© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Die Entmachtung der Wähler
Bundestagswahl: Sechzehn etwas andere Fragen an Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinen Herausforderer Edmund Stoiber
Hans Herbert von Arnim

Vorbemerkung: Die Parteien und ihre Kandidaten werden einander immer ähnlicher, die Wähler immer ratloser, und die Versuchung, überhaupt nicht mehr zur Wahl zu gehen, wird immer größer. Politik und Politiker tun zu wenig und zu viel, nur jeweils an der falschen Stelle: Sie verschleppen die nötigen Reformen und bauen gleichzeitig ihre eigene Stellung immer weiter aus. Statt die Probleme der Menschen zu lösen, machen sie sich den Staat zur Beute (Richard von Weizsäcker). Sie entmündigen die Bürger und begeben sich gleichzeitig in die Abhängigkeit potenter Interessengruppen. Statt Politik zu machen, lassen sie sich auf deren bloße Inszenierung ein. Das "So-tun-als-ob-Prinzip" feiert Triumphe.

Beide Entwicklungsstränge, das Versagen der politischen Klasse vor Gemeinschaftsproblemen (das einen gravierenden Standortnachteil für die Bundesrepublik darstellt) und die Betonierung ihrer eigenen Position, hängen eng zusammen: Die Entmachtung der Wähler immunisiert die politische Klasse zwar gegen die Kontrolle ihres eigenen, selbstbestimmten Status durch die Bürger. Die Beseitigung der Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern treibt die Politik aber nur umso ungeschützter in die Fänge gutorganisierter Gruppen und in die Schweinwerfer medialer Regisseure. Alles dies beruht letztlich auf schleichenden Verschlechterungen des institutionellen Rahmens, die die Politik aus Eigeninteressen herbeigeführt hat. Derartige Zusammenhänge sind natürlich unangenehm und werden deshalb möglichst ausgeblendet. So werden die Bürger bevormundet - selbst bei der Wahl der Wahlkampfthemen.

Es gilt deshalb ganz bewußt gegenzuhalten und die Perspektive zu wechseln: Statt der Sicht von Berufspolitikern muß die des Bürgers als des eigentlichen Souveräns in der Demokratie in den Mittelpunkt gestellt werden. Wenn überhaupt, kann dies nur in der Vorwahlzeit gelingen, wo die Politiker sich gegenüber den Belangen der Bürger sensibel zeigen müssen. Dem dienen die folgenden Fragen:

Wie beurteilen Sie die grassierende Vetternwirtschaft der Parteien bei Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst und was wollen Sie dagegen tun?

Anmerkung: Viele Richter- und Beamtenstellen, Positionen in öffentlichen Unternehmen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden nach Parteibuch, häufig im Proporz der etablierten Parteien, besetzt, obwohl nach dem Grundgesetz bei Einstellung und Beförderung im öffentlichen Dienst allein Leistung und Qualifikation zu entscheiden haben und die Parteizugehörigkeit keine Rolle spielen darf. Die Folgen sind Aufblähung und mangelnde Leistungsfähigkeit der Verwaltung und eingeschränkte Unabhängigkeit mancher Gerichte und Rundfunkanstalten gegenüber der politischen Klasse.

Wie beurteilen Sie die "Verbeamtung der Parlamente" und was wollen Sie dagegen unternehmen?

Anmerkung: Die Mitglieder des Bundestags und der Landesparlamente sind bis zu 60 Prozent Angehörige des öffentlichen Dienstes, darunter besonders viele Lehrer. ("Die Parlamente sind mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer".) Die "Verbeamtung der Parlamente" (Bundesverfassungsgericht) und die darauf beruhende Distanzlosigkeit der Parlamente gegenüber dem öffentlichen Dienst, der Verwaltung und den Schulen ist nicht gerade dazu angetan, Reformen in diesen Bereichen zu erleichtern, zumal solche Reformen Durchsetzungskraft und oft auch Härte verlangen.

Die Fernsehduelle zwischen Kanzler und Herausforderer erwecken die Illusion, die Wähler könnten den Regierungschef direkt wählen. In Wahrheit nimmt unser Wahlsystem den Bürgern die Entscheidung, wer regiert, regelrecht aus der Hand. Das machen vielmehr die Parteiführungen unter sich aus - in Koalitionsverhandlungen nach der Wahl. Finden Sie das in Ordnung?

