© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Die Welt mit anderen Farben sehen
Wissenschaftspublizistik: Wie sich die Augenkrankheiten von Monet und Degas auf ihre Malerei ausgewirkt haben
Werner Olles

Wissenschaftsjournalismus ist eine heikle Sache. Auf der einen Seite müssen die Aufsätze fachlich sauber und korrekt sein, auf der anderen verständlich und flüssig geschrieben. Bei der in vier Ausgaben pro Jahr erscheinenden Zeitschrift Max Planck Forschung, die von der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. mit Sitz in Berlin herausgegeben wird, werden alle Artikel in der Regel bis zu fünf Mal zwischen Redaktion, Autoren und Wissenschaftler abgestimmt. Dieses "Ringen" sieht man den fertigen Texten jedoch nicht an. Ein Indiz dafür ist, daß laut der letzten Leserumfrage 62 Prozent der Leser die Texte für überwiegend "gut verständlich" und 36 Prozent sie immerhin für "verständlich" hielten. Dabei sind 94 Prozent der Leser keine Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft, für deren Information das in einer Auflage von 31.000 Exemplaren in deutscher und englischer Sprache erscheinende Heft urprünglich einmal gedacht war.

Primär berichtet die Zeitschrift über die Arbeit der 80 Forschungsinstitute der MPG, in denen etwa 11.200 Mitarbeiter, davon etwa 3.100 Wissenschaftler tätig sind. Neben den verschiedenen Rubriken wie "Schwerpunkt", "Forschung aktuell", "Faszination Forschung", "Wissen aus erster Hand", "Forschung und Gesellschaft", Zur Person", "Im Fokus", "Institute aktuell", "Standorte" und "Neu erschienen" bietet die MPF einen Kongreßbericht und ein Essay.

Das Schwerpunktthema der jüngsten Ausgabe 2/2002 lautet "Wissenschaft im Wechselspiel". In seinem Aufsatz "Die Welt mit anderen Augen malen" schildert Ralf Dahm vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungs-Biologie wie prominente Künstler auf ihre Augenkrankheiten reagiert haben und wie sich diese Leiden in ihren Werken spiegeln. Als berühmtestes Beispiel für eine veränderte Sinneswahrnehmung gilt der Fall des französischen Impressionisten Claude Monet (1840-1926). Monet hatte die Angewohnheit über Jahrzehnte hinweg immer wieder das gleiche Motiv zu malen; daher lassen sich diese Darstellungen zu verschiedenen Zeitpunkten im Leben des Künstlers vergleichen. Er wurde 86 Jahre alt, daurch entwickelte sich sein grauer Star so weit, daß er seine Sehfähigkeit stark beeinträchtigte. Sein Leiden hatte der Maler erstmals bei einer Reise nach Venedig im Jahre 1908 erkannt. Dem fast Siebzigjährigen fielen seine Probleme bei der Farbwahl auf, Formen konnte er hingegen noch exakt wiedergeben. Ein paar Jahre später kam zur Verfärbung der Linsen auch ein grauer Star. Genau zu dieser Zeit trat eine Veränderung in seiner Art zu malen ein. Seine Werke zeigten jetzt weniger Details und zunehmend verschwammen die Formen. Er selbst empfand seine Malerei als "immer dunkler", zuweilen packte ihn nackte Verzweiflung, und er hätte seine Bilder am liebsten zerstört. Den Detailverlust glich er gegen Ende seines Lebens mit den übergroßen Formaten der Bilder aus. Besonders die zwischen 1918 und 1922 entstandenen Gemälde des Seerosenteichs, der japanischen Brücke und der Blumentore in seinem Garten in Giverny offenbaren den dramatischen Formenverlust. 1922 schrieb er in tiefster Depression, daß er nichts Schönes mehr schaffen könne, er habe einige seiner Bilder vernichtet, er sei nun fast blind und müsse wohl zu malen aufhören. Im Alter von 83 Jahren unterzog er sich 1923 einer Augenoperation. Aber erst eine zweite Operation verbesserte sein Sehvermögen, zudem mußte er sich nun an eine Star-Brille gewöhnen, mit der er nur schlecht zurechtkam. Zwei Jahre später fand er endlich eine geeignete Brille. Überglücklich schrieb er, daß er wieder gut sehen könne und hart arbeiten würde. Leider war sein Glück nur von kurzer Dauer. Monet starb am 5. Dezember 1926 in seinem Haus in Giverny.

Edgar Degas (1834-1917), einer der bedeutendsten Maler des 19. Jahrhunderts hatte bereits seit seiner Jugend schlechte Augen. Mit den Jahren verschärften sich die Augenprobleme des Künstlers. Die Makula beider Augen war stark geschädigt, und er verlor sein zentrales Gesichtsfeld. Seine Bilder wurden immer gröber und verschwommener, seine Kreuzschraffierung breiter, und er bekam zunehmend Schwierigkeiten, Farben zu erkennen. Von 1903 an sah Degas so schlecht, daß er gezwungen war, die Malerei fast ganz aufzugeben; statt dessen wandte er sich der Bildhauerei zu.

Max-Planck-Gesellschaft. Postfach 10 10 62, 80084 München. Der Bezug ist kostenlos.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen