© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Zurück auf die Straße
PDS: "Antiglobalisierungs-Netzwerke" als neues Betätigungsfeld der radikalen Linken nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl
Claus-M. Wolfschlag

Der Ausgang der letzten Bundestagswahlen endete mit einem Desaster für das parlamentarische Projekt der radikalen deutschen Linken - die PDS. Bundesweit 4,0 Prozent der Stimmen und nur noch zwei direkt gewählte Abgeordnete bedeuten die bundespolitische Marginalisierung der Partei.

Gregor Gysi warf der Parteiführung deshalb nach der Wahlschlappe mangelndes Engagement vor: "Sie kämpfte zu wenig nach innen und nach außen und war nicht ausreichend emotionalisiert." Vor allem die PDS-Ergebnisse in Westdeutschland zeigten, daß die Parteistrategie der erfolgreichen Westexpansion vorerst gescheitert ist. Nur 1,3 Prozent errang die PDS beispielsweise in Hessen - ein Ergebnis, das Luc Jochimsen, ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks und Spitzenkandidatin auf der PDS-Landesliste, in einem Interview mit der Jungen Welt als "bestürzend" bezeichnete.

Die ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke meinte in der selben Zeitung: "Die PDS steht im Westen vor einer Katastrophe. Büros müssen geschlossen werden, und die Infrastruktur wird nur schwerlich aufrechterhalten werden können. Zum Glück gibt es in vielen Städten durch die Vertreter in den lokalen Parlamenten kommunale Strukturen." Jelpke propagierte einen engeren Zusammenschluß der Linken in der PDS, um "die Anbiederungspolitik an die SPD" zu beenden. Die Partei solle "statt dessen für soziale Bewegungen geöffnet werden".

Augenmerk legt die Linke auf die Globalisierungskritiker

Auch PDS-Aktivistin Angela Marquardt brachte angesichts dieser parlamentarischen Katerstimmung neue Strategieelemente ins Spiel. Auf der Wahlkampfparty der PDS in Berlin-Treptow bekundete sie: "Also erstmal finde ich am Außerparlamentarismus nichts falsch. Ich hab nie ausschließlich auf Parlamente gesetzt." Augenmerk legt die politische Linke dabei wohl vor allem auf die neue soziale Bewegung der "Globalisierungskritiker", gruppiert um deren heterogene Netzwerke "attac", eine stark gewerkschaftlich beeinflußte reformistische Mitgliederorganisation, und "People's global Action" (PGA), ein loseres, allgemeinpolitisch ausgerichtetes Bündnis.

Das Engagement der Globalisierungskritiker stößt nicht in allen Kreisen der radikalen Linken auf Begeisterung. So warf beispielsweise Michael Heinrich in der Zeitschrift Konkret der neuen Bewegung Reformismus und mangelndes sozialistisches Engagement vor, da man sich nur gegen einen globalisierten "entfesselten Kapitalismus" wende, was ja beinhalte, daß man sich einen "normalen Kapitalismus" vorstellen könne.

Autor Christoph Jünke widersprach dieser Auffassung in der diesjährigen Ausgabe 1 der Kölner Zeitschrift SoZ - Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis entschieden, da man von anpolitisierten Massen nicht ein marxistisches Bewußtsein erwarten könne, daß man sich selber erst im Laufe vieler Jahre angelesen hätte: "Wieso soll eigentlich nicht möglich sein, was damals, im 19. Jahrhundert, auch möglich war. Damals ging man von der Forderung nach 'gerechtem Lohn' zur Forderung einer 'gerechten Gesellschaft' über und lernte zu verstehen, daß diese nach grundlegend anderen Mechanismen zu funktionieren hätte als die kapitalistische."

Jünke stützte sich dabei auf Thesen des deutsch-österreichischen Nachkriegssozialisten Leo Kofler. Demnach sei nach dem Untergang des "östlichen Nominalsozialismus" eine neue "progressive Elite", die über ein "kritischeres Bewußtsein" als die Masse verfüge, berufen, die Entwicklung voranzutreiben. Diese humanistisch orientierte "progressive Elite" sei noch heterogen in ihren sozialen, politischen Ansichten und ihrem Habitus, sitze "zwischen allen Stühlen", sei widerspruchsvoll und unbeständig. Zwar könne eine solche Bewegung die zur Umwandlung der Gesellschaft historisch berufene Arbeiterbewegung nicht ersetzen, sie sei ein bloßer und vorübergehender Ersatz für die Bewegung in Zwischenzeiten der Erstarrung, doch sie fungiere als "unentbehrlicher Gärstoff", müsse sich schließlich irgendwann mit den "in der Integration verharrenden Lohnabhängigen" verbinden, um gesellschaftliche Relevanz zu erlangen.

Überwindung der Klassengesellschaft

Jünke führt hierzu aus: "Die heutige Gewerkschaftsbewegung ist verknöchert und weitgehend integriert. Da es jedoch ohne Klassenkampf nicht gelingen wird, die bürgerliche Klassengesellschaft zu überwinden, muß die real existierende Arbeiterbewegung politisiert werden - so schwierig dies in den imperialistischen Metropolen auch sein mag. Daß die Nach-68er-Versuche gescheitert sind, enthebt uns nicht der Aufgabe, es auf ein neues zu versuchen." In Abgrenzung von Sozialdemokratie und Stalinismus, solle von einem "radikaldemokratischen Standpunkt" aus agiert werden. Die Bewegung der Globalisierungskritiker sei deshalb ein ideales Aktionsfeld zur Einflußnahme: "(...) überall ist Widerstand Alltag. Die Aufgabe von Sozialistinnen und Sozialisten wäre, ihn zu entfachen, wo sie sind, und ihn zu unterstützen, wo sie können. Und, nicht zu vergessen, bei den in Bewegung befindlichen Menschen das Bewußtsein zu schärfen, warum sie eigentlich kämpfen."

In der gleichen Ausgabe der Kölner Zeitschrift erklärte der Autor Gerhard Klas in seiner Betrachtung zu den neuen Bewegungen, daß Fausto Bertinotti, Vorsitzender der italienischen "Rifondazione Comunista", "die Zeichen der Zeit längst erkannt" hätte: "Er vergleicht die neue Bewegung sogar mit der von 1968 und ist der Ansicht, daß die Bewegung des 21. Jahrhunderts geboren sei, die den Kapitalismus grundsätzlich in Frage stelle."

Die weitere Entwicklung der globalisierungskritischen Bewegung, an die sich mittlerweile auch "autonome" Gruppen anhängen, sollte weiterhin aufmerksam beobachtet werden. Sollten die Anhänger überkommener Sozialismusmodelle dort entscheidenden Einfluß erhalten, bleibt allerdings zu befürchten, daß es zur Neuauflage intoleranter, gewalttätiger und letztlich totalitär ausgerichteter Handlungsmodelle kommt.


 
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