Anmerkung: Die Wähler bestimmen bei der Bundestagswahl zwar mittels ihrer Zweitstimmen die Truppenstärke der Parteien im Parlament. Wer den Kampf letztendlich gewinnt, entscheiden aber die Parteiführungen durch ihre Koalitionspräferenzen nach dem 22. September. So kann Gerhard Schröder, selbst wenn Rot-Grün die Wahl verliert, eventuell mit Unterstützung der PDS weiterregieren. Und mit wem die FDP, die schließlich das "Zünglein an der Waage" spielen könnte, eine Koalition eingeht, sagt sie vor der Wahl absichtlich nicht, um sich nach der Wahl alle Möglichkeiten offenzuhalten. So können FDP-Wähler, die von einer Koalition mit der Union träumen, nach der Wahl mit einer rot-gelben oder einer Ampelkoalition aufwachen. Selbst eine Große Koalition von Union und SPD erscheint nicht ganz ausgeschlossen, obwohl damit das parlamentarische System von Regierung und Opposition sich praktisch selbst aufgäbe. Deshalb hatte Karl Popper der Bundesrepublik zur Herstellung politischer Verantwortlichkeit das Mehrheitswahlrecht empfohlen. Nur so könne das demokratische Mindestrecht der Bürger, schlechte Herrscher ohne Blutvergießen wieder loszuwerden, gesichert werden. Schon die große Koalition (1966 bis 1969) hatte sich zum Ziel gesetzt, ein mehrheitsbildendes Wahlrecht einzuführen, um Koalitionen überflüssig zu machen, den Wähler die Entscheidung über die Regierung treffen zu lassen und dadurch politische Verantwortlichkeit zu begründen. Allerdings war die Wahlrechtsreform schließlich am Machtinteresse einer der Großkoalitionäre gescheitert. Als die SPD nämlich eine Möglichkeit sah, mit der FDP eine Regierungskoalition zu bilden und die Union auszubooten, kündigte sie die Koalitionsvereinbarung auf.

In sicheren Wahlkreisen kann die dominierende Partei ihren Ab-geordneten den Wählern faktisch diktieren. Ist das auch Ihre Auffassung von Demokratie?

Anmerkung: In den Hochburgen der CDU/CSU würde, wie Eingeweihte witzeln, selbst ein schwarzer Stock, in Hochburgen der SPD selbst eine rote Mütze gewählt. Diesem Mißstand könnte durch Einführung von Vorwahlen abgeholfen werden. Vorwahlen würden den Wählern Einfluß auf die Bestimmung der Kandidaten geben und die Wähler so vom Diktat der dominierenden Partei befreien. Franz Müntefering hatte Derartiges vor anderthalb Jahren vorgeschlagen, ist damit in seiner Partei aber aufgelaufen.

Die Parteien bestimmen, wer ins Parlament kommt

Nach unserem Wahlsystem entscheiden allein die Parteien darüber, wer ins Parlament kommt und wer nicht. Ist das dann noch eine unmittelbare Wahl der Abgeordneten durch die Bürger, wie die Wahlgrundsätze es verlangen?

Anmerkung: Die Parteien haben nach unserem Wahlsystem nicht nur das faktische Monopol der Kandidatenaufstellung, sondern bestimmen auch, wer ins Parlament kommt. Wen die Parteien auf einen sicheren Listenplatz setzen, dem kann der Wähler nichts mehr anhaben. Er kann ihn nicht mehr abwählen, selbst wenn er es gerne tun würde. Das gilt auch für den Bangkok-Flieger Rezzo Schlauch oder Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Politische Verantwortlichkeit verflüchtigt sich. Dem könnte man abhelfen, indem die starren Wahllisten flexibilisiert würden und die Wähler die Möglichkeit erhielten, mit ihrer Stimme bestimmte Kandidaten vorzuziehen und andere zurückzustellen.

Die politischen Parteien verdienen bei der Heranbildung des politischen Nachwuchses keine guten Noten. Was gedenken Sie zur Verbesserung zu tun?

Anmerkung: Die Rekrutierung von Politikern liegt allein in der Hand der Parteien. Doch sie erfüllen diese wichtige Aufgabe, mit der im übrigen auch ihre hohe Staatsfinanzierung gerechtfertigt wird, schlecht. Voraussetzung für ein Weiterkommen in der Partei ist regelmäßig die sogenannte Ochsentour. Sie verlangt jahrelange zeitaufwendige Kärrnerarbeit innerhalb der Parteien und macht Ortswechsel unmöglich. Das können sich nur Leute mit viel Zeit ("Zeitreiche" und "Immobile") leisten, nicht aber (in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur etc.) erfolgreiche Personen. So kommt es, daß in den Parteien vor allem Beamte und Funktionäre reüssieren und dann auch die Parlamente dominieren (siehe "Verbeamtung der Parlamente"). Dem kann nur durch eine grundlegende Reform des Wahlrechts abgeholfen werden, die den Wählern unmittelbaren Einfluß auf das politische Personal gibt.

