© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Rollende Köpfe
Nach den Bundestagswahlen: CDU und SPD tauschen Fraktionsvorsitzende aus / FDP-Landeschef Möllemann wehrt sich gegen seine Ablösung
Matthias Bäkermann

Nach näherer Analyse der Ergebnisse am Montag nach der Bundestagswahl werden nun in allen Parteien vor einer politischen Schlußfolgerung zuallererst die personellen Konsequenzen gezogen. Dabei entledigen sich die Parteien gleichzeitig des Ballastes an störenden, ungeschickten und unbequemen "Parteifreunden". In den Wochen zuvor zwang die wahltaktische Disziplin dazu, die Personalplanungen in den geheimen Schubladen der Vorstandsgremien der Parteien zu belassen.

Besonderes Beispiel für eine derartige Konsequenz ist der nordrhein-westfälische FDP-Landesvorsitzende Jürgen W. Möllemann, 57, dessen Briefwurfsendung drei Tage vor der Wahl seine parteipolitischen Gegenspieler auf den Plan gerufen hatte. Die Forderung nach seinem Rücktritt als stellvertretender Bundesvorsitzender deutete sich jedoch bereits vorher an - Parteichef Guido Westerwelle, 40, vermied bereits seit Mai, nach Möllemanns medienwirksamen Streit mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman, einen zu engen Schulterschluß mit dem querschießenden Fallschirmspringer. Damals büßte der Initiator des "Projektes 18" auch die Unterstützung der FDP-Altvorderen, darunter die Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher, ein.

Nach dem erneuten Aufflammen der Debatte und dem mageren Ergebnis von 7,4 Prozent konnte Möllemann dem Druck nicht mehr standhalten. Auf der Bundesvorstandssitzung am Montag mußte er dem Drängen nachgeben und seinen Rücktritt erklären. In seiner Stellungnahme gab er jedoch indirekt zu verstehen, daß er seine angeblich "antisemitische" Postwurfsendung nicht als Auslöser der Wahlniederlage versteht. "Hiermit übernehme ich meinen Teil der Verantwortung für unser gestriges Wahlergebnis, insbesondere für das schlechte Abschneiden in Bayern und Baden-Württemberg", betonte Möllemann, wohlwissend, daß er mit zweiprozentigem Stimmenzuwachs auf 9,3 Prozent in Nordrhein-Westfalen ungleich erfolgreicher war als seine schärfsten Kritiker. Der baden-württembergische Landesvorsitzende Walter Döring, 48, der Möllemann schon früher als "Quartalsirren" bezeichnet hatte, verschlechterte sich im FDP-Stammland um ein Prozent und kam auf 7,8 Prozent, in Bayern verfehlten die Liberalen unter ihrer linken Landes-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 51, mit 4,5 Prozent sogar deutlich die Fünf-Prozent-Marke.

Mit Spannung erwarten die Liberalen jetzt die kommende Machtprobe zwischen Möllemann und seinen innerparteilichen Kritikern um Parteichef Westerwelle auf einem Sonderparteitag, der am 7. Oktober stattfinden soll. "Ich werde keinen Millimeter nachgeben", kündigte Möllemann nach einer Landesvorstandssitzung am Montag an. Er habe die FDP in NRW aus der "Nicht-Existenz" zu guten Wahlergebnissen geführt. Die Basis werde ihm das Vertrauen aussprechen. Als Gegenkandidat zu Möllemann steht dessen Stellvertreter Andreas Pinkwart bereit.

Auf keinen Fall will sich der nordrhein-westfälische FDP-Chef die Alleinschuld am bundesweiten Abschneiden seiner Partei in die Schuhe schieben lassen. Die FDP habe im Bundestagswahlkampf zahlreiche Fehler gemacht, sagte Möllemann. So sei die Plakatierung "dilettantisch" gewesen. Die FDP sei zudem nicht sichtbar gewesen, "als ganz Deutschland über Irak sprach". Auch während der Flutkatastrophe habe die Partei nicht auf sich aufmerksam machen können. Das Abschneiden der FDP könne deshalb nicht einfach mit dem von ihm herausgegebenen Flugblatt begründet werden.

Nordrhein-Westfalen als neue Perspektive für Friedrich Merz

Seinen Posten bereits räumen mußte der bisherige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz. Nach der Ankündigung seiner Parteivorsitzenden Angela Merkel, fortan die Fraktion im Bundestag führen zu wollen, zog der 46jährige am Montag die erneute Kandidatur für sein Amt zurück. Die parteiinterne Demütigung Merz', der seinen Wahlkreis im Sauerland mit 53,7 Prozent direkt gewinnen konnte, vollzog sich kurz zuvor hinter verschlossenen Türen in der CDU-Präsidiumssitzung. Hier versammelte die machtbewußte Pommerin die Mehrheit der CDU-Führung demonstrativ hinter sich, um dem Rechtsanwalt und Nachfolger Wolfgang Schäubles seinen Platz im Falle einer Kampfabstimmung zu demonstrieren. Am Dienstag wurde Merkel dann ohne Gegenkandidaten als Fraktions-Chefin der CDU/CSU mit großer Mehrheit gewählt. Lediglich 18 Abgeordnete stimmten gegen die 48jährige. Ihr Stellvertreter wurde Michael Glos als gleichzeitiger Chef der CSU-Landesgruppe.

