© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
"VS-Leute wegdenken"
NPD-Verbotsverfahren: Ausgang des Prozesses weiter ungewiß
Ronny Herrmann

Auch nach der Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zum NPD-Verbotsverfahren und der Rolle der V-Leute am Dienstag vergangener Woche, ist der Fortgang des Verfahrens unklar.

In dem Erörterungstermin sollte geklärt werden, welchen Einfluß V-Leute in der NPD haben und auf welcher Tatsachengrundlage das Gericht über die Verbotsanträge entscheiden solle. Damit hatte das Gericht erstmals den Weg gewählt, mit Beteiligten juristische Probleme im Verfahren zu besprechen. Offiziellen Angaben zufolge spitzelten seit Jahren gut 30 der etwa 200 NPD-Vorstandsmitglieder in Bund und Ländern für den Verfassungsschutz (VS). Geklärt werden sollte, ob sie lediglich Wissen über die Partei abgeschöpft oder aber die NPD aktiv gesteuert haben. Von der Beurteilung ihres Einflusses hängt nun ab, ob das Verfahren fortgesetzt wird oder neu eröffnet werden muß.

Für die Antragssteller war die Sachlage eindeutig. So wird die NPD zwar beobachtet, jedoch nicht staatlich fremdbestimmt. Der bayerische Innenminister Günter Beckstein verwies darauf, daß die V-Leute keine Weisungsempfänger und keine Agenten, sondern überzeugte Rechtsextremisten seien. Bundesinnenminister Otto Schily betonte, die NPD sei rassistisch, antisemitisch und verfassungsfeindlich und gehöre daher verboten, das schon bekannte Material reiche zum Verbot der NPD aus. Die Partei und ihre Äußerungen blieben dieselben, wenn man sich die Informanten "wegdenke". Auf die Rückfrage des Gerichts, was und wen man sich "wegdenken" solle, konnte Schily keine aufschlußreiche Antwort geben. Das Gericht wollte sich mit bloßen Zusicherungen nicht begnügen. Sein Prozeßbevollmächtigter Dieter Sellner lehnte es jedoch ab, die vier in den Verbotsanträgen erwähnten, aber noch nicht enttarnten V-Leute, im Prozeß zu identifizieren. Falls das Gericht aber eine weitere Aufklärung über die Rolle der V-Leute benötige und um eine Offenlegung von bisher unbekannten spitzelnden NPD-Funktionären zu umgehen, bot die Bundesregierung die Vernehmung der jeweiligen Verfassungsschutzpräsidenten an. Notfalls könne das Gericht auch Einsicht in die VS-Akten nehmen, dann aber unter Ausschluß der NPD. Ob die Richter auf diesen Vorschlag eingehen werden, ist ungewiß.

Die NPD, deren Bundesvorstand sich hinter ihrem Vorsitzenden Udo Voigt geschlossen dem Gericht präsentierte, verfolgte durch ihre Prozeßvertreter Horst Mahler und Hans-Günter Eisenecker indes den Standpunkt der "strategisch politischen Unterwanderung" ihrer Partei durch den VS. Über V-Leute und deren Provokation nehme der Staat Einfluß auf das Erscheinungsbild der NPD, um sie als "das Böse und als die Nazis" darzustellen. Dadurch wolle der von den großen Parteien dominierte Staatsapparat die "nationale Opposition ausschalten". Die Beweise für das Verbotsverfahren seien mit Hilfe der V-Leute "wunschgerecht geschaffen" und deren Äußerungen der Partei nicht zuzurechnen. Auch forderte Voigt, im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit der Spitzeltätigkeit von Mitgliedern des Vorstandes und der Gefahr des Verrates der Prozeßstrategie, die Offenlegung durch die Antragsteller. Zudem könne man zu der Frage des Einflusses des VS auf die Partei erst nach vollständiger Offenlegung Stellung nehmen. In seinen Ausführungen betonte Mahler, in dem Verfahren ginge es nur vordergründig um ein Parteiverbot. Beabsichtigt sei vielmehr die Eingrenzung politisch zulässiger Meinungen, mit der Folge, unliebsame Meinungen zum Gegenstand von Strafprozessen zu machen.

Eine Entscheidung fiel am Dienstag jedenfalls noch nicht. Wann das Gericht entscheiden wird, ob die von der Regierung angebotenen Verfahrensmodalitäten eingeschlagen werden, bleibt ungewiß. Da das Gericht aber um peinliche Neutralität bemüht sein wird und gerade die Behördenzeugnisse auf den Prüfstand müssen, scheint eine öffentliche Verhandlung wahrscheinlicher. Auch eine Vernehmung der V-Leute selbst, die nach Angaben der Antragsteller gerade keine Weisungsempfänger des VS waren oder sind, scheint naheliegend.


 
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