Abgeordnete müssen für Mandatsvergabe zahlen

Finden Sie es in Ordnung, daß Parlamentsabgeordnete und andere Amtsträger hohe "Parteisteuern" an ihre Partei zahlen müssen und diese auch noch zweifach staatlich begünstigt werden?

Anmerkung: Die Parteien lassen sich die Vergabe von Abgeordnetenmandaten richtiggehend bezahlen. Sie zweigen - neben dem normalen Mitgliedsbeitrag - zusätzlich erhebliche Teile der Diäten und Amtsgehälter von Politikern für sich ab; dies sind monatlich meist 500 Euro oder mehr. Diese "Parteisteuern" stellen eine indirekte Staatsfinanzierung der Parteien dar und beeinträchtigen zudem die Unabhängigkeit von Abgeordneten und Amtsträgern. Sie sind deshalb hochproblematisch. Der Wunsch, die "Parteisteuern" auch gegen widerstrebende Abgeordnete weiterhin durchzusetzen, veranlaßte die Schatzmeister, Zuwendungen an Parteien bis zur Höhe von 6.600 Euro im Jahr (bei Verheirateten) steuerlich zu begünstigen - und damit in sehr viel größerem Umfang, als das Verfassungsgericht erlaubt. Das wiederum begünstigt Manipulationen mit Spendenquittungen, wie sie in Köln massenweise ans Tageslicht kamen. Auch dem leisten die Schatzmeister Vorschub, indem sie die Vergabe von Spendenquittungen (und damit die Verfügung über Hunderte von Millionen Steuergeld) auf der Ebene der Orts- und Stadtverbände der Parteien jeder vernünftigen Kontrolle entziehen. Die Wirtschaftsprüfer haben nach dem (von den Schatzmeistern verfaßten) Parteiengesesetz nur jeden tausendsten Ortsverband zu prüfen und auf dieser völlig unzureichenden Grundlage ihr Testat zu erteilen.

Wahlkampf auf Kosten der Steuerzahler

Die politischen Parteien erhalten zusammen immer die Höchstsumme an Staatsfinanzierung (156 Millionen Euro im Jahr) - unabhängig von der Zahl der Wähler. Finden Sie das nicht merkwürdig?

Anmerkung: Das Bundesverfassungsgericht hat eine absolute Obergrenze für die Staatsfinanzierung von Parteien festgelegt. Sie beträgt derzeit 156 Millionen Euro jährlich. Diese Summe wird von den Parteien jedes Jahr voll ausgeschöpft, auch wenn die Wahlbeteiligung immer niedriger wird. Dafür haben die Schatzmeister, die dem Gesetzgeber bei Regelung der Parteienfinanzierung die Feder führten, durch eine entsprechende Gestaltung des Gesetzes gesorgt. Das Gericht hatte dagegen vorgesehen, daß die Höhe der Staatsfinanzierung von der Wahlbeteiligung der Bürger abhängen solle.

Finden Sie es in Ordnung, daß Politiker auf Kosten der Steuerzahler Wahlkampf machen?

Anmerkung: Die bisherigen 662 Bundestagsabgeordneten und die 39 Mitglieder der Bundesregierung (einschließlich der Parlamentarischen Staatssekretäre) werden alle aus der Staatskasse besoldet und erhalten zusätzlich hohe steuerfreie Kostenpauschalen. Diese Zahlungen sollen ihnen ihre Aufgabe erleichtern, dem Gemeinwohl zu dienen (so ausdrücklich auch der Amtseid). Tatsächlich machen sie und viele ihrer (ebenfalls staatlich alimentierten) Hilfskräfte seit Monaten auf Kosten der Steuerzahler Wahlkampf für ihre jeweiligen Parteien. Das Gleiche gilt für viele besoldete Landespolitiker wie zum Beispiel den bayerischen Ministerpräsidenten. Kleinere Parteien und ihre Kandidaten, die keine besoldeten Amtsträger in Parlament oder Regierung haben, müssen ihren Lebensunterhalt während des Wahlkampfs dagegen aus eigener Tasche bezahlen.

Halten Sie unseren Föderalismus für reformbedürftig?

