© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
"Aufklärung und Toleranz"
Berlin II: Das traditionsreiche Evangelische Johannesstift will eine Jugendwohngruppe für homosexuelle Kinder einrichten
Manuel Ochsenreiter

"Toleranz gegenüber Homosexuellen ist in unserer Gesellschaft weit weniger verbreitet, als von vielen vermutet. Auch bei Jugendlichen ist die Akzeptanz von gleichgeschlechtlicher Orientierung sehr niedrig." Diese Sätze leiten keine Streitschrift aus den späten 1950ern ein, sondern eine aktuelle Pressemeldung des traditionsreichen Evangelischen Johannesstifts mit Sitz in Berlin-Spandau.

Berlin, der Stadt des "Christopher-Street-Days", des "Ich-bin-schwul-und-das-ist-auch-gut-so"-Bürgermeisters Wowereit und den mit den Regenbogen-Fahnen, dem Kennzeichen der Homosexuellen beflaggten Rathäusern. Bei der Pressemeldung geht es allerdings um weit mehr, als um die Einforderung gesellschaftlicher Toleranz gegenüber Homosexuellen. Es geht um die Bekanntmachung der "Erziehungswohngruppe MAGNUS" für "homosexuelle Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren". Geworben wird vor allem mit der "Einzigartigkeit" des Projekts.

Erzieher Mario Runiewicz freut sich darüber, daß die untere Altersgrenze von normalerweise 15 Jahren auf zwölf Jahre gesenkt werden konnte. Runiewicz befürchtet sogar, "daß die Nachfrage größer sein könnte, als die Wohngruppe Plätze zur Verfügung stellen kann".

Henriette Homoth, pädagogische Leiterin des umstrittenen Projekts, unterstreicht die Bedeutung von Wohngruppen für homosexuelle Kinder: "Die Erziehungswohngruppe soll einen geschützten Rahmen und gleichzeitig den Freiraum bieten, in dem Kinder und Jugendliche die Akzeptanz ihres Andersseins als Selbstverständlichkeit erleben können. Das ist die Vorraussetzung für eine Integration in die Gesellschaft (...) Wir hoffen, dieses Projekt wird in Berlin und den anderen Bundesländern Schule machen", so Leiterin Homoth. Zum Mitarbeiterteam der Wohngruppe gehören drei Erzieher, eine Hauswirtschaftskraft sowie eine Diplom-Psychologin.

Auch das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg begrüßt das Projekt, allerdings solle eine "Beeinflussung der sexuellen Orientierung" durch die Erzieher und Betreuer in jedem Falle vermieden werden. Kritisiert wird das Projekt vor allem von der Evangelischen Sammlung Berlin-Brandenburg. Ihr Vorsitzender, Pfarrer i. R. Donald Weihmann, sagte, der Gründer des Johannesstifts, Johann Hinrich Wichern, würde "im Grabe rotieren". Weihmann fragt sich, "wie man so infantil sein kann, zu glauben, daß Zwölfjährige über ihre sexuelle Orientierung Bescheid wüßten".

Ganz andere Gefahren sieht hierbei die Direktorin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft, die Medizinerin Christl R. Vonholdt. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, "daß die Selbstmordrate steigt, je früher sich homoerotisch empfindende Jugendliche auf die Homosexualität festlegen." Das Vorgehen des Johannesstifts sei daher unverantwortlich. "Daß es Kinder und Jugendliche gibt, die ihrem tiefsten Wesen nach homosexuell seien, ist ein Mythos der Schwulenbewegung", so Vonholdt. Homosexualtiät sei Ausdruck eines ungelösten Indentitätskonflikts.

Der Berliner Landesbischof Huber distanziert sich indes "von einer Form der Begleitung, in der Kinder und Jugendliche auf eine gleichgeschlechtliche Lebensweise festgelegt werden".


 
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