© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
"Die liberalen Medien sind eine eigenständige Weltmacht"
Interview: Der ungarische Schriftsteller und MIÉP-Parteichef István Csurka über den Zustand seines Landes und rechtsnationale Alternativen
Alexander Barti

Herr Csurka, vor den ungarischen Parlamentswahlen im April haben praktisch alle Meinungsforschungsinstitute den Sieg der bürgerlichen Koalition unter Ministerpräsident Viktor Orbán vorausgesagt, und auch die "Ungarische Gerechtigkeits- und Lebenspartei" (MIÉP) schien über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Trotzdem haben die Sozialisten (MSZP) gewonnen, die MIÉP hat sogar den Wiedereinzug in das Parlament verpaßt. Wie erklären Sie sich das?

Csurka: In Europa klingt es heutzutage sehr komisch, wenn jemand sagt, es habe einen Wahlbetrug gegeben. Trotzdem muß ich leider genau dieses feststellen: hier gab es Wahlbetrug, und zwar in zwei Stufen: Zunächst in der Art und Weise, wie die Wähler zu den Urnen gelockt wurden und dann bei der Auszählung der Stimmen. So haben die Linken Flugzeuge gechartert, um ihre Klientel aus dem Ausland zur Wahl zu karren. Eine herausragende Rolle spielte dabei der israelische PR-Fachmann Ron Werber, der den Wahlkampf für die Sozialisten koordiniert hat. Die MIÉP hatte offiziell knapp 5.000 Stimmen weniger als vor vier Jahren, ihre Wählerschicht ist also stabil.

Ist diese Erklärung nicht zu einfach? Vielleicht haben sich viele durch den heißen Wahlkampf motiviert gefühlt, doch gegen die Bürgerlichen zu stimmen.

Csurka: Nein, es gibt in Ungarn eine Bevölkerungsschicht, die überhaupt nie an Wahlen teilgenommen hat - auch jetzt gingen höchstens 72 Prozent zur Wahl - von denen aber diesmal ein Teil zu den Urnen gelockt wurde, zum Beispiel für ein Bier oder einen Teller Gulasch. So etwas ist tatsächlich passiert! Und vergessen sie nicht, daß die Arbeiterpartei (MSZMP) vor der Wende über 800.000 Mitglieder hatte, ihre Familienmitglieder nicht mitgezählt; von diesen Menschen gibt es "private" Dateien. Stellte sich am Wahltag heraus, daß ein "ehemaliger" Genosse um 17 Uhr noch nicht wählen war, wurde er angerufen und zum Wahllokal gebracht. Ein anderer Trick bestand darin, daß traditionelle Nichtwähler ihre Stimme verkauften: sie warfen nur den leeren Briefumschlag in die Urne und übergaben den unausgefüllten Wahlzettel draußen den wartenden Genossen für ein Taschengeld. Und der nächste Wähler schmuggelte den nunmehr ausgefüllten Wahlzettel wieder in das Wahllokal. Bei der Auszählung sind viele solche leeren Briefumschläge aufgetaucht, es gab stellenweise doch mehr ausgefüllte Wahlzettel als registrierte Wähler. Wir haben daraufhin in 560 Fällen Anzeige erstattet.

Warum wurden die verdächtigen Fälle nicht untersucht?

Csurka: Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Wahlleiter habe einfach behauptet, die "paar" Fälle hätten den Ausgang der Wahl nicht entscheidend beeinflußt. Damit war die Sache für sie erledigt. Aber bei der Niederlage der Bürgerlichen spielten auch die Wahlprognosen ein Rolle, denn sie zeigten einen zehnprozentigen Vorsprung vor den Sozialisten. Orbán und seine Fidesz-MPP waren daher sehr siegessicher und dachten, die Schlacht sei schon geschlagen (Anm. d. Red.: Szájer-Interview, JF 14/02). Außerdem haben sie sämtliche Angebote zur Zusammenarbeit mit uns zurückgewiesen - sicherlich aus Angst vor dem Westen, der verheerende "Österreich-Boykott" hatte ja deutlich gezeigt, was zu befürchten war. Fest steht: wäre die MIÉP mit nur zehn Abgeordneten im Parlament, gäbe es heute keine Liberal-Sozialistische Regierung in Ungarn.