Die nähere politische Zukunft von Merz ist ungewiß, der verhinderte Eichel-Nachfolger hat nach eigener Aussage "andere Koordinaten als nur politische Ämter" und will sich neben seinem Bundestagsmandat verstärkt um seine Anwaltskanzlei kümmern. In der CDU-Landespolitik in Nordrhein-Westfalen gäbe es für Merz vielleicht bessere Perspektiven - gegenüber dem farblosen Landeschef Jürgen Rüttgers dürfte sich seine Partei mit ihm bei den Landtagswahlen in zwei Jahren deutlich mehr Chancen ausrechnen.

Auch der kantige SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler, 58, mußte sein kurzes Gastspiel als Fraktionsvorsitzender beenden. Da seine scharfe Polemik im Wahlkampf gegen den US-Botschafter Daniel Coats ("Herr Coats ist kein Botschafter Abrassimow. Er bestimmt nicht die außenpolitischen Richtlinien der Bundesregierung") und seine Darstellung der hegemonialen Weltmacht USA ("Bush benimmt sich so, als sei er der Princeps Cäsar Augustus und Deutschland die Provinzia Germania") Kanzler Gerhard Schröder in nächster Zukunft zu schmachvollen "Canossa-Gängen" in Richtung Washington nötigen wird, konnte man diese Antwort des Kanzlers und Parteivorsitzenden erwarten. Sein Nachfolger Franz Müntefering wird zudem mehr Geschick als "Zuchtmeister" der kleiner gewordenen Fraktion zugebilligt, um Abstimmungen nicht durch störrische SPD-Hinterbänkler zu gefährden. Als neuer Generalsekretär der Bundespartei wird der Landesvorsitzende der Hamburger SPD, Olaf Scholz, gehandelt.

Der Rücktritt von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin kommt demgegenüber dem Bundeskanzler in doppelter Hinsicht entgegen. Da ihr Rücktritt wegen des umstrittenen Bush-/Hitler-Vergleichs unmittelbar vor der Wahl als nunmehr neunte Kabinettsumbildung einem politischen Offenbarungseid gleichgekommen wäre, ging Däubler-Gmelins Rücktritt nun in der Neuaufstellung des Kabinetts unter. Schröders Hoffnung, daß der Rücktritt Däubler-Gmelins in den USA als außenpolitisches Signal der Nach-Wahl-Regierung verstanden wird, ging allerdings nicht auf. Darüber hinaus steht ihr vakanter Ministerposten nun als Verhandlungsgegenstand für eventuelle Forderungen des erstarkten grünen Koalitionspartners zur Verfügung. Für das Amt im Gespräch sind die bisherige Staatssekretärin im Innenministerium, Brigitte Zypries und die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ute Vogt. Die 37jährige Rechtsanwältin gehört seit der Übernahme des SPD-Landesvorsitzes in Baden-Württemberg 1999 zur nächsten Führungsgeneration der Sozialdemokraten.

Dietmar Bartsch gilt als Schuldiger der Niederlage

Bei der durch das Ausscheiden aus dem Bundestag paralysierten PDS hat der Schock über das schlechte Ergebnis auf Bundesebene wie auch in Mecklenburg-Vorpommern bislang noch keine Konsequenzen verursacht. "Wer jetzt mit meinem Rücktritt gerechnet hat, den muß ich leider enttäuschen", erklärte die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer auf einer Pressekonferenz am Montag. Alle personellen Entscheidungen treffe der Bundesparteitag in drei Wochen in Gera, auf dem sie mit ihrer erneuten Kandidatur eine Nagelprobe riskieren wird. Außerdem dürfe das miserable Wahlergebnis, so Zimmer, nun nicht dazu führen, daß man dessen Aufarbeitung mittels "Suche nach Sündenböcken" betreibe.

Diese Suche hat der sächsische PDS-Landesverband jedoch bereits aufgenommen und ist mit dem 44jährigen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch fündig geworden. Der Vorstand des stärksten Landesverbandes der SED-Nachfolgepartei forderte unisono den Rücktritt von des seit 1997 im Amt stehenden Bartsch, da das "Anbiedern an die SPD die PDS zur Westentaschenreserve der Sozialdemokraten degradiert" habe. Im persönlichen Fall hat diese "Anbiederung" zumindest dazu geführt, daß nicht nur der SPD-Bundestagsabgeordnete Manfred Opel, sondern auch der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck diejenigen aus der PDS zum Parteiwechsel eingeladen haben, "die eigentlich sozialdemokratisch ticken", wie Platzeck formulierte.


 
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