© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Von Königsberg über Büsingen in die EU
Europa: Die deutsche Enklave in der Schweiz könnte ein Modell für das heute russische Nord-Ostpreußen sein
Bernhard Knapstein

Es gibt viele Wege von Berlin oder Brüssel nach Königsberg. Einer da-von könnte über das beinahe unbekannte Örtchen Büsingen führen. Büsingen am Hochrhein gehört zum Landkreis Konstanz. Es hat 1.500 Einwohner auf exakt 7,62 Quadratkilometern. Damit könnte Büsingen eine kleine Gemeinde unter Tausenden deutscher Gemeinden sein. Ist es aber nicht! Büsingen war, nach den Reformationswirren und allerlei Intrigen aus dem nahen Schaffhausen, seit dem Preßburger Frieden von 1805 zunächst württembergisch, dann badisch. Es ist mithin eine deutsche Insel in der Schweiz. Königsberg ist also nicht die einzige Exklave mit deutschen Bezügen außerhalb der Schengener Grenzen.

Exklavenleben schreit nach Brückenschlag. Während Moskau in das bald von der EU umgrenzte Königsberger Gebiet einen 70 Kilometer langen Tunnel bauen oder einen Korridor gezogen haben möchte, kommt Berlin auch ohne solche Schnapsideen aus. Zwar benötigen die Deutschen Insulaner in der Schweiz kein Visum. Dennoch gibt es keine Sonderrechte an der Grenze.

Der gemeine Büsinger reiht sich - wie alle Grenzgänger - in die Reihen ein, um etwa das Amtsgericht in Konstanz aufzusuchen. Auch deutsche Politiker, nun auf Wahlkampf im idyllischen Örtchen in der Schaffhausener Region, müssen ihren Diplomatenpaß vorzeigen, um von Deutschland nach Deutschland zu gelangen. Allerdings nur einmal, denn Büsingen selbst kennt keine Zollschranken. Büsingen gehört nämlich zum Schweizer Zollgebiet und ist somit weitestgehend an die Schweizer Wirtschaft gekoppelt.

Will ein Büsinger auf dem deutschen "Festland" einkaufen, so muß er im Zweifel Schweizer Zollabgaben entrichten. Dabei geht es "unseren" Exklavingern nicht schlecht. Der deutsche Wein gedeiht auch im Schweizer Zollgebiet nicht schlechter als im deutschen Kernland. Die Büsinger "Buurefasnacht" läßt sich gleichfalls prima feiern. Wenn der Ruf der (deutschen) Bundeswehr kommt, müssen die jungen Männer bereit sein, ihr deutsches Büsingen zu verteidigen. Eine Kaserne gibt es in Büsingen freilich nicht. Dafür wird dem deutschen "Sicherheitsinteresse" dadurch Rechnung getragen, daß sich in Büsingen nie mehr als zehn uniformierte und bewaffnete schweizerische Beamte aufhalten dürfen. Zu Kriegszeiten mußten die Büsinger Soldaten an der Grenze ihre Waffen niederlegen, um sodann durch neutrales Gebiet nach Büsingen zu gelangen.

Auffällig ist in der Hochrheingemeinde nur das Telekom-Häuschen neben der kleineren Telefonzelle der Swisscom. Erst hier mag dem Touristen die Besonderheit des kleinen deutschen, festländischen Eilands auffallen. So einfach kann das Exklavendasein sein. Grundlage all dessen ist ein zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik am 23. November 1964 unterzeichneter Staatsvertrag, durch den Büsingen in das schweizerische Zoll-, Währungs-, Mehrwertsteuer-, und Gesundheitssystem eingebunden worden ist. Hauptsache, der Grenzverkehr wird zügig geregelt.

Königsberg könnte ein zweites Büsingen an der Ostsee werden. Moskau hat damit wohl noch Probleme und scheint Argumentationshilfen zu benötigen. Berlin sollte sich daher Büsingens erinnern und einen Vorstoß Richtung Brüssel und Moskau machen. Bleibt nur zu hoffen, daß ein Königsberger Vertrag schneller als der Büsinger Staatsvertrag zustande kommt. Die beiden Rheinrepubliken haben seinerzeit über zwanzig Jahre miteinander gerungen.


 
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