© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
CD: Hermann Hesse
Mitten ins Herz
Wolfgang Scheidt

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben", swingt es aus den Lautsprecher-Boxen. Nanu? Nicht der "Mensch" Herbert Grönemeyer, sondern der "Klassiker" Hermann Hesse goes Jazz, Blues und Hip-Hop - das Musikerduo Anselm König und Beat Riggenbach macht's möglich. In raffinierten Arrangements aus Stimmen, Gitarren, Saxophon, Baß und Percussion erklingt Hesses Poesie in einem nicht gekannten Versmaß: dem Poem'n'Beat.

Die Anselm-König-Band verneigt sich, mit ihrer gelungenen Adaption von sechzehn exemplarischen Gedichten von "Stufen" über "Keine Rast" bis zum "Steppenwolf", vor dem Jubiliar, dessen Verse nach wie vor zeitlos und authentisch sind. Der Lieder-Zyklus "Stufen" (Random House, 60 Minuten) teilt sich in die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, handelt von Sonne und Frost, erzählt vom Wandern und Träumen, von der Liebe und Einsamkeit. "Glück, so scheint mir, ist Liebe. Wer lieben kann ist glücklich", lautet Hesses Credo - ein kleines Stück vom Glück vermitteln uns auch die gelungenen Gedichtvertonungen mit ihrer verträumt-ästhetischen Klang-Lyrik.

"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar (Ingeborg Bachmann), wenn sie mit solchen Klängen und Rhythmen und einer so schönen Stimme daherkommt", jubelt die Schrifstellerin Marga Bayerwaltes etwas pathetisch im CD-Beiheft. "Man möchte vom Stuhl aufspringen, mittanzen und mitsingen und gleichzeitig möchte man weinen, weil einen die Wahrheit dieser wunderbaren Texte trifft, mitten ins Herz." Zu Recht: Die Musik harmoniert mit Hesses Versen, verleiht den Metaphern eine angenehm erträgliche Leichtigkeit des Seins, ohne die Gedanken ihrer Substanz zu berauben. Und plötzlich wird Schweres so leicht, die Musik verleiht den Gedichten Flügel. Befreit von der tiefen Theatralik wünscht man sich in den eigenen Deutschunterricht zurückversetzt, stolz würde man als Klassenprimus der Lehrkaft das Höralbum unter die Nase halten: Pisa hin, Pause her, so macht Hesse Spaß! Selbst das depressiv-düstere "Im Nebel" mutiert zum Eroti- kum und wirkt im musikalischen Negligé nicht mehr steif und zugeknöpft wie ein Vatermörder, sondern es atmet auf, zeigt Haut und Gefühle, das zart-melancholische Alt-Saxophon schluchzt traumhaft-schön dazu. Sporadisch eingesetzte, italienisch gesungene Verszeilen lockern die Atmosphäre, Tempi und Stimmungen variieren, harmonische Jazz- und Pop-Melodien mit Ohrwurmcharakter sind der ideale Hessesche Versbegleiter - mal zärtlich, mal melancholisch, mal spritzig, aber immer stimmig und meist gut.

"In dieser späten Stunde wacht nur noch die Not und das Laster", haucht eine angenehm-verruchte Männerstimme bei "Spät auf der Straße" - und weht eine Brise "Moulin Rouge" ins Wohnzimmer. Auch beim heiter-ironischen "Schweinerei" treffen die Musiker den richtigen Beat, mit Augenzwinkern besteht Hesse den "Generation: Spaß"-Test: "Und sich ganz und gar als Schwein zu fühlen", lautet der griffige Refrain, das Lied endet mit Schweinegrunzen, Hundebellen und dem frei hinzugefügten Wort "fi..." - sei's drum. Näher an Text und Autor, zugleich ein akustischer Höhepunkt sind die letzten vier Strophen, die der 84jährige Hesse in seinem Leben verfaßte. Das Poem "Lej Nair" widmete er einem kleinen, schwarzen Bergsee im Engadin. "Arve starrt und Lärche schattet, selbst der Wind, noch eben rege, zögert jetzt und sucht ermattet, wo er sich zur Ruhe lege." Schön, daß Hermann Hesse uns in seinen facettenreichen Werken so fern und gleichzeitig so nah bleibt. Wie auf der Fotomontage auf dem CD-Titelbild, auf dem er gütig-wissend ein kleines Kind betrachtet.


 
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