© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Blauer Selbstmord
Österreich: FPÖ/ÖVP-Wenderegierung zerbrochen / Der "Rebellenaufstand von Knittelfeld"
Frank Philip

Ist es das "Ende der Wende", wie Sozialdemokraten und Grüne feixen? Jörg Haider, der Mann, der die Klein-partei FPÖ seit 1986 zu einer 27-Prozent-Regierungspartei geformt und so die sozialistische Dauerherrschaft gebrochen hat, gefährdet sein Lebenswerk. Nach zwei Jahren, sieben Monaten und fünf Tagen zerbrach am Montag die schwarz-blaue Koalition aus ÖVP und FPÖ. In Umfragen ist die FPÖ bereits unter 20 Prozent gesunken. Neuwahlen wird es frühestens am 24. November geben, kündigte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) an. Eine sachpolitische Arbeit sei nach dem Rücktritt von drei FPÖ-Ministern (Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser am Sonntag, sowie Infrastrukturminister Mathias Reichhold am Montag) nicht mehr möglich.

Vorausgegangen waren heftige politische Turbulenzen, ausgelöst durch die Forderung des Kärntner Landeshauptmanns und Ex-FPÖ-Chefs Jörg Haider nach einer Steuerreform. Finanzminister Grasser wandte sich mit Hinweis auf die Hochwasserschäden strikt dagegen. Da erklärte Haider unerwartet, er werde ein Volksbegehren starten, wenn er seinen Willen nicht bekomme. "Der Alte vom Bärental schlägt Krach, weil er nicht mehr im Mittelpunkt steht", kommentierte der nationalliberale Historiker und FPÖ-Berater Lothar Höbelt zu diesem Zeitpunkt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Es gehe um "rein persönliche Animositäten, da einige nicht ertragen können, daß Grasser Karriere macht". Erst in letzter Minute konnte Justizminister Dieter Böhmdorfer Haider das Volksbegehren ausreden.

Der nächste Akt des FPÖ-Dramas gipfelte am Dienstag vergangener Woche in einer Sondersitzung des FPÖ-Präsidiums. Haider hatte am Wochenende zuvor im ORF zum wiederholten Mal seinen Rückzug aus der Politik angekündigt: "Jetzt ziehe ich mich endgültig aus allen Aktivitäten aus der Bundespartei zurück", erklärte das "einfache Parteimitglied" aus Kärnten. Zur selben Zeit sammelten Getreue in mehreren Landesverbänden, allen voran der Niederösterreicher Ewald Stadler, rund 400 Delegiertenunterschriften für einen FPÖ-Sonderparteitag.

Die bedrängte Parteivorsitzende Riess-Passer bekam Unterstützung von ihren drei Stellvertretern, FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler, Verteidigungsminister Herbert Scheibner und den Vorarlberger FPÖ-Chef und Landesstatthalter Hubert Gorbach.

Haider versuchte daraufhin, einen versöhnlichen Eindruck zu erwecken. Gleichzeitig bereiteten Gefolgsleute ein Delegiertentreffen in Knittelfeld vor. Haider hatte tags zuvor mit Riess-Passer ein Kompromißpapier erarbeitet, über das die Delegierten abstimmen sollten. Dann geschah das Unfaßbare: Ein FPÖ-Mitarbeiter aus Kärnten, Kurt Scheuch, zerriß unter allgemeinem Beifall das Papier. Die Delegierten stellten neue Forderungen an Riess-Passer, sie solle wegen der Benes-Dekrete und des Atomkraftwerks Temelín ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens einlegen.

Der Bruch mit Kanzler Schüssel, einem unbedingten Pro-Europäer, war vorgezeichnet. Zudem übergaben die 400 Delegierten ihre Unterschriften "zur kommissarischen Aufbewahrung" Volksanwalt Stadler, der damit die Vollmachten für einen Sonderparteitag erhielt. Das "unbefleckte Lamm", wie Haider Riess-Passer vor Wochen spöttisch genannt hatte, war zur "Schlachtung" freigegeben.

Nach einer quälend langen Sitzung am Sonntag erklärten Riess-Passer, Grasser und Westenthaler ihren Rückzug, am Montag folgte dann Reichhold. Die Regierung war geplatzt.

Haider gab sich im Fernsehen zerknirscht ob seines "persönlichen Scheiterns". Er wolle aber einer "Legendenbildung entgegentreten": Da es "keinen Grund zu einer Beendigung der Regierung" gegeben habe, fühle er sich "hineingelegt". Dem widersprach Riess-Passer: Das Treffen in Knittelfeld habe nur ein Ziel gehabt: "Die ultimative Unterwerfung der Regierungsfraktion". Ministerkollege Reichhold habe es treffend formuliert: "Man wollte uns das Rückgrat brechen und dachte, wir gehen mit Gips weiter."

Westenthaler wies via ORF Stadler die Schuld am Zerbrechen der Regierung zu. Stadler sei der "Anführer des Putsches" gewesen, da er "Zeit seines Lebens diese Regierung zerstören wollte". Des Verrats bezichtigten regierungstreue FPÖ-Funktionäre auch den niederösterreichischen Landeschef Hans Achatz, der schon im Juni die Ablösung Riess-Passers betrieben hatte. Die gestürzte Parteichefin nahm unterdessen Verteidigungsminister Scheibner gegen Vorwürfe in Schutz, er sei ein "Brutus" gewesen. "Der Herbert war immer loyal", äußerte Riess-Passer über den eher braven Scheibner, dem sie bis zum nächsten Parteitag kommissarisch das Amt des FPÖ-Vorsitzes übergab.

Von Linken als "Chaostage der FPÖ" verspottet, wurde der "Rebellenaufstand von Knittelfeld" von Teilen des rechten FPÖ-Flügels als Befreiungsschlag begrüßt. Nun werde die alte Haider-Partei wiederauferstehen, hieß es. Tatsächlich steht die Partei jedoch zwei Monate vor den Nationalratswahlen kopflos da. "Es ist ein Schuß in beide Knie", zeigte sich Tirols Landeschef Willi Tilg entsetzt über die Auflösungserscheinungen der FPÖ. Interimschef Scheibner möchte nicht FPÖ-Obmann werden, und Haider sieht sich als "nicht geeignet" an. Von Parteifreunden wird er aber gedrängt, bei dem eilig einberufenen Parteitag am 21. September anzutreten.

Allerdings hat der Kärntner Landeshauptmann auch bei einstigen Bewunderern verspielt. "Im gegenwärtigen Augenblick vertritt Haider mitnichten nicht die Rechte, sondern er ist zum nützlichen Idioten der Linken geworden", warnte Lothar Höbelt noch letzte Woche. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer stellt an diesem Freitag in Brüssel ein Programm zum "Kampf gegen Rechtspopulismus in europäischen Demokratien" vor. Es ist eine Ironie, daß ausgerechnet Haider ihnen in diesen Tagen so tatkräftig dabei hilft.


 
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