In den westlichen Medien wird die MIÉP überwiegend als "rechtsextrem" und "antisemitisch" charakterisiert. Wie erklären Sie sich diese schwerwiegenden Vorwürfe?

Csurka: Die liberalen Medien sind eine eigenständige "Weltmacht", sie funktionieren überall gleich. Aus Ungarn berichten in der Regel Journalisten, die ehemals im kommunistischen Staatsapparat ausgebildet wurden und nicht selten jüdischer Herkunft sind. Sie transportieren die Informationen nach draußen, aufgrund ihrer Berichte formt sich das Bild über die ungarische Innenpolitik. Mich, und damit die MIÉP, bekämpfen sie vor allem deshalb, weil ich von Anfang an die KP-Nomenklatur angegriffen und auf Mißstände hingewiesen habe. Das tat und tue ich ohne Rücksicht auf ihre Herkunft. Deswegen bin ich in ihren Augen ein "Antisemit", was natürlich nicht stimmt.

Schon vor den Wahlen war zu beobachten, daß Orbán bestrebt war, eine einheitliche konservativ-bürgerliche Partei zu schmieden. Nach seiner Niederlage scheint er mit Hochdruck diese Idee weiterzuentwickeln. Kürzlich sagte der Ex-Premier in einem Interview, die MIÉP würde ihn nicht interessieren, aber mit ihren Wählern müsse man reden können. Sehen Sie hier eine Gefahr für ihre Partei?

Csurka: Diese Bestrebungen können tatsächlich gefährlich werden. Schon während des Wahlkampfes haben die Bürgerlichen viele unserer Gedanken und Schlagworte übernommen, ohne die Quelle zu benennen; aber das meiste davon bleibt Rhetorik. Die MIÉP-Wähler fallen darauf nicht rein, die Partei bleibt eine eigenständige Entität.

Sollte aber dennoch ein linker und rechter Block zustandekommen, könnte die MIÉP dazwischen zerrieben werden oder in die Bedeutungslosigkeit herabsinken.

Csurka: Ich glaube nicht, daß ein Zweiparteiensystem funktioniert, die MIÉP wird solche Bestrebungen immer bekämpfen. Denn auch in anderen Staaten kann man beobachten, daß das nicht klappt, schauen Sie zum Beispiel nach Frankreich. Daß Chirac ein "Rechter" sein soll, ist völlig lächerlich, sonst wäre er nie zusammen mit den Trotzkisten gegen Le Pen aufgetreten. Und auch in Deutschland gibt es das nicht, auch dort existieren Juniorpartner. Man kann es ganz einfach ausdrücken: Eine Gesellschaft kann man nicht in zwei Blöcke teilen; besonders die europäischen Gesellschaften sind viel bunter und vielschichtiger. Im übrigen sind auch die Zeiten von "rechts" und "links" vorbei, daher hieß unsere Wahlparole: "Weder links noch rechts, sondern christlich und ungarisch!". Erst kürzlich haben die Sozialisten erörtert, daß sie sich zu Sozialdemokraten umbenennen, so daß dann auch die Liberalen (SZDSZ) beitreten könnten. Was für ein schlechter Witz! Die Sozialisten haben die Sozialdemokraten nach 1945 und 1956 verfolgt, ermordet, ausgerottet - sozialdemokratisches Blut klebt an ihren Händen, und jetzt wollen sie ihren Namen übernehmen. Das ist unmöglich.

Sie kandidieren bei den Kommunalwahlen am 20. Oktober für den Posten des Budapester Oberbürgermeisters, obwohl dadurch die Position des bürgerlichen Kandidaten, Pál Schmitt, geschwächt wird. Wie sehen Sie Ihre Chancen?

Csurka: Wenn Schmitt tatsächlich konservative Standpunkte vertreten würde und wenn die Parlamentswahlen anders verlaufen wären, hätte man über einen Rücktritt zu seinen Gunsten verhandeln können. In der jetzigen Situation halte ich es für wichtiger, daß die MIÉP antritt und beweist, daß das Ergebnis vom April nicht der Wahrheit entspricht. Würden wir jetzt das Handtuch werfen, könnte das das Ende der Partei sein. Außerdem bekäme Schmitