© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
West trifft Ost
Geteiltes Deutschland : Eine Doppelausstellung in Leipzig zeigt Kunst und Kultur der achtziger Jahre
Ekkehard Schultz

Was war das Charakteristische der achtziger Jahre in West- und Mitteldeutschland? Im Westen begann mit der Amtsübernahme von Kohl ein wirtschaftlicher Scheinaufschwung, im Osten war dagegen der beständige ökonomische Abstieg nicht mehr zu übersehen. Mit Milliardenkrediten erhielt Westdeutschland - mit besonderer Unterstützung aus Bayern - die DDR-Ruinen am seidenen Lebensfaden. Die mit der Transferierung des Geldes verknüpfte Hoffnung auf einen inneren Reformprozeß des mitteldeutschen Staatswesens blieb freilich Wunschdenken: Jeden Versuch, den Anfängen einer wirtschaftlichen auch eine politische Öffnung folgen zu lassen, betrachtete die DDR-Regierung als "Einmischung" in ihre "inneren Angelegenheiten". Aus Überzeugung oder aus Opportunität bekräftigten zahlreiche westdeutsche Politiker noch diese Ansicht und warnten vor jeder Hoffnung auf Wiedervereinigung, die sie als große Gefahr bewerteten.

Und welche Rolle spielte in dieser Zeit die Kunst? Antworten auf diese Frage versucht die Bundeszentrale für politische Bildung mit Hilfe der Doppelausstellung "Klopfzeichen" und "Wahnzimmer" zu finden, die derzeit im Leipziger Zeitgeschichtlichen Forum sowie im Museum für bildende Künste Station macht. Zu diesem Zweck wurde eine Fülle von Werken west- und mitteldeutscher Künstler, darunter Joseph Beuys, Volker Henze, Martin Kippenberger, A. R. Penck und Werner Tübke, im annähernd paritätischen Verhältnis zusammengetragen.

Mit Hilfe des Querschnitts versuchen die Ausstellungen, den Blick des Besuchers auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der künstlerischen Wahrnehmung des politischen Alltags in beiden Teilstaaten zu richten. Eine Hilfestellung liefert dafür auch die Aufgliederung von Lebensläufen bekannter und weniger bekannter Künstler, in der die Verbindungen der "Szene" untereinander plastisch dargestellt werden.

Das interessanteste Thema der Ausstellungen stellt die Analyse der jeweiligen Sicht auf die Deutschlandfrage bzw. der künstlerische Blick auf den anderen Teilstaat dar. Bereits 1997 widmete sich im Martin-Gropius-Bau in Berlin die Ausstellung "Deutschlandbilder - Bilder aus einem geteilten Land" einem ähnlichen Komplex. Stärker noch als in dieser wird dem Besucher in Leipzig verdeutlicht, daß die Auseinandersetzung mit dem Thema "Deutschland" in der DDR gegenüber Westdeutschland nicht nur grundsätzlich weitaus intensiver war und auch blieb, sondern auch starke Kontinuitäten zu den frühen Nachkriegsjahren aufweist.

Dagegen war in der westdeutschen Kunst schon seit den sechziger Jahren eine deutliche Abwendung mit ähnlichen Fragestellungen zu spüren. Einen ersten Wendepunkt stellte jedoch die Ausweisung prominenter DDR-Künstler wie Wolf Biermann Ende der siebziger Jahre dar. Hier setzte eine Solidarisierung von westdeutschen Künstlern mit den Ausgewiesenen ein, die - allerdings in einem langwierigen Prozeß - eine Wiederentdeckung der deutschen Frage auch im Westen bewirkte.

Die Ursache dieses Prozesses lag allerdings weniger in dem tatsächlichen Widerstandspotential der Künstler, als vielmehr in der Unfähigkeit des SED-Regimes zur Konfliktbewältigung. Die DDR-Führung verkannte, daß die seit Mitte der siebziger Jahre verstärkt praktizierte Zwangsausweisung prominenter Schriftsteller, Schauspieler und Drehbuchautoren wie Sarah Kirsch, Manfred Krug oder Armin Müller-Stahl für sie nicht nur den Verlust eines erheblichen schöpferischen Potentials und einen Ansehensverlust nach außen bewirkte, sondern letztlich auch nicht die erhoffte innenpolitische Beruhigung erbrachte. Die "Bestrafung" Einzelner durch Verfolgung, Repressionen und Ausweisung bewirkte statt dessen häufig einen Dominoeffekt durch eine Förderung des Protestpotentials der verbliebenen Kollegen.

Wie der DDR-Staat sie vielfach einst hofiert hatte, so säuberte er nach dem erzwungenen Fortzug in stalinistischer Manier auch noch in den achtziger Jahre sämtliche Spuren der "Renegaten". Bereits gedruckte Bücher wurden eingezogen und eingestampft. Sogar Schulbücher der Unter- und Mittelstufe, die nur wenige Zeilen eines nunmehrigen "Staatsfeindes" erhielten, wurden umgehend durch Neuauflagen ersetzt.

Die entstandenen Verluste konnte die DDR nur schwer ausgleichen. Strategisch versuchte daher die Staats- und Parteiführung in den achtziger Jahren - auf der Basis der großen Begeisterung vieler Jugendlicher für westliche Interpreten - ausgewählte "fortschrittliche" Vertreter für die Durchführung von Veranstaltungen im eigenen Land zu gewinnen. Obwohl diese Bemühungen teilweise von Erfolg gekrönt waren, scheiterte doch die erhoffte Einbindung der West-Künstler in politische Kontexte fast durchweg. Dafür waren weniger Differenzen in finanziellen und ideologischen Fragen verantwortlich, als die nahezu zwangsläufige Beschneidung der künstlerischen Autonomie durch die SED-Machthaber. Solche Eingriffe vermochten bei allen formalen politischen Gemeinsamkeiten die Interpreten doch nicht zu tolerieren. Damit fand ihr kurzes DDR-Gastspiel meist ein schnelles Ende - man denke nur an Udo Lindenberg.

Faßt man die Eindrücke der Ausstellungen zusammen, so ist festzuhalten, daß die Kunst der achtziger Jahre die Behandlung der deutschen Thematik in beiden Teilstaaten wieder stärker aufnimmt und dadurch die Gräben zwischen Ost und West - zumindest auf ihrem Gebiet - wieder etwas verkleinerte. Doch nicht in der Kunst selbst lag der Auslöser dieser Entwicklung, sondern im politischen Dogmatismus des SED-Regimes, das es nicht vermochte, Widersprüche im Rahmen seines Systems zu klären, sondern auf den Wunsch nach mehr künstlerischer Freiheit mit Repressionen und schließlich mit erzwungenen Ausreisen reagierte. Die daraus resultierende Ernüchterung der Betroffenen, ihrer Berufskollegen und nicht zuletzt auch der Öffentlichkeit verkehrte die zumeist unpolitischen Intentionen in ihr Gegenteil.

So höhlte der stete Tropfen tatsächlich den Stein: Der Verlust der künstlerischen "Avantgarde" wog zwar schwer, aber noch war diese eine überschaubare, verhältnismäßig kleine Gruppe. Doch ihr folgten bald (1989) die weitaus größeren Scharen von Arbeitern und Intellektuellen, die die Staats- und Parteiführung der DDR einst ebenfalls als "Bannerträger des Sozialismus" gekürt hatte. Noch einmal versuchte sie nach dem scheinbar bewährten Muster Erinnerung auszulöschen. Dieser Versuch war der letzte Nagel auf dem bereitstehenden Sarg.

Fotos: Wolf Biermanns Arbeitstisch: Der 1976 zerteilte Tisch - die eine Hälfte kam mit dem Liedermacher nach dessen Ausbürgerung in die Bundesrepublik, die andere blieb bei Freunden in der DDR - ist für die Ausstellung "Mauersprünge" wieder zusammengeführt worden.

Geschenke: SED-Staatschef Erich Honecker revanchierte sich mit einer Schalmei bei Udo Lindenberg, der ihm eine Lederjacke geschenkt hatte

Die Ausstellung "Klopfzeichen" im Zeitgeschichtlichen Forum, Grimmaische Straße, wird bis zum 27. Oktober täglich außer montags 9 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 10 Uhr gezeigt. Der Katalog kostet 20 Euro. Info: 03 41 / 2 16 99-0.


 
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