ihren Ämtern zurückgetreten. Damit ist die FPÖ-Regierungsriege quasi enthauptet, zerbricht jetzt die Freiheitliche Partei Österreichs?

Gudenus: Nein, im Gegenteil, diese an sich unerfreuliche Krise bereinigt eine Reihe von angestauten Problemen und macht den Weg für einen Neustart der FPÖ frei.

Neustart? Die Nachrichtenagentur APA berichtet von einer "Austrittswelle bei der FPÖ", sie beruft sich dabei auf Quellen aus der Freiheitlichen Partei. Handelt es sich tatsächlich nur um personelle Querelen, oder zieht sich nicht doch eine Bruchlinie durch die FPÖ?

Gudenus: Es gibt sicherlich Spannungen in der Partei, da will ich gar nichts beschönigen, aber von Bruchlinien zu reden, halte ich wirklich für übertrieben. An der Basis wurden bereits Unterschriften für die Einberufung eines Sonderparteitages gesammelt, ein deutliches Zeichen für das Mißbehagen des Parteivolks an der Regierungspolitik, insbesondere an der Politik der freiheitlichen Regierungsmitglieder. Das muß man ernst nehmen.

Eine ganze Reihe von Nationalratsabgeordneten der FPÖ erhebt schwere Vorwürfe vor allem gegen den Landesobmann der Partei im Bundesland Oberösterreich, Hans Achatz. Er habe den Sturz Riess-Passers systematisch betrieben und dazu "die Basis mißbraucht". Und der freiheitliche Landtagsabgeordnete Martin Kreßl hat Jörg Haider sogar öffentlich als "Totengräber der FPÖ" bezeichnet.

Gudenus: Dem stehen aber auch ganz andere Aussagen gegenüber, denken Sie nur an den ebenfalls zurückgetretene FPÖ-Klubobmann Peter Westentahler, also den Fraktionschef der Partei im österreichischen Nationalrat, der Haider auch nach seinem Rücktritt öffentlich das Vertrauen ausgesprochen hat. In der Tat haben in den Ländern Burgenland, Tirol und Vorarlberg die Landesgruppen der FPÖ den Protest gegen die Politik der FPÖ-Ministerriege nicht mitgetragen. Das sind aber allesamt kleinere Bundesländer. In den großen Landesgruppen, etwa in Wien, Kärnten, Oberösterreich oder der Steiermark, hat sich die Basis ganz überwiegend für einen Sonderparteitag ausgesprochen. "Bruchlinie" ist also in jedem Fall ein zu starkes Wort für einen Flügelkampf, wie er in jeder Partei vorkommt.

Dennoch, was die heftigen Anti-Haider-Demonstrationen und der EU-Boykott gegen Österreich nicht erreicht haben, hat die FPÖ nun selbst geschafft: Den vorzeitigen Bruch der Koalition.

Gudenus: Das ist eine harte Formulierung. Die FPÖ hat in den Umfragen der letzten Zeit erhebliche Einbußen erlitten. Gegen diese Entwicklung mußte etwas unternommen werden. Die Parteibasis hat angesichts dessen den "Weiter so"-Kurs einfach nicht mehr schweigend mitgetragen.

Das heißt, die jüngsten Rücktritte stellen eine Art politische Sollbruchstelle der Wiener Koalition dar?

Gudenus: So könnte man das bezeichnen, auch Bundeskanzler Schüssel hat nach eigenem Bekunden den jetzigen Bruch mit der FPÖ nicht aus grundsätzlichen Erwägungen vollzogen, sondern um die Situation zu bereinigen. In seiner Regierungserklärung vom Montag, in der er die Auflösung des Nationalrates für den 19. September und Neuwahlen für den 24. November bekanntgab, hat er erklärt, daß er durchaus bereit sei, nach den klärenden Neuwahlen erneut mit der FPÖ zu koalieren.

Immerhin dürfte der Ruf der FPÖ von nun an ziemlich beschädigt sein, da es ihr nicht einmal gelungen ist, dem Staat wenigstens für eine Legislaturperiode stabile politische Verhältnisse zu garantieren.

Gudenus: Das ist richtig und sicherlich eine Hypothek für die Zukunft. Aber dieser Schaden wiegt weniger schwer als ein mutloses Festhalten in einer krisenhaften Situation. Wir haben jetzt die Möglichkeit durchzustarten und können vielleicht nach den Neuwahlen mit frischem Elan die Reformpolitik beenden, die wir mit dem Antritt des schwarz-blauen Kabinetts im Februar 2000 begonnen haben.

Der Anlaß für den Rücktritt der FPÖ-Spitzenpolitiker war der Streit um die Steuerreform. War es wirklich nötig, wegen dieser Frage die Eskalation zu provozieren?

