© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Für den Wohlfahrtsstaat gestimmt
Schweden: Sozialdemokraten gewinnen Reichstagswahl / Rechte Parteien bei Kommunalwahl mit Erfolgen
Jörg Fischer

Glücklicherweise hat eine haushohe Mehrheit der Bürger Nein zu Fremdenfeindlichkeit und sozialer Arroganz gesagt. Damit bricht Schweden den europäischen Trend mit rechtspopulistischen Wahlerfolgen" schrieb das Stockholmer Aftonbladet letzten Montag und sprach damit aus, was die Linke in der EU seit Juni 2001 - der Wiederwahl von Briten-Premier Tony Blair - sehnsüchtig erhoffte: das endlich wieder mal einer der ihren eine Wahl gewinnt. Und Schwedens sozialdemokratischer Premier Göran Persson konnte am 15. September, entgegen den Umfragen, mit 39,9 Prozent (1998: 36,4) der Wählerstimmen einen klaren Triumph feiern.

Als ausschlaggebend für den Erfolg seiner sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die seit 1920 fast ununterbrochen den Regierungschef stellt, sei der "Kollaps der Konservativen" mit deren Angriff auf den Wohlfahrtsstaat gewesen, erklärte der 53jährige Persson.

Die bürgerlichen Politiker hatten im Wahlkampf für massive Steuersenkungen geworben, was vor allem von Außenministerin Anna Lindh vehement zurückgewiesen wurde. Neoliberale Ideen kommen im "Volksheim" Schweden nicht gut an - trotz einer Staatsquote von 53,3 Prozent, der EU-Schnitt liegt bei nur 41,6 Prozent. Doch der Block aus Sozialdemokraten und der ex-kommunistischen Linkspartei von Gudrun Schyman (8,3 Prozent, 1998: 12,0) ist im Reichstag mit zusammen 174 von 349 Sitzen weiter auf die 17 Stimmen der Grünen (4,5 Prozent) angewiesen.

Die Grünen forderten daher, in einem neuen Kabinett erstmals Ministerposten zu erhalten. Persson will hingegen weiter eine Minderheitsregierung führen, allenfalls Staatssekretärsposten könne er sich vorstellen. Eine rot-rot-grüne-Koalition sei aus sicherheitspolitischen Erwägungen und wegen deren Euro- und EU-Ablehnung problematisch.

Obwohl das bürgerliche Vier-Parteien-Lager (43,7 Prozent) insgesamt nur einen Sitz verlor, ist dort nun ein Umbruch zu erwarten. Die bislang stärkste Kraft, die konservative Moderate Sammlungspartei unter dem bisherigen Oppositionsführer Bo Lundgren, erzielte mit 15,1 Prozent (1998: 22,9) ihr schlechtestes Ergebnis seit drei Jahrzehnten. Die Christdemokraten (9,1 Prozent) und die sozialliberale Zentrumspartei (6,2 Prozent) blieben hingegen relativ stabil. Mit 13,3 Prozent konnte die liberale Volkspartei (FP) ihren Stimmenanteil fast verdreifachen (1998: 4,7). Deren Spitzenkandidat Lars Leijonborg hatte das Thema Einwanderer - entgegen einer Absprache zwischen allen Reichstagsparteien - in den Wahlkampf eingebracht.

Der 52jährige Wirtschaftsliberale hatte am 3. August im südschwedischen Västervik vor Fernsehkameras eine Wahlkampfrede gehalten. Er forderte, daß Schwedens Einwanderer von Arbeit leben sollten, nicht von Sozialhilfe. Und daß man Schwedisch können müsse, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Daß das FP-Programm hingegen - im Gegensatz etwa zu den Sozialdemokraten - sogar ausdrücklich die Hürden für Zuwanderer auf den Arbeitsmarkt abbauen will, ging im Aufschrei der Medien und anderen Parteien unter.

Den Moderaten brachte das Thema Einwanderung hingegen kurz vor der Wahl nur Scherereien. Fernsehjournalisten hatten letzte Woche inkognito 30 Gemeinden im ganzen Land besucht, um anläßlich der zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen "Gespräche" mit etablierten Gemeindepolitikern zu führen. Die Reporter gaben sich als potentielle Wähler aus und kritisierten die zahlreichen Einwanderer in Schweden.

Jedes Gespräch wurde mit einer versteckten Kamera aufgenommen. Von 54 Politikern wiesen nur zwei die Zuwanderungskritik zurück, die übrigen stiegen darauf ein oder kommentierten sie nicht. Ein Moderaten-Politiker in Köping sagte sogar, Ausländer seien Personen, die der chilenische Diktator Pinochet "nicht mehr geschafft hätte". Ein anderer Parteikollege meinte, daß "Schwarze nur Kinder produzieren" und von der schwedischen Fürsorge lebten. Später wurden die überlisteten Politiker "offiziell" interviewt - und sie wiesen jede einwandererkritische Idee von sich. Am Mittwoch vor der Wahl mußten schließlich drei der gefilmten Lokalpolitiker, zwei Konservative und ein Sozialdemokrat, zurücktreten.

Da es in Schweden eine Vier-Prozent-Hürde gibt, ziehen auch diesmal keine anderen Parteien in den Reichstag ein. Ganz im Gegensatz zu den Gemeindeparlamenten: Hier konnten die rechten Schwedendemokraten des 37jährigen Mikael Jansson erstmals größere Erfolge feiern. In den südlichen Regionen Schonen (Skåne) und Blekinge sowie in den Ballungszentren Malmö und Helsingborg stellen sie nun Gemeinderäte. In Kävlinge, nördlich von Malmö, erreichte die Partei sogar zehn Prozent der Stimmen und damit vier Mandate. In Karlskrona kamen sie auf drei Mandate. Die noch weiter rechts stehenden Nationaldemokraten, die sich letztes Jahr von den Schwedendemokraten abgespaltet hatten, erreichten zwei Mandate in Haninge (bei Stockholm) und Stimmengewinne in Göteborg, ohne dort aber ein Mandat zu erreichen. Die durch martiale Aufmärsche bekannte "Nationalsozialistische Front" (NSF) kam in Karlskrona hingegen lediglich auf 206 Stimmen - das reichte nicht für einen Gemeinderat.


 
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