© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Friedensplatz unerwünscht
Südtirol: Bozener Volksabstimmung über faschistischen "Siegesplatz" / Keine Begnadigung der "Pusterer Buam"
Beatrix Madl

Am 6. Oktober wird in der - mehrheitlich von Italienern bewohnten - Südtiroler Hauptstadt Bozen über ein Symbol abgestimmt: Ein Referendum soll entscheiden, ob der zentrale Platz am Westufer des Talferflusses von nun an Siegesplatz ("Piazza della Vittoria") oder Friedensplatz heißen soll. Wo es vordergründig um Namen geht, wird eigentlich über den Umgang mit der Geschichte des Landes zwischen Brenner und Salurner Klause gefochten.

Die Bozener Stadtverwaltung, eine Koalition aus italienischen Mitte-Links-Parteien und Südtiroler Volkspartei, hatte den bisherigen Siegesplatz kürzlich in Friedensplatz umbenannt. Seither läuft Italiens Rechte dagegen Sturm. Inmitten des Platzes steht das "Monumento della Vittoria" (Siegesdenkmal), das seit seiner Einweihung am 12. Juli 1928 eine Schmach für die deutschsprachigen Südtiroler darstellt. Es wurde genau an der Stelle errichtet, wo ab 1917 zunächst das - später von den Italienern gesprengte - Ehrenmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen österreichischen Kaiserjäger aufgebaut wurde.

1919 wurde Südtirol Italien zugesprochen. Und Ministerpräsident Benito Mussolini forderte schließlich in seiner berühmt-berüchtigten Parlamentsrede am 6. Februar 1926 die Errichtung eines Siegesdenkmals. Der Bau sollte "den Sieg des ganzen italienischen Stammes über die eroberte Grenze unterstreichen". Architekt Marcello Piacentini versprach bei der Grundsteinlegung am 12. Juli 1926 in Anwesenheit von König Viktor Emanuell III., "ein wahrhaft faschistisches Denkmal" schaffen zu wollen. Am 12. Juli 1928 wurde der "Faschistentempel" an der Talfer mit dem Segen von Fürstbischof Endrici eingeweiht: In den Grundstein wurde ein Siegesgedicht des Schriftstellers, "Fiume-Befreiers" und Mussolini-Wegbereiters Gabriele D'Annunzio gemeißelt. Das Denkmal steht auf vierzehn Säulen, die wie faschistische Rutenbündel geformt sind. An jeder Säule ist oben ein Beil, das den faschistischen Kampf symbolisiert. Die obere Tempelfront zeigt das Relief einer Siegesgöttin, die einen Bogen gespannt und ohne Pfeil nach Norden gerichtet hält.

Die lateinische Inschrift heißt übersetzt: "Hier sind die Grenzen des Vaterlandes. Von hier aus haben wir den anderen die Sprache, die Gesetze und die Künste vermittelt". Mit den "anderen" waren die Südtiroler gemeint, die italienisiert werden sollten. Besonders die Aufschrift war Anlaß für jahrzehntelangen Protest der Südtiroler.

Jetzt - da zwar das Denkmal noch steht, aber der Platz vorerst umbenannt ist, tut die italienische Mitte-Rechts-Regierung alles, um eine Rückbenennung in Siegesplatz zu erreichen. Sie handelt im Interesse der Italiener in Südtirol, die mehrheitlich nationalistisch wählen. Die italienischen "Postfaschisten" der Alleanza Nazionale (AN) riefen zu Protesten auf. Ihr Chef, Vizepremier Gianfranco Fini, forderte auf einer Großkundgebung die Wiedereinführung des alten Namens. Auch die rechtsliberale Forza Italia von Ministerpräsident Silvio Berlusconi will wieder "Siegesplatz" auf den Straßenschildern sehen. Ihr Minister für Öffentliche Verwaltung, Franco Frattini, kümmert sich persönlich darum, die "Verdeutschung", wie seine Mitarbeiterin Michela Biancofiore es nannte, rückgängig zu machen. Der christdemokratische Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga hingegen, der sich seit langem für eine Aufarbeitung der jüngsten Geschichte einsetzt, tritt auf der Seite der "Friedensplatz"-Befürworter gegen die Regierung auf.

Das Engagement der italienischen Regierung in der Südtiroler Geschichtspolitik bleibt hingegen nicht ohne Folgen in den Beziehungen zum österreichischen Nachbarn. Beim Besuch des österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil vergangene Woche in Rom lobte der italienische Kammerpräsident Pierferdinando Casini (von der christdemokratischen Regierungspartei UDC) die "historische Freundschaft", die beide Länder miteinander verbinde. Und der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi betonte: "Wir sind Freunde und Präsidenten befreundeter Völker." In einer gemeinsamen Erklärung beider Präsidenten ist die Rede von der "Qualität und Dichte" der bilateralen Beziehungen. Die Südtirol-Autonomie wurde darin als "Musterbeispiel" für die "Lösung von Minderheitenproblemen" benannt. Jedoch war es der erste Besuch eines Staatsoberhauptes der beiden Länder bei dem jeweils anderen seit 31 Jahren. Darüber hinaus überschattete die geschichtspolitische Kontroverse tagespolitische Gespräche etwa über den Alpen-Transit.

Klestil und Ciampi kamen beim Thema Südtirol-Aktivisten nicht weiter. Rom erfüllte Klestils Wunsch nach Begnadigung der "Pusterer Buam" Siegfried Steger, Josef Forer, Erich Oberleiter und Heinrich Oberlechner nicht. Die AN stellte sich der Entsorgung historischer Altlasten entgegen. AN-Chef Fini sieht beides auch aktuell politisch miteinander verknüpft. Er begründete ausdrücklich seine Ablehnung gegenüber möglichen Gnadenakten damit, daß so den Gegnern der Platzumbenennung zugearbeitet werde.

Die Südtirol-Aktivisten sind wegen verschiedener Attentate und Sprengstoffdelikte in Italien in Abwesenheit verurteilt worden und leben heute in Österreich und Deutschland. Im Januar 1998 wurden erstmals vier Attentäter begnadigt.

Seit den fünfziger Jahren waren verstärkt faschistische Gesetze angewandt worden, zugleich siedelte die italienische Regierung massenhaft Arbeiter aus dem Süden Italiens um Bozen an. Die Südtiroler mußten befürchten, zur Minderheit im eigenen Land zu werden. Die Aktivisten hatten in den sechziger Jahren mit Anschlägen auf öffentliche Anlagen die internationale Öffentlichkeit wachrütteln und auf die für sie unerträgliche Situation aufmerksam machen wollen.

Foto: Bozener Siegesdenkmal: "Sieg des ganzen italienischen Stammes"


 
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