Gudenus: Die Steuerreform ist seit jeher eines der wichtigsten freiheitlichen Projekte gewesen. Vor unserem Regierungsantritt, also bevor uns klar wurde, wie schlecht es um die österreichischen Staatsfinanzen bestellt war, hatten wir eigentlich eine flattax von nur gut 20 Prozent im Sinn. Heute aber liegt die Staatsquote bei 47 Prozent. Das ist ein Niveau, von dem man unbedingt herunter muß! Eine weitere Verschiebung der Steuerreform, wie von Bundeskanzler Schüssel und den FPÖ-Politikern um Susanne Riess-Passer und Finanzminister Grasser vertreten, war deshalb nicht hinnehmbar. Im übrigen muß man eine Steuerreform sowieso in der Baisse machen, damit die Wirtschaft anspringt.

War aber genau dieser Konflikt nicht von Anfang an programmiert, da die Freiheitlichen im Wahlkampf sowohl eine Steuerreform zur Entlastung der Bürger als auch - mit dem "Nulldefizit" - eine knallharte Sanierung der Staatsfinanzen versprochen haben?

Gudenus: Der Einwand ist berechtigt. Das Nulldefizit ist zweifelsohne ein hehres Ziel. Gleichzeitig aber ist die Null doch eine sehr sterile, ja beinah asoziale Ziffer. Der wirtschaftliche Motor Österreichs stottert derzeit, da war der Einwand Jörg Haiders, erst müsse der Motor wieder rundlaufen, bevor man sozusagen die Spritzufuhr drosselt, recht verantwortungsbewußt.

Aber der Widerspruch war abzusehen, die FPÖ hat also in der üblichen Wahlkampfmanier der Etablierten jedem alles versprochen?

Gudenus: Das Wahlversprechen wurde gemacht in der Annahme, um die österreichischen Finanzen sei es weit besser bestellt, als es tatsächlich der Fall war. Denn natürlich handelt es sich bei den Programmpunkten Nulldefizit und Steuersenkung "von Natur aus" um einen Zielkonflikt.

Offenbart dieser Zielkonflikt, der jetzt zum Scheitern der Koalition geführt hat, nicht auch einen grundsätzlichen "Konstruktionsfehler" der Freiheitlichen Partei: Nämlich den Konflikt zwischen der nationalliberalen Wurzel der Partei und ihrer heutigen neoliberalen Ausprägung auf der einen Seite und der nationalen und sozialen Wurzel, also der FPÖ als Protestpartei des kleinen Mannes, auf der anderen Seite?

Gudenus: Das ist völlig richtig, unter dem nationalen Dach vollzieht die FPÖ in der Tat eine Grätsche zwischen dem liberalen und dem sozialen Flügel. Und wahrscheinlich wäre uns in dieser Legislaturperiode einiges erspart geblieben, wenn eine liberale Partei im Wiener Nationalrat gesessen und einige wirtschaftsliberale Positionen abgedeckt hätte. Denn damit wäre eine Konzentration der FPÖ auf soziale und nationale Aufgaben möglich gewesen.

Was lernt die FPÖ aus diesem Strukturproblem, das sich jetzt als politische Fußangel erwiesen hat?

Gudenus: In der Tat sollte dieser Konflikt für die Zukunft einer eventuellen erneuten Regierungsbeteiligung der FPÖ nach den Neuwahlen ausgestanden sein.

Was bedeutet, die Nationalliberalen aus der Partei zu drängen?

Gudenus: Nein, es muß zu einem Entwicklungsprozeß kommen, der die FPÖ künftig eindeutig definiert. Ob ÖVP, SPÖ oder Grüne, alle geben sie sich betont liberal. Da halte ich es für einen demokratiepolitischen Fehler, daß auch noch die vierte Partei versucht, sich in dieses Spiel zu drängen. Wir sollten statt dessen künftig noch mehr unser soziales, wie auch unser nationales Profil schärfen, um eine echte Alternative zu sein.

Welche Rolle spielte die von manchen Journalisten diagnostizierte Entfremdung der freiheitlichen Regierungsmannschaft von der Basis und den Wählern und deren angebliche völlige Anpassung an das politische und gesellschaftliche Establishment Wiens? War der Streit tatsächlich ein Konflikt zwischen 'Parteipolitikern', wie Riess-Passer, Grasser und Co. und 'Volkspolitikern', wie Haider, Ewald Stadler oder Hilmar Kabas?

Gudenus: An diesem Erklärungsmuster ist naturgemäß etwas dran, gleichzeitig aber ist die Reduzierung auf dieses Muster zu simpel. Denn natürlich passen sich die freiheitlichen Spitzenpolitiker in Wien zwangsläufig ihrer neuen sozialen Umgebung an. Und das ist eben nicht mehr die Alltagswelt des kleinen Mannes, sondern das Regierungsparkett. Ein unvermeidbares und in jedem Land auftretendes Phänomen. In Österreich nennen wir das die "Seitenblick-Gesellschaft", nach der Fernsehsendung "Der Seitenblick", die sich mit dem Leben der Schönen, Reichen und Wichtigen beschäftigt. Kritik daran ist berechtigt, gleichzeitig aber muß ich Riess-Passer, Grasser und die anderen vor zu heftigen moralischen Vorwürfen solcher Art in Schutz nehmen.

