© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Das Kreuz mit den Tieren
Bundestagswahl: Die Schill-Partei macht im Tierschutz den linken Parteien Konkurrenz
Volker Kempf

Die Wahlprogramme der Bundestagsparteien haben einen Umfang von 30 bis 100 Seiten. Eine eigene Rubrik zum Tierschutz sucht man meist vergeblich, außer bei den Grünen. Ein vergleichsweise kurzes Wahlprogramm hat die Partei Rechtsstaatlicher Offensive des Hamburger Innensenators Ronald Schill vorgelegt. Darin findet sich ein eigenes Tierschutzkapitel, das noch umfangreicher und konkreter ist als das der "grünen" Konkurrenz.

Bei der SPD ist der Tierschutz Teil des Verbraucherschutzes, der Ernährung und der Landwirtschaft: "Die europäische Landwirtschaftspolitik muß nach drei Jahrzehnten schwerpunktmäßiger Produktionsorientierung an die veränderten Bedingungen und veränderten Verbraucherbedürfnisse angepaßt werden." Was das für die Tiere konkret heißt, bleibt unklar, weil nicht geklärt wird, was "klare Regelungen für ein hohes Niveau im gesundheitlichen Verbraucherschutz sowie im Umwelt- und Tierschutz" sein sollen. Von "gemeinschaftsweiten" Regelungen ist die Rede, sprich: Nichts im nationalen Alleingang probieren, sondern nach dem kleinsten EU-Nenner verfahren.

Ein eigenes Tierschutzkapitel findet sich allerdings auch nicht im CDU/CSU-Programm. Aber immerhin hat die Union unter Kanzlerkandidat Edmund Stoiber in diesem Jahr beim dritten Anlauf die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz nicht blockiert, so daß der Tierfreund ihr eine kleine Chance geben könnte. Die Union spricht im Landwirtschaftskapitel sogar ehrfurchtsvoll von "Mitgeschöpfen", verurteilt aber eine bevorzugte Förderung einer ökologischen Landwirtschaft.

Bei der FDP werden die Tiere auch unter der Rubik Landwirtschaft abgehandelt, also auf ihre Rolle des zu verspeisenden Nutztieres reduziert. Unterschiede zwischen konventionellem und ökologischem Landbau werden zur Geschmackssache erklärt, die wissenschaftlich nicht belegbar sei. "Die sogenannte Agrarwende und ihr Herzstück, das Ökosiegel und die Modulation, führen in die Sackgasse", meinen die Liberalen. Das für die herkömmliche Landwirtschaft erfundene Qualitätssiegel sei gut genug, wenn nicht sogar besser. Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast solle aber verboten werden; nicht weil es für die Tiere besser wäre, wohl aber für die fleischessenden Verbraucher. Zwar gibt es ein Unterkapitel "Tier-, Natur- und Artenschutz", das aber nicht mehr als ein Bekenntnis zum Tierschutz im Grundgesetz enthält.

Die PDS will die ökologische Leistung der Landwirte finanziell anerkannt wissen. Aber auch die Tiere selbst werden mit der Forderung nach einer "Verbesserung im Tierschutz" bedacht. Eine "strikte Umsetzung tierschutzrechtlicher Regelungen" wird zudem ausgerufen. So spricht die PDS - zu DDR-Zeiten noch Propagandist von Groß-LPG - gezielt auch Tierschützer an.

Bündnis '90/Die Grünen widmen den Tieren sogar ein eigenes Kapitel, also nicht nur ein paar Zeilen im Rahmen des Verbraucherschutzes und der Landwirtschaft. "Wir wollen eine Landwirtschaft, die Hand in Hand mit Umwelt-, Natur und Tierschutz geht. Das neue Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz muß in allen relevanten Bereichen konsequent zur Verbesserung des Tierschutzes genutzt werden." EU-Subventionen für Schlachttiertransporte werden abgelehnt, eine Transportzeitbegrenzung auf maximal vier Stunden gefordert. Eine Reduzierung von Tierversuchen wird als Ziel genannt, etwa durch die Novellierung von Gesetzen.

Hatten konservative Tierschützer bisher kaum eine andere Wahl, als eine linke Partei zu wählen oder gar keine, so sieht das mit der Wahlteilnahme der Schill-Partei anders aus. Nicht nur, daß der Tierschutz Verfassungsrang hat und nach Vorstellung der Politneulinge auch haben soll. Vielmehr müßten "endlich spürbare Taten folgen". Die Schill-Partei schreibt in ihren Leitlinien zur Bundestagswahl: "Das Interesse der Verbraucher gilt zunehmend nicht alleine dem Produkt, sondern auch seiner Herkunft und Herstellungsweise: Es gilt daher einerseits, den Verbraucherschutz durch gesundheitsverträgliche, ressourcenschonende, umwelt- und naturfreundliche Verfahren zu fördern, und andererseits für Verfahren zu sorgen, die eine artgerechte Haltung, kurze Transportwege und streßfreie Schlachtungen garantieren."

Im einzelnen will Schill den Straftatbestand der Tierquälerei einführen. Das (betäubungslose?) Schächten soll generell verboten werden; Schlachttiere sollen nur noch "standortnah" geschlachtet werden. Unter zahlreichen weiteren Punkten wird auch die "Schaffung von weitergehenden Mindeststandards bei der Nutztierhaltung unter der vorrangigen Berücksichtigung tierschutzrechtlicher Vorschriften" verlangt.

Ein Heimspiel hat beim Thema Tierschutz die Tierschutzpartei. "Mensch, Tier und Natur" werden hier als eine "untrennbare Einheit" betrachtet, in der der "Mensch nicht das Maß aller Dinge" ist. Solches Worte gegen den Größenwahn des Menschen hört jedes Tier gerne, von den Menschen wird die Tierschutzpartei aber unter der Fünf-Prozent-Klausel verbannt bleiben und sich mit der Wahlkampfkostenerstattungshürde von 0,5 Prozent schwer tun: Die Tierschutzpartei tritt nur in sieben Bundesländern an: Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern.


 
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