© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002


Magische Zuflucht
Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach widmet Hermann Hesses "Glasperlenspiel" sein aktuelles Magazin
Doris Neujahr

Zehn Jahre lang, von 1932 bis zum April 1942, arbeitete der Schriftsteller Hermann Hesse am Roman "Das Glasperlenspiel", der ihm 1946 den Nobelpreis für Literatur einbrachte. Ein Jahr nach Kriegsende war diese Auszeichnung auch als ein Vertrauensbeweis für die deutsche Kultur zu verstehen. Der außerhalb der historischen Zeit spielende Roman sollte, wie Hesse schrieb, "dem Markt und der Mode entzogen" bleiben, die Arbeit daran empfand er als "magische Zuflucht, in die ich, so oft ich geistig dazu bereit war, für Stunden eingehen konnte, und wohin kein Ton aus der aktuellen Welt drang". Von den Honoraren, die er davon einnahm, konnte er freilich kaum sechs Monate leben.

Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach, wo auch der literarische Nachlaß des am 9. August 1962 in der Schweiz verstorbenen Hesses verwahrt wird, hat dem Buch sein aktuelles Magazin gewidmet. In "Diesseits des Glasperlenspiels" geht es nicht um Textauslegungen, sondern um die Bedingungen, den Verlauf, um die ganz banalen Äußerlichkeiten des Schreibprozesses, die im Werk überraschende, eindeutige Spuren hinterließen. Zum pietistischen Erbe, das Hesse vom Elternhaus mitgegeben war, gehörten Pedanterie und strikte Sparsamkeit. Er hatte die Angewohnheit, seine Ideen auf die Rückseite alter Kalenderblätter zu schreiben, wobei es sich ergab, daß auf der Vorderseite abgebildete Illustrationen die Textpassagen unmittelbar beeinflußten.

Andere Abschnitte sind durch Umwidmungen von Texten entstanden. Sie finden sich beinahe wortgetreu in Briefen wieder, die Hesse zuvor geschrieben hatte. Oft übersehen in dem tiefgründelnden Buch wird das spielerische Element. Das in Latein und - angeblicher - deutscher Übersetzung zitierte Eingangsmotto des fiktiven Gelehrten Al-bertus Secundus (als Quelle wird u.a. angegeben: "ed. Clangor et Collof. lib. I, cap. 28") war unter Mithilfe eines gebildeten Kölner Zigarettenfabrikanten entstanden, der seine Briefe an Hesse mit "Collofino Colonia" unterschrieb.

Als der Roman 1943 im Zürcher Verlag Fretz & Wasmuth erschien, waren die meisten Kapitel schon bekannt. Die Vorabveröffentlichungen waren stets von der Ankündigung begleitet worden, daß sie einer neuen, großen Dichtung des Autors entstammten. Beim Publikum wurden Spannung und Erwartung sukzessive gesteigert. Dieses modern anmutende Reklameverfahren hatte einen einfachen Grund: Hesse brauchte Geld. So ganz konnte er doch nicht darauf verzichten, seine Marktchancen zu kalkulieren.

Den Ereignissen in Deutschand konnte er sich ebenfalls nicht völlig entziehen. Sein Tessiner Haus war ein Anlaufpunkt für Emigranten, und trotz öffentlicher Zurückhaltung blieben Reibungen mit dem NS-System nicht aus. Ein ständiges Thema der Briefe bilden seine Kränkeleien, die ihn jedoch nicht davon abhielten, 85 Jahre alt zu werden. Angesichts des Massensterbens an der Front und im Bombenhagel mochten solche Klagen bizarr erscheinen. Eine Erfahrungskluft tat sich auf, die nach 1945 zur Quelle gegenseitiger Mißverständnisse und Kränkungen wurde.

Das Bild vom Bestsellerautor, der unangefochten in Saus und Braus lebte, muß aber korrigiert werden. Hesse litt unter materiellen Schwierigkeiten, denn aus Deutschland, das weiterhin sein wichtigster Buchmarkt war, flossen wegen der Devisenknappheit die Honorare nur spärlich und hörten zeitweilig ganz auf. Peter Suhrkamp, der Leiter des S. Fischer Verlags, drängte auf den baldigen Abschluß des Manuskripts, weil mit der Fortdauer des Krieges die Papierbeschaffung und Druckgenehmigung immer schwieriger wurden. Dem stand Hesses unstete, langsame Arbeitsweise entgegen. Schließlich untersagten die deutschen Behörden das Erscheinen des "Glasperlenspiels". Daraufhin gab Hesse das Manukript an einen kleinen Schweizer Verlag. Manche der mitgeteilten Informationen sind aus der Hesse-Literatur bereits bekannt, andere aber sind neu oder nicht ohne weiteres zugänglich. Hesse-Interessenten werden auf ihre Kosten kommen.

"Marbacher Magazin" 98/2002: Hermann Hesse: "Diesseits des Glasperlenspiels". Bearb. v. Heike Gfrereis. 71666 Marbach a. Neckar, Postfach 11 62, 88 Seiten, Abb., 6,15 Euro


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