© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002


CDU-Krise
Café-Mousse und gute Stimmung
Dieter Stein

Kürzlich haben wir ironisch die Stimmung in der CDU-Parteizentrale am Wahlabend des 22. September beschrieben: Wie das Ploppen und Knallen von Sektkorken zusammen mit besinnungslosem Fankurven-Geschrei eines der miesesten Wahlergebnisse der Union bizarr untermalte. Die erwartete Ernüchterung über die Pleite will aber auch Wochen danach noch immer nicht eintreten. Michael Inacker, einer der wenigen politisch wachen Journalisten, schilderte in der FAZ süffisant den Realitätsverlust der Unions-Führung und die anhaltende Partylaune anläßlich eines Treffens der Merkel- und Stoiber-Entourage in Oberbayern: "Doch damit (der Lage der Union, D.S.) wollten sich beide nicht beschäftigen, zu gut war die Stimmung in der Runde und zu gut das Essen, das mit einer Dessertvariation vom Grand-Marnier-Parfait, weißem Café-Mousse sowie Himbeercreme und Früchten endete. Kein Wort von der Niederlage, statt dessen lustige Erinnerungen an den Wahlkampf."

Inacker schreibt weiter, daß es der CDU-Führung nicht gelungen sei, die Strategiedebatte gänzlich abzuwürgen, wie es Merkel nach der Wahl versucht habe. Nun stehe fest: "Die Partei driftet auseinander." Wieder war die Parteizentrale direkt nach der Wahl den süßen Einflüsterungen linksgestrickter Journalisten und windiger "Berater" erlegen, die die Arbeit des politischen Gegners erledigen. Merkel hatte so die Parole ausgegeben, die CDU habe deshalb verloren, weil sie in städtischen Milieus und bei jungen Wählern schlecht abschneide. Die alte Leier von der "Anerkennung der gesellschaftlichen Realitäten" wurde somit angeschlagen, "neue Lebensformen" dürften nicht ausgeblendet werden und ähnliche Ladenhüter Geißlerschen und Süssmuthschen Kalibers wurden aufgewärmt.

Nun lieferte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung aber eine knochentrockene Analyse ab (siehe Dokumentation Seite 5), die der Parteiführung vordekliniert, was die Wahl tatsächlich entschied. Nicht irgendwelche virtuellen Großstadtmilieus der linken Mitte oder "Patchwork-Familien" sind das Problem, sondern: "Bei der Stimmabgabe nach Alter und Geschlecht wiederholt sich ein Wahlverhalten, das 1998 für die Niederlage der Union entscheidend war und einen Regierungswechsel der Union 2002 verhinderte. Die Union hatte 1998 bei den über 60jährigen nur 45 Prozent der Wähler erreicht (-7 Punkte). Bei dieser Wahl stagnierte der Anteil der über 60jährigen bei 45 Prozent. Die Union konnte seit 1953 (Einführung der repräsentativen Wahlstatistik) bei den über 60jährigen etwa die Hälfte der Wähler erreichen. 1998 kam die Union in dieser Altersgruppe unter die 50-Prozent-Marke. In dieser für die Union relevanten Zielgruppe blieb sie somit erneut deutlich unterhalb ihrer Mobilisierungsmöglichkeiten." Mit anderen Worten: Die CDU hat ihren Ruf bei ihrer konservativen Stammwählerschaft anhaltend ruiniert. Die Union wird bei den Wahlen in Niedersachsen ("Liberaler" Wulf) und Hessen ("Konservativer" Koch) testen können, welche politische Linie durchsetzungsfähig ist.


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