Anmerkung: Unser Föderalismus hat eine ungute Entwicklung genommen. Der Bundesrat muß wichtigen Gesetzen zustimmen, ist aber meist in der Hand der Opposition. Das läßt nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis: Die Blockade durch die Opposition, die der Regierung Erfolge neidet, ist vorprogrammiert. Stimmt der Bundesrat dagegen zu, verschwimmt die politische Verantwortlichkeit. Wen soll der Wähler, der solche Gesetze ablehnt, dann noch verantwortlich machen? Auf Landesebene stimmen die Exekutiven aller sechzehn Länder sich in mehr als tausend Gremien ab, von denen die Kultusministerkonferenz am bekanntesten ist. Das führt zu einer schleichenden Zentralisierung, bei der sich die politische Verantwortlichkeit aber erst recht auflöst. Die Parlamente werden zu Vollzugsorganen von undurchsichtigen Entscheidungen in übergreifenden Exekutivzirkeln, und die Wähler werden vollends entmachtet.

In Deutschland kann das Große Geld Abgeordneten und Parteien ungestraft Millionen Euro zukommen lassen. Finden Sie nicht, daß diese Form der "legalen Korruption" unterbunden werden sollte?

Anmerkung: Großfinanciers können sogar Abgeordnete in ihre bezahlten Dienste nehmen, so daß diese dann aus zwei Quellen voll bezahlt werden: vom Steuerzahler "zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit" (Artikel 48 Grundgesetz) und vom Financier, dem sie ihre Unabhängigkeit verkaufen. Noch vor kurzem wurde aus Anlaß der "Hunzinger-Affäre" wochenlang über mißbräuchliche Einwirkungen des Großen Geldes auf die Politik diskutiert. Jetzt scheint das Thema plötzlich keine Rolle mehr zu spielen. Hier besteht eine große Gesetzeslücke. Man macht sich zwar strafbar, wenn man einen Beamten besticht - und sei es nur mit ein paar Flaschen Wein. Dagegen kann man einem Parlamentsabgeordneten oder einer Partei einen ganzen Sack voll Geld zukommen lassen, ohne den Staatsanwalt fürchten zu müssen. In den USA hatte der Watergate-Skandal zu durchgreifenden Reformen des finanziellen Status von Parteien und Parlamentsabgeordneten geführt. In Deutschland sind solche Reformen trotz CDU-Spendensumpf und dem Wirbel um die Kölner SPD dagegen ausgeblieben. SPD und Grüne hatten im Verlauf der "Hunzinger-Affäre" immerhin die Verschärfung der Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete angekündigt, die noch vor der Bundestagswahl erfolgen sollte. Doch die Große Flut kam gerade recht, um selbst diese bescheidene Reform ins Wasser fallen zu lassen.

Unbeweglichkeit als Grund für den Reformstau

Wie wollen Sie sich bei den nötigen Reformen gegen den Widerstand von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden durchsetzen?

Anmerkung: Die Bundesrepublik befindet sich in einer Art Unbeweglichkeits-Falle. Die Parteien scheuen sich, Projekte in Angriff zu nehmen, die den Gewerkschaften oder den Arbeitgeberverbänden mißfallen. Das ist einer der Gründe für den Reformstau, der sich allmählich zur "deutschen Krankheit" auswächst. Ein typisches Beispiel ist die Steuerfreiheit von Lohnzuschlägen bei Sonn- und Feiertagsarbeit. Diese Steuervergünstigung läßt sich nicht rechtfertigen. Darin stimmen alle unabhängigen Sachverständigen überein. Das "Zusatzleid" der Arbeitnehmer wird bereits durch die hohen Zuschläge abgegolten; eine zusätzliche steuerliche Subventionierung ist nicht angezeigt - ebenso wenig wie bei Überstundenzuschlägen. Und doch wollen weder Schröder noch Stoiber sich mit den Gewerkschaften anlegen, die mit Zähnen und Klauen an diesem überholten Privileg festhalten. Wie sollten die Parteien auch gegen solche Steuerprivilegien vorgehen, wo sie sich doch selbst massive (und sogar verfassungswidrige) Steuervergünstigungen vorbehalten haben (siehe Frage 9). Auch Flächentarifverträge, Arbeitsmarktregelungen und Sozialversicherungen sind fest im Griff der Verbände, ohne daß eine Margaret Thatcher in Sicht wäre, die sich im Wahlkampf mit ihrem Programm die nötige Legitimität verschaffte, um den Gordischen Knoten der politischen Abhängigkeiten durchzuhauen.

Frage an Gerhard Schröder: Muß die SPD nach der Pisa-Studie das Steuer ihrer bisherigen Schulpolitik herumreißen? Was antworten Sie den Menschen in dieser für unsere Zukunft vielleicht wichtigsten Frage?

