© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Im Schatten der Vergangenheit
Günter Holzweißig beschreibt die DDR-Medien als Propaganda-Apparat der Partei und ihre gewandelte Kontinuität im Nachwende-System
Detlef Kühn

Manche Beobachter der Entwicklung in den "neuen" Bundesländern sind überrascht, wenn sie erfahren, daß der Zeitungsmarkt dort immer noch von den ehemaligen Bezirkszeitungen der SED dominiert wird. Wer eine Antwort auf die Frage nach dem Warum dieser nicht unbedenklichen Entwicklung sucht, wird auch insofern in dem Buch von Günter Holzweißig fündig.

Es gehört zu den Vorzügen seiner Mediengeschichte der DDR, daß sie nicht endet, als die Allmacht der Partei der Arbeiterklasse aufhörte, sondern auch die "Neuorientierung im Schatten der Vergangenheit" nach der friedlichen Revolution von 1989, ebenso wie vorher schon die Anfänge unmittelbar nach Kriegsende in der Sowjetischen Besatzungszone, behandelt. Holzweißig ist seit langem ausgewiesener Kenner der Materie, der sich bereits als leitender Mitarbeiter im Gesamtdeutschen Institut vor der Wende intensiv mit den Medien im SED-Staat beschäftigt hat. Der Titel seines Buches geht, wie könnte es anders sein, natürlich auf ein Wort Lenins zurück, das bis 1989 immer wieder als verbindliche Richtschnur in Anweisungen und Richtlinien in der DDR zitiert wurde. Aber schon in seinen Vorbemerkungen stellt Holzweißig mit Recht heraus, daß diese angeblich schärfste Waffe der Partei im Grunde immer stumpf war. Wenn Presse und Rundfunk sich als "kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator" verstehen müssen, sind Langeweile und dürftiger Informationsgehalt einfach vorprogrammiert.

Dennoch beweist Holzweig, daß trotz dieser traurigen Vorgaben eine Mediengeschichte der DDR nicht langweilig zu sein braucht. In einer Zeit, in der die unter Dreißigjährigen kaum noch eigene Erinnerung an das politische System dort haben und Legendenbildungen von DDR-Nostalgikern eine gewisse Konjunktur erleben, kann Holzweißig manche durchaus interessante und spannende Information über die DDR vermitteln. Dabei zieht er immer wieder Vergleiche mit der anderen deutschen Diktatur im 20. Jahrhundert, was einige seiner Kritiker, die wenigstens auf den Antifaschismus in der DDR stolz sein wollen, schon erheblich irritiert hat. Allerdings muß sogar das "Neue Deutschland" in seiner Besprechung anerkennen, daß an den von Holzweißig geschilderten Fakten nichts auszusetzen ist. Eine erhebliche Rolle spielt natürlich die Zensur, im Parteijargon der SED "Anleitung" der Massenmedien genannt. Eine direkte Vorzensur gab es nur bei den in geringer Auflage erscheinenden Kirchenblättern, die es sich nicht selten gefallen lassen mußten, mit leeren Flächen zu erscheinen, sonst hätten sie nicht gedruckt und durch die Post vertrieben werden dürfen. Alle anderen Publikationen und der Rundfunk kamen ohne diese besonders plumpe Form staatlicher Stellen aus. Am Ergebnis änderte das nichts: Die SED-Presse lief am Gängelband der Bürokraten im Zentralsekretariat und die Presse der Blockparteien an dem des staatlichen Presseamts. Die "Schere im Kopf" der sorgfältig ausgewählten und geschulten Journalisten sorgte schon - neben detaillierten Anweisungen, was zu behandeln oder nicht zu behandeln war - dafür, daß nichts Unvorhergesehenes passierte. Notfalls schaltete sich Erich Honecker persönlich ein, dessen Eingriffe in letzter Minute vor allem beim Fernsehen gefürchtet waren.

Spannend ist die Darstellung der Erosion der SED-Medienherrschaft in der Honecker-Ära. Hier sahen sich die DDR-Medien nicht nur der viel attraktiveren Konkurrenz der Westmedien im Hörfunk und Fernsehen gegenüber, die sie ja von Anfang an kannten, sondern ab 1985 auch noch - im Zeichen von Glasnost und Perestroika unter Gorbatschow "negativen" Einflüssen aus der Sowjetunion, von der man ja eigentlich lernen wollte, wie man siegt. Als sich im November 1988 Erich Honecker höchst persönlich gezwungen sah, die sowjetische Monatszeitschrift Sputnik, die dem amerikanischen Readers Digest ähnelte und unter anderem mit der stalinistischen Vergangenheit der KPdSU abrechnete, in der DDR zu verbieten, wurde dies allgemein als Menetekel empfunden. Diese Tat, die Honecker hinter dem Rücken des eigentlich für die Postzeitungsliste zuständigen Postministers Rudolph Schulze (Ost-CDU) beging und als "Pressemitteilung des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen" eigenmächtig publizierte, wird von Holzweißig zu Recht als Anfang vom Ende der Medienherrschaft der SED geschildert. Schulze erfuhr davon erst aus dem Neuen Deutschland.

Wichtig und zum Teil anrührend sind die 20 Dokumente, die im Anhang abgedruckt werden, darunter eine Zusammenstellung der Anweisungen, die das Politbüromitglied Joachim Herrman dem SED-Blatt Ostsee-Zeitung erteilte, oder ein Interview mit der Sprecherin der "Aktuellen Kamera" im DDR-Fernsehen, Angelika Unterlauf, die gestand, sie habe sich für manche der von ihr verlesenen Meldungen geschämt. Bei einer zweiten Auflage sollte hier auch der erste, nicht zensierte Bericht über Massendemonstrationen in der Dresdener CDU-Zeitung Union vom 10. Oktober 1989 berücksichtigt werden. Die Autorin Uta Dittmann ist zwar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Eine adäquate berufliche Betätigung hat sie aber nach dem Ende der DDR nicht mehr gefunden.

Das materialreiche, mit einer Zeittafel und einem Überblick über das Pressewesen der DDR im Jahre 1988 (mit Auflagenhöhe) versehene Buch kann Fachleuten als Überblick, vor allem aber als Einstieg in die Behandlung der DDR in der politischen Bildung empfohlen werden.

Gunter Holzweißig: Die schärfste Waffe der Partei: Eine Mediengeschichte der DDR. Böhlau Verlag, Köln, Weimar 2002, 295 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro


 
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