© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Ein Schritt in Richtung Umweltvorsorge
Naturschutz: Die EU-Kommission will trotz Widerstand aus der Wirtschaft eine Umwelthaftung einführen
Volker Kempf

Durch einen Brand bei der Basler Chemiefirma Sandoz gelangte im Jahre 1986 eine große Menge an giftigem Lösch- und Kühlwasser in den Rhein und tötete Zehntausende von Fischen. Immer wieder schlugen in der Vergangenheit Tanker bei schwerer See leck, so daß Tausende von Tonnen Öl ausliefen und Hunderttausende Vögel qualvoll verendeten.

Während jeder Goldfisch, der durch eine verschüttete Chemikalie verendet, seinem Eigentümer laut Rechtsprechung ersetzt oder bezahlt werden muß, gilt das in den zuvorgenannten Fällen nicht. Es müssen lediglich indirekte Schäden beglichen werden, etwa die Beseitigungskosten verendeter Aale. Das heißt: "Die zahlreichen vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen der letzten Jahre haben gezeigt, daß es höchste Zeit ist für eine 'Wende des Rechts'. Das bisher auf den Menschen zentrierte Weltbild muß durch ein ökozentrisches ersetzt werden." Das schreibt der EU-Ökologierechts-Berater Klaus Bosselmann in seinem 1992 erschienenen Buch "Im Namen der Natur".

"Der Weg zum ökologischen Rechtsstaat", wie der Untertitel des eben genannten Werkes lautet, ist allerdings weit. In den letzten 20 Jahren führten in Deutschland die meisten Bundesländer ein Verbandsklagerecht ein, die rot-grüne Bundesregierung sogar eines auf Bundesebene. Was das heißt, erläutert Klaus Bosselmann: "Die Verbandsklage eröffnet die Möglichkeit einer objektiven Rechtskontrolle. Mit ihr kann die Einhaltung von Gesetzen überprüft werden, ohne daß einzelne Kläger in ihren subjektiven Rechten betroffen sein müssen." Bisher war es hingegen so, daß Umweltschutzinteressen nur Allge-meininteres­sen waren, was die Möglichkeit untergrub, Umweltgesetze einzuklagen. Denn: Ohne Kläger kein Richter und kein Vollzug des Umweltrechts.

Die Umwelthaftung wurde bisher also immer auf die Allgemeinheit abgewälzt. Das Nachsehen hatten die Fische im Rhein und die Vögel am Meer, ebenso die Fischer, denen die Flüsse und Meere nicht gehören. Sicher können tote Fische und Vögel nicht wieder lebendig gemacht werden. Aber jede Strafe hat schließlich den Sinn, künftigen Schandtaten entgegenzuwirken. Das hat schon der römische Philosoph Lucius Annaeus Seneca gewußt: "Kein Weiser bestraft, weil man eine Straftat begangen hat, sondern man bestraft, damit es nicht mehr begangen wird". Soll heißen, daß ein Vorsorgegedanke jedem Haftungstatbestand zugrundeliegt.

Dieser Logik folgend will die Europäische Kommission jetzt ein neues Gesetz vorlegen, das da lautet: "Richtlinie über Umwelthaftung zur Vermeidung von Umweltschäden und zur Sanierung der Umwelt". Danach soll der Verursacher künftig unabhängig von Eigentums- und Schuldfragen haften. Ludwig Krämer von der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission erklärt gegenüber dem Deutschlandfunk:

"Der Richtlinienvorschlag versucht zum ersten Mal bei Schäden, die auftauchen, auch Schäden an der Umwelt, am Boden, an der biologischen Vielfalt und an Gewässern abzudecken, auch soweit persönliche Schaden - also an Gesundheit und Eigentum - nicht betroffen sind. Das ist das entscheidend Neue an dem Vorschlag."

Wie hoch die Kosten bei einem Unfall sein werden, will die EU-Kommission nicht festlegen. Billig dürfte es jedoch nicht werden, da ein einziger Baum gut und gerne 5.000 Euro bei der Baumschule kosten kann. Ansonsten vertraut Krämer darauf, daß die Rechtsprechung im Laufe der Zeit die Kosten ermessen wird, so wie das beim Schmerzensgeld auch gewesen sei. Offen bleibt damit die Frage, wie sich Unternehmen gegen Schäden versichern sollen, von denen die Versicherungsbranche nicht weiß, wie sie quantifiziert werden. Das ändert aber nichts an der prinzipiellen Versicherbarkeit von Umweltschäden.

Umweltschützern wird der umweltrechtliche EU-Vorstoß nicht weit genug gehen. Denn durch eine erteilte Genehmigung kann eine spätere Haftung ausgeschlossen werden. Genauer: Das Risiko, das durch starke technische und wirtschaftliche Entwicklung entsteht und ganz drastisch ist, wird auf den Staat zurückverlagert. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, nicht nur mögliche Gewinne, sondern auch das Risiko von Umweltschäden von vornherein in eine betriebliche Kostenrechnung aufzunehmen. Dazu besteht weiterhin kein Anreiz. Ein sicher sehr weitgehendes Zugeständnis an die Industrie, die sich dann auch gegen die Gesetzesinitiative nicht querstellt.

Im EU-Ökologierecht geht es also zwei Schritte vor, einen wieder zurück und damit aber noch immer vorwärts. Oder, um abschließend nochmals den Kommissionsbeamten Ludwig Krämer zu Wort kommen zu lassen:

"Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. Wir müssen anfangen, über diese Fragen nachzudenken und sie zu lösen. Das kann ein erster Schritt sein. Und vielleicht ist unsere Gesellschaft langsam dann auf dem Weg zu erkennen, daß der Zustand der Umwelt in Westeuropa in den letzten 30 Jahren sich verschlechtert hat und nicht sich verbessert hat. Daß die Menge und Qualität der Umwelt, die wir besitzen, abnimmt und nicht zunimmt. Das ist eine unwillkommene Wahrheit, aber das wird deswegen nicht unrichtiger, weil es nicht geliebt wird."


 
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