Anmerkung: Die Pisa-Studie hat die Leistungen des deutschen Bildungssystems generell schlecht aussehen lassen, gleichzeitig die Schulsysteme in SPD-Bundesländern aber mit noch deutlich schlechteren Noten bedacht als die unionsgeführten Länder.

Frage an Edmund Stoiber: Sind Sie für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene?

Anmerkung: Auf Gemeinde- und Landesebene haben die Bürger die Möglichkeit, durch Volksbegehren und Volksentscheid politische Entscheidungen an sich zu ziehen und anstelle der Volksvertretungen zu entscheiden, nicht aber auf Bundesebene. Die rot-grüne Koalition wollte dies laut ihrer Koalitionsvereinbarung ändern und brachte auch einen Gesetzentwurf ein. Dieser verlangte allerdings eine Änderung des Grundgesetzes und scheiterte am Veto der CDU/CSU. Edmund Stoiber hat gelegentlich durchblicken lassen, er sei offen gegenüber direktdemokratischen Elementen. Im Wahlkampf könnte er jetzt Farbe bekennen und eine klare Stellungnahme abgeben.

Aufwandspauschalen und Anzeigenkampagnen

Frage an Edmund Stoiber: Finden Sie es in Ordnung, daß Sie in den letzten anderthalb Jahrzehnten neben Ihren zweifachen Bezügen als Mitglied der bayerischen Regierung und als Abgeordneter des bayerischen Landtags zusätzlich noch insgesamt etwa 1,4 Millionen Mark steuerfreie Aufwandspauschalen aus der Staatskasse erhalten haben - für Aufwendungen, die Ihnen in Wahrheit gar nicht entstanden waren?

Anmerkung: Edmund Stoiber hat während seiner Amtszeit als bayerischer Staatssekretär (1982 bis 1986), als Minister (1986 bis 1993) und seit 1993 als Ministerpräsident an steuerfreien Pauschalen rund 1,4 Millionen Mark erhalten, was einem zusätzlichen Bruttoeinkommen von etwa 2,8 Millionen Mark entspricht. Diesen Zahlungen stand kein entsprechender amts- oder mandatsbedingter Aufwand gegenüber, da alle Aufwendungen bereits durch Hilfskräfte und Einrichtungen abgedeckt sind, die ihm als Amtsträger ohnehin zur Verfügung standen und stehen. Die Zahlungen laufen somit auf ein steuerfreies Zusatzeinkommen hinaus, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig ist.

Frage an Gerhard Schröder: Vor Ihrer Wahl zum nieder-sächsischen Ministerpräsidenten (und damit auch Ihrer parteiinternen Kür zum Kanzlerkandidaten der SPD) hat ein Unternehmer zu Ihrer Unterstützung ganzseitige Anzeigen in sämtlichen niedersächsischen Zeitungen finanziert, ohne daß die Öffentlichkeit darüber informiert wurde, wer hinter dieser Aktion steckte. Haben Sie damit keine Schwierigkeiten?

Anmerkung: Unmittelbar vor der letzten niedersächsischen Landtagswahl im Frühjahr 1998 erschienen in sechzehn niedersächsischen Zeitungen ganzseitige Anzeigen mit dem Werbespruch "Der nächste Kanzler muß ein Niedersachse sein". Wohl auch auf Grund dieser Aktion wurde Gerhard Schröder dann mit dem nötigen Vorsprung zum Ministerpräsidenten gewählt und stieg damit zugleich zum Kanzlerkandidaten der SPD auf. Wer die 650.000 Mark für die Anzeigenkampagne bezahlt hatte blieb zunächst unbekannt. Die SPD und Schröder behaupteten, sie wüßten von nichts. Tatsächlich steckte Carsten Maschmeyer dahinter, der Inhaber des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes AWD in Hannover. Doch Sanktionen gab es - trotz fehlender Publikation des Namens - keine, da das Schalten von Anzeigen zugunsten von Politikern oder Parteien durch Dritte formalrechtlich nicht als "Spende" an diese gilt.

 

Hans Herbert von Arnim, Jahrgang 1939, ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Verfassungslehre an der Deutschen Hochschule für Verwal-tungswissenschaften in Speyer. Er hat mehrere Bücher zum Parteienstaat veröffentlicht, darunter "Staat ohne Diener" (1993), "Fetter Bauch regiert nicht gern" (1997), "Diener vieler Herrn" (1998), "Vom schönen Schein der Demokratie" (2000) sowie zuletzt "Das System. Die Machenschaften der Macht" (2001).


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen