© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Selbstheilung
Karl Heinzen

Die schlechte Konjunkturlage bekommen auch Branchen zu spüren, die bislang als wenig krisenanfällig galten. Nun klagen sogar die Insolvenzverwalter darüber, daß sich sehr viele der von ihnen abgewickelten Verfahren schlichtweg nicht mehr rechnen. Zahlreiche Schuldner seien gänzlich mittellos, die durch sie entstehenden Kosten würden durch die Mindestgebühr zu weniger als einem Fünftel gedeckt. Die Branche rechne mit einer durch derartige Fälle bedingten Ergebnisschmälerung von 60 Millionen Euro. Der Anpassungsdruck, dem sich die Insolvenzverwalter ausgesetzt sehen, ist politisch nicht intendiert, mußte aber in Kauf genommen werden. Der Gesetzgeber wollte durch eine Rechtsänderung im vergangenen Jahr auch völlig Mittellosen den Zugang zum Insolvenzverfahren öffnen. Dieses Ziel hat er auf eindrucksvolle Weise erreicht. Die wirtschaftliche Entwicklung läßt erwarten, daß man von seinem Angebot in wachsendem Umfang Gebrauch machen wird.

So bedauerlich es auch sein mag, daß sich mit immer mehr Schuldnern immer weniger verdienen läßt: Der Ruf nach dem Staat, das Verlangen nach einer neuerlichen Gesetzesänderung wäre der falsche Weg. Die Branche muß vielmehr von sich aus nach einer Gesundung ihrer Kostenstrukturen streben, um am Markt erfolgreich zu bleiben. Auf diese Weise trägt sie zugleich dazu bei, daß junge Menschen die Karriereperspektiven, die ihnen dieser Zukunftsberuf bietet, erkennen können.

Die Dienstleistungsgesellschaft läßt auch jene Mitbürger, die in wirtschaftlicher Not sind, nicht allein. Sie eröffnet vielmehr so manchem die Chance, an ihnen zu verdienen. Unternehmerbegabungen mit der richtigen Geschäftsidee können daher auch in Zeiten, in denen viele glauben, es ginge ihnen schlecht, dem Trend zur Miesmacherei durch ein Erfolgsbeispiel trotzen. Je mehr Arbeitslose und Überschuldete es gibt, desto größer wird der Bedarf nach Menschen, die sich ihrer annehmen, die sie beraten und für die Abwicklung ihrer Angelegenheiten sorgen.

Durch ihre Leistung geben diese Menschen zum einen einen Eindruck davon, was die Selbstheilungskräfte des Marktes vermögen. Zum anderen weisen sie den Weg in die Berufswelt von morgen. Unverändert wird man den Teil des Sozialprodukts, der an die Massen ohne nennenswertes Vermögen fließt, nach einer wie auch immer bewerteten Arbeitsleistung unter ihnen verteilen wollen, statt ihn einfach nur zu verschenken. Dieser Konservatismus erfordert aber, daß man möglichst vielen Menschen einen Arbeitsplatz bietet, ganz gleich, wie entbehrlich dieser letztlich für Produktivität und Wachstum auch sein mag.

Um nicht ständig neue Berufe erfinden zu müssen, bietet sich ein System wechselseitiger Dienstleistungen an. Wenn jeder andere berät und von anderen beraten wird, ist nicht nur die Beschäftigung auf eine stabile Grundlage gestellt. Es kehrt auch ein Stück Humanität zurück in unsere Arbeitsbeziehungen.


 
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