© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
CD: Neue Töne
Kontraste
Walter Thomas Heyn

Spirit of Shakespeare" benennt der österreichische Gitarrist und Lautenist Stephan Stiens seine bei Col Legno (WWE 2CD 20104) erschienene Solo-CD, auf welcher er Werke des englischen Altmeisters John Dowland (1563-1626) mit der zweiteiligen Royal Winter Music von Hans Werner Henze (Jg. 1926) verknüpft.

Gleich einem musikalischen Reflex auf die letzten Worte von Shakespeares Prosperos "Und in Verzweiflung muß ich enden...", eröffnet die chromatisch absteigende Linie der "Forlorn Hope Fancy" von Dowland die Gegenüberstellung der Tänze und Fantasien der Elisabethanischen Epoche satzweise mit den hochvirtuosen Klangkühnheiten Henzes, der diese beiden Zyklen auf Anregung des englischen Gitarristen Julian Bream in den Jahren 1975/76 und 1979 komponierte. Nach Henzes eigenen Worten bestand der Anspruch, "eine Art Hammerklaviersonate" für die Gitarre zu schaffen, im Sinne einer äußersten Forderung an das Instrument und seine Interpreten.

Die beiden Gewaltfiguren Gloucester und Lady Macbeth bilden die unerbittliche musikalische wie ideelle Klammer der Royal Winter Music. Es sind die Machtmenschen, die das Rad der Geschichte bewegen, aber der Komponist gestaltet nicht nur den äußeren Verlauf, sondern vor allem die innere Entwicklung der Shakespearschen Charaktere. In diesem Sinn schuf Hans Werner Henze ein singuläres Werk der Gitarrenmusik des 20. Jahrhunderts. Stephan Stiens bleibt nicht hinter den berühmten Vorbildern zurück und gelangt zu einer bravourösen, teils zurückgenommenen, teils hochdramatischen Interpretation, die keine Wünsche offen läßt.

Unter dem Gesamttitel "Laudate Ninive" legt das Label Querstand (VKJK 0116) einen Überblick über das vokalsinfonische Werk Günter Neuberts vor. 1936 in Crimmitschau als Sohn eines Lehrerehepaars geboren, lebt der Autor seit 1961 in Leipzig. Die 1975 entstandenen fünf Orchesterlieder "Gewaltig wie der Tod" für Mezzosopran, Bariton und großes Orchester nach dem Hohen Lied Salomons enthalten die hebräischen Liebesgedichte "Frühling", "Liebesnacht" und "Gewaltig wie der Tod" (in den Übersetzungen von Manfred Hausmann), gesungen von Ute Trekel-Burkhardt und Wolfgang Hellmich. Sie werden durch zwei teilweise eruptive Zwischenspiele gegliedert und kontrastiert: "In jeweils nur anderthalb Minuten setzen die orchestralen Interludien ernüchternde Kontraste zur vermeintlichen Spätromantik. Neubert interessieren die Brüche, musikalisch ebenso wie im Fühlen und Denken, auf Lebenswegen oder in historischen Prozessen.

In dieses gedankliche Konzept passen die geradezu derb-grotesken fünf Gesänge "Von menschlichen Schwächen" (1984) hinein: "Von der Menschen Unruhe", "Vom Geiz", "Vom Stolz", "Vom Saufen" und "Von der Uneinigkeit" heißen die Einzelsätze. Und nichts haben die zu DDR-Zeiten so brisanten Lutherischen Texte heute an Aktualität verloren. Neubert findet hier zu einer virtuos-lustvollen Tonsprache von großer Überzeugungskraft, die der Solist Andreas Scheibner mit viel Sinn für Wortdetails umsetzt.

In dem abschließenden Oratorium "Laudate Ninive" (1989) für Baß, Chor, Kinderchor und Orchester nach Texten aus den Büchern Amos und Jona und aus dem Gebet des Manasse mit Hermann Christian Polster, der Meißner Kantorei und den Dresdener Kapellknaben hochkarätig besetzt, zieht Neubert ein Resümee seiner musikalischen Erfahrungen. Dem orchestralen Inferno des Werkbeginns stehen am Ende nur noch menschliche Stimmen gegenüber, die in einer Schlußmotette bereuen und um Vergebung der Sünden bitten. Die zeitlose Schönheit dieses Satzes beendet die respektable Werkschau eines unbeirrt schaffenden Künstlers, der seinen Prinzipien treu geblieben ist.


 
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