© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Die falschen Waffen gewählt
Bundestagswahl II: Die Union ist an ihrer Profillosigkeit gescheitert
Michael Wiesberg

Vor der Bundestagswahl konstatierte Emnid-Chef Schoeppner das "größte Beunruhigungsgefühl in der Bevölkerung seit Jahren". Die Angst vieler Deutscher vor der Zukunft - so eine immer wieder kolportierte Beobachtung - wachse. Eine Angst, die einen sehr realen Hintergrund hat. Ob nun die zerrütteten sozialen Sicherungssysteme oder die bedrohlichen Konsequenzen der demographischen Entwicklung: auf keine dieser Fragen gibt es bisher von rotgrüner oder anderer Seite eine plausible Antwort. Für eine ambitionierte Opposition eigentlich eine ideale Konstellation, um zu punkten. Dennoch konnten sich die Unionsparteien mit ihren Kandidaten Edmund Stoiber nicht gegen den amtierenden sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder durchsetzen. Rot-Grün wird in den kommenden vier Jahren weiter die Geschicke Deutschlands bestimmen.

Stoiber unterstrich noch am Wahlabend, daß die Union mit Sachthemen - und nicht mit einem Populismus à la Schröder - versucht habe, den Wähler zu erreichen. Diese auf Seriosität angelegte Kampagne der Union, die lange Zeit erfolgversprechend erschien, ist freilich in der alles entscheidenden Schlußphase grundsätzlich gescheitert. Der Vorsprung der Union schmolz und schmolz, ohne daß diese noch einmal das Ruder hätte herumwerfen können. Die Wahlkampfstrategen der Union fanden auf den sich abzeichnenden Meinungsumschwung keine passende Antwort mehr. Dies deshalb, weil ihnen die Gesetze der Mediendemokratie offensichtlich immer noch fremd sind.

Die Berichterstattung der Medien hat sich in den letzten Jahren zu einer funktionalen Voraussetzung für den Erfolg von Politikern entwickelt. Der Einfluß politischer Marketing-Konzepte steigt proportional zur schwindenden weltanschaulichen Bindung an die Parteien. Kommunikation spielt also eine entscheidende, wenn nicht die Schlüsselrolle in der "Informationsgesellschaft". Die Kommunikation politischer Inhalte muß, soll sie zum Erfolg führen, die Aufmerksamkeit der "Öffentlichkeit", meint: der Medien, auf sich ziehen.

Die SPD führte einen Angriffswahlkampf

Deshalb bedarf sie einer strategischen Konzeption, will sie im heutigen Meer der Nachrichten, Meinungen und Informationen wahrgenommen werden. Dies ist der Kern der Rede von der "Amerikanisierung des Wahlkampfes", die mit den Rede-Duellen zwischen Stoiber und Schröder einen signifikanten Höhepunkt gefunden hat. Zu diesem "amerikanisierten Wahlkampf" gehören neben der Personalisierung die Konzeption des Wahlkampfes als Wettstreit bzw. als Angriffswahlkampf.

Der SPD ist es zum einen gelungen, den Wahlkampf auf die Frage Stoiber oder Schröder zuzuspitzen und damit zu banalisieren. Die Demoskopie nahm diese Zuspitzung dankbar auf. Kein Tag vor der Wahl verging ohne neue Trendmeldungen oder "Sympathiekurven". Diese Personalisierung des Wahlkampfes fiel deutlich zuungunsten der Union aus. Die Sympathiewerte für Schröder lagen immer deutlich vor denen Stoibers.

Zum anderen führte die SPD einen Angriffswahlkampf, in dem die Kritik und die Diffamierung des Gegners immer wichtiger sind als die Propagierung der eigenen Ziele. Diese beschränkten sich auf die diffuse Auskunft, den "gesellschaftlichen Reformprozeß" weiterführen zu wollen. Auch diesem Angriffswahlkampf der SPD hat die Union wenig entgegenzusetzen gewußt. Die Gründe hierfür liegen nicht nur in dem insuffizienten Personal der Union, die sich - um nur ein Beispiel zu nennen - mit Laurenz Meyer einen Generalsekretär leistet, der einem Totalausfall gleichkommt. Nichts ist bei diesem Mann von jener Schärfe und Polemik zu spüren, wie sie beispielsweise einem Heiner Geißler eigen war. Statt dessen dominieren Tantenhaftigkeit und Zögerlichkeit die Union, gegenüber der es Schröder leicht fiel, sich medial als "Macher" in Szene zu setzen.

Wie in dieser Frage blieb die Union auch auf anderen Politikfeldern, die die Zukunft dieses Landes bestimmen werden, blaß. Freilich nicht nur die Union. Im Grunde wurde keine der für die Zukunft Deutschlands relevanten Probleme von den im alten und neuen Bundestag vertretenen Parteien beantwortet. Arnulf Baring orakelt deshalb möglicherweise nicht zu unrecht, als er feststellte: "Meines Erachtens werden wir uns in einem Jahr fragen müssen, ob dieser Parteienstaat am Ende ist."


 
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