Markieren die FPÖ-Rücktritte zu guter Letzt nicht auch einen 'ideologischen' Konflikt, nämlich zwischen dem liberalen Flügel - über Ex-Minister Grasser etwa schrieb das Nachrichtenmagazin "Profil", er sei "an Ideologie völlig desinteressiert" - und dem nationalen Flügel der FPÖ, der aus Überzeugung national-österreichische und deutsche Positionen vertritt, wie Haider, Stadler oder Andreas Mölzer?

Gudenus: So ist es, und besonders deutlich wird dieser Konflikt in der Frage der EU-Osterweiterung bezüglich der Aufnahme der Tschechei und Sloweniens, sprich der Benes- und der Avnoi-Dekrete. Da herrscht zu Recht Unmut in der Partei und bei den Wählern, da diesbezüglich unsere eigenen Regierungsmitglieder nicht genug auf Abschaffung dieser Unrechtsgesetze und auf Wiedergutmachung für deren Opfer pochen.

Kritiker konstatieren, daß auch in anderen Fragen, wie der Abgabe nationaler Souveränitätsrechte an die EU, der Begrenzung der Zuwanderung oder einer gesunden wertkonservativen Gesellschaftspolitik - man denke nur an die vom freiheitlichen Sozialminister Herbert Haupt herausgegebene Sex-Broschüre, die eine Aufforderung zur Homosexualität enthält -, das Engagement der freiheitlichen Regierungspolitiker weit hinter den Erwartungen der Wähler zurückgeblieben ist.

Gudenus: Die Sex-Broschüre des Sozialministeriums war in der Tat ein Unding. Die Angelegenheit ist zu Recht auf das Schärfste vom Freiheitlichen Familienverband verurteilt worden. Ansonsten kann ich nur sagen, daß der Einbruch der FPÖ-Umfragewerte auch daraufhin deutet, daß die Wähler von der Politik der freiheitlichen Minister enttäuscht sind.

In den Umfragen ist die FPÖ von ehemals etwa 28 Prozent auf nunmehr etwa 20 Prozent gerutscht. Welches Ergebnis erwarten Sie für die Neuwahlen am 24. November?

Gudenus: Da möchte ich nicht spekulieren. Natürlich müssen wir mit einem ernüchternden Ergebnis rechnen. Aber die Neuwahlen geben uns wenigstens noch einmal eine Chance, weil die Wähler sehen, daß wir uns noch rechtzeitig um eine Kurskorrektur bemüht haben. Verhängnisvoller wäre es gewesen, weiterzuwursteln, dann hätten wir bei der nächsten regulären Nationalratswahl einen noch viel herberen Denkzettel bekommen.

Jörg Haider ist offiziell nur "einfaches" Parteimitglied ...

Gudenus: Das "nicht ganz einfache" Parteimitglied, würde ich formulieren.

... ist aber de facto doch die Graue Eminenz in der Partei. Wäre es nicht besser, er würde wieder den Parteivorsitz übernehmen und die FPÖ auf eine klare Linie führen?

Gudenus: Es ist durchaus möglich, daß Haider in Zukunft wieder die Obmannschaft, also den Parteivorsitz, übernimmt. Ich denke, der Sonderparteitag am 21. September wird da eine Entscheidung bringen - bis dahin bleibt übrigens noch Susanne Riess-Passer Obfrau. Grundsätzlich aber halte ich es für gefährlich, sich ganz und gar auf eine Person zu fixieren.

Die FPÖ hat die Gründung einer europäischen Rechtspartei angestoßen. Wie steht es angesichts der Krise um dieses Projekt?

Gudenus: Dieses wichtige Vorhaben ist durch die momentanen Probleme nicht in Frage gestellt. Hier stehen wir eher vor den üblichen Problemen, nämlich den eingefleischten Vorbehalten, die die europäischen Rechtsparteien noch zumeist voreinander haben. Die FPÖ wird sich fangen und dann das Projekt mit neuem Elan verfolgen.

 

John Graf Gudenus ist Bundesrat der Freiheitlichen Partei Österreichs. Seit 1970 ist er Mitglied der FPÖ, seit 1995 vertritt er die Partei im Bundesrat, der zweiten Kammer des österreichischen Parlamentes. Zuvor war er Abgeordneter des Nationalrates, der ersten Kammer des Hauses. Zudem ist er Mitglied im Landesvorstand der Wiener FPÖ. Geboren wurde der ehemalige Berufssoldat 1940 in Wien.

 

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