© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Jürgen würgen
FDP: Am kommenden Montag entscheidet sich, ob Jürgen W. Möllemann auch in Nordrhein-Westfalen entmachtet wird
Peter Freitag

Ein einziger kleiner Buchstabe macht den veränderten Stellenwert Jürgen Möllemanns in der FDP aus: vom "Para" zum Paria. Eben noch begeisterte der Fallschirmspringer mit Punktlandungen im blau-gelben Kostüm schlagzeilenträchtig bei Wahlkampfveranstaltungen jedes noch so kleinen Kreisverbandes, nun gilt er als der Hauptschuldige, dem man die Wahlschlappe und das Verfehlen sämtlicher Ziele am 22. September vorhält, und mit dem wegen seiner "unappetitlichen Kampagne" niemand mehr etwas zu tun haben will, ein Unberührbarer eben. Ausgerechnet Möllemann, erklärter Sympathisant einer rot-gelben Koalition und Lieblingsziel des bajuwarischen Spotts vom seligen Strauß ("Riesenstaatsmann Mümmelmann") mutierte angeblich zum "Stimmenfänger am rechten Rand".

Dabei hatte alles so schön begonnen: Besoffen von den Wahlerfolgen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie von steigenden Umfragewerten auf Bundesebene, hatte sich die FDP zur dritten politischen Kraft erklärt und Möllemanns "Projekt 18" sowie den Anspruch auf einen Kanzlerkandidaten zu eigen gemacht. Ebenso folgte die Partei dem NRW-Vorsitzenden bei der Verweigerung einer Koalitionsaussage, wahrscheinlich ein schwerwiegender Fehler: Als die SPD in Umfragen auf ihren Tiefststand von 32 Prozent fiel, ein Regierungswechsel also wahrscheinlicher wurde, stieg die Zustimmung zur FDP auf elf Prozent; nach ausbleibender Koalitionsaussage (zugunsten der Union) fiel der Wert wieder auf acht Prozent.

Offensichtlich sind die Liberalen also mit dieser Strategie gescheitert, die Skeptiker - einschließlich des Parteichefs Westerwelle, der zunächst nur zögerlich die Kanzlerkandidatur annahm - wurden vom Ergebnis bestätigt und könnten daher mit einer gewissen Berechtigung den Möllemann-Kurs ad acta legen. Die Prügel bezieht Schalke-Fan Möllemann jedoch wegen seiner im Alleingang betriebenen Postwurfsendung, in welcher er seine Kritik am israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon und am stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, erneuerte.

Möllemann beugte sich bereits einen Tag nach der Wahl dem Druck des Parteipräsidiums und trat von seinem Posten als stellvertretender Bundesvorsitzender zurück (JF 40/02). Doch weder sein relativer Wahlerfolg in NRW, wo sich die FDP um über 2 Prozent auf 9,3 Prozent verbessert hat, noch sein Rückzug auf Bundesebene konnten die Angriffe abwehren. Durfte sich Möllemann bei innerparteilichem Gegenwind bisher immer wieder auf die Geschlossenheit seines mitgliederstärksten Landesverbands verlassen, so ist es damit nun offenkundig vorbei.

Zunächst hatten seine eigenen Landesvorstandskollegen in Düsseldorf das inkriminierte Flugblatt "gerügt und mißbilligt", Möllemann mußte schließlich öffentlich eingestehen, daß diese Wahlkampfaktion falsch gewesen sei. Um einer Rücktrittsforderung seines eigenen Vorstands zuvorzukommen, berief der Münsteraner einen Sonderparteitag ein, der am kommenden Montag in Wesel stattfinden wird. Dort will Möllemann nach einem Bericht zur Lage nach der Bundestagswahl die Vertrauensfrage stellen. Als Widersacher steht ihm sein derzeitiger Stellvertreter, der Siegener Wirtschaftsprofessor Andreas Pinkwart gegenüber, der sich im Falle eines Votums gegen Möllemann als Nachfolger zur Wahl stellen wird.

Die eigentliche Brisanz der Entscheidung, die auf den Schultern der 400 Delegierten ruht, liegt jedoch nicht in der Entscheidung zwischen Möllemann und Pinkwart, sondern zwischen Möllemann und Westerwelle. Denn offenkundig ist, was der Attackierte so ausdrückte: "...daß mir Guido Westerwelle meinen eigenen Stellvertreter als Gegner präsentiert". In Wesel kämpft Guido Westerwelle gegen seinen politischen Untergang, ungeachtet seiner öffentlichen Zurückhaltung im Ringen mit Möllemann. Westerwelle ist nach dem Wahldebakel innerparteilich angeschlagen, da er seine Position als Bundesvorsitzender zu einem großen Teil Möllemanns Intrige gegen den farblosen Wolfgang Gerhardt verdankt.

Westerwelle will keine Versöhnung mit Möllemann

Vom Spaßwahlkampf über "Projekt 18" bis zur Kanzlerkandidatur: alles auf Möllemanns Mist gewachsen. Schon im ersten Teil jener vermeintlichen "Antisemitismus-Debatte" gereichte das mangelnde Durchsetzungsvermögen Westerwelles gegen den Vorsitzenden seines eigenen Landesverbands zum Vorwurf. Kritiker sahen in dem, was Möllemann ein "Dream-Team" der beiden "stärksten FDP-Politiker" nannte, eher ein Marionettenspiel, bei dem klar war, wer die Fäden zog. Nicht zuletzt der Verzicht auf eine Kandidatur zum Fraktionsvorsitzenden im Bundestag deutet auf die Formkrise des einstigen Guidomobilisten hin.

Um so wichtiger ist für den Parteichef also die Ausschaltung des von allen Spitzenfunktionären (mit Ausnahme des in seiner Bedeutung überbewerteten Mölli-Intimus Wolfgang Kubicki) zur Unperson erklärten Störenfrieds. Da Westerwelle aber nicht selbst den Brutus geben kann, wird sein Vertrauter Pinkwart vorgeschickt. Möllemann hatte zunächst noch versucht, über Vermittler eine Versöhnung mit Westerwelle zu erreichen. Doch aus dessen Umgebung hörte man nur die inflationär gebrauchte Metapher vom "endgültig zerschnittenen Tischtuch". Als dann die Zeichen auf Kampf standen und zum Beispiel Möllemanns stellvertretender Fraktionspressesprecher André Zimmermann fristlos kündigte und zu Pinkwart überlief, stimmte auch Möllemann Kriegsgeschrei an: Er werde keinen Millimeter nachgeben und bekräftigte dies vor Journalisten mit "auf Schalke" entliehenem Repertoire: "Kämpfen, Jürgen, kämpfen", so laute seine Parole.

Die bedauernswerten Delegierten werden sich in Wesel zwischen Skylla und Charybdis zu entscheiden haben; entweder sie demontieren mit einer Zustimmung zu Möllemann ihren Bundesvorsitzenden Westerwelle, oder mit der Zustimmung zu Pinkwart ihren (und Westerwelles) Landesverband. Denn ein mahnendes Beispiel reicht drohend aus der Vergangenheit in die gegenwärtige Krise der Partei.

Als im Jahre 1994 Jürgen Möllemann erstmals als Landesvorsitzender von seinem Vorstand gestürzt worden war, versank die Partei in weitestgehender Bedeutungslosigkeit; sie erholte sich erst wieder mit einem erneuten Aufstieg des Münsteraners. Zu allem Überfluß tauchte in der vergangenen Woche sogar das Gespenst einer eigenen Möllemann-Partei auf, die aus einer Spaltung des Landesverbandes hervorgehen könne. Dies Szenario malte der Vorsitzende der Münsterländer FDP, Heinz-Wilhelm Steinmeier, an die Wand, nachdem Möllemann im Zorn ausgerufen hatte, er bleibe freier Demokrat, "entweder mit großem oder mit kleinem f". Von Möllemann selbst wurde die Absicht, eine eigene Partei zu gründen als "Quatsch" abgetan.

Gespalten ist der bundesweit mitgliederstärkste FDP-Landesverband ohnehin schon. Der größte Bezirksverband Köln, der 84 Delegierte entsendet, steht auf seiten Pinkwarts, ebenso der Kreisverband Aachen; die Bezirke Ruhr, Niederrhein, Münsterland, Ostwestfalen-Lippe und Westfalen-West stehen eher auf Möllemanns Seite. Die Kreisvorstände der FDP in Steinfurt und Borken sprachen sich allerdings öffentlich gegen Möllemann aus, ebenso (mit nur zwei Stimmen Mehrheit) die Jungen Liberalen.

Allerdings sagen diese Verhältnisse noch nicht viel aus, da die Delegierten unabhängig von diesen Voten und vor allem geheim abstimmen werden. Es kursierten jedoch bereits Gerüchte, wonach der Bundesverband Druck auf einzelne Delegierte ausübe, für Pinkwart zu stimmen. Dies behauptete unter anderem der ehemalige Landesvorsitzende Joachim Schultz-Tornau. Die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper dementierte solches umgehend.

Vertrauen zur Parteiführung ist gestört

Die Hauptredner des Sonderparteitags - Möllemann, Westerwelle und Pinkwart - werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Hauptursache für das Verfehlen der Wahlziele beim jeweiligen innerparteilichen Gegner suchen, und ihre eigenen Verdienste am positiven Abschneiden in Nordrhein-Westfalen hervorheben. Möllemann kann zu Recht die hinzugewonnenen zwei Prozent verbuchen, während Pinkwart und Westerwelle ebenfalls zutreffend behaupten können, ihr jeweiliges Erststimmenergebnis sei besser als das von Möllemann. Erwiesenermaßen falsch wäre die Behauptung, die Postwurfsendung hätte entscheidenden Anteil am schlechten Abschneiden gehabt. Dies haben Politologen, so beispielsweise der Göttinger Parteienforscher Franz Walter, festgestellt und so eine parteiinterne Analyse der FDP Lügen gestraft. Diesen Feststellungen zum Trotz sieht sich Andreas Pinkwart nicht in der Rolle des Königsmörders, der seinem politischen Ziehvater den Dolch in den Rücken stößt. Davon könne keine Rede sein, so der Chaostheoretiker, da Möllemann sich mit seiner Wahlkampfaktion zuerst illoyal verhalten habe. Das Vertrauen zur Parteiführung sei gestört worden, er (Pinkwart) stehe für "Klarheit" und gegen ein "Fischen an den Rändern". Immerhin will er das "Projekt 18" beibehalten. Bei all ihrem Zahlenhokuspokus sollten die Liberalen die tiefere Bedeutung der Zahl sieben - also ihrem tatsächlichen Wahlergebnis - nicht verschweigen. Die steht seit altersher nicht nur für die Anzahl der Todsünden, sondern auch für Auferstehung und Neubeginn. Wenn das kein gutes Zeichen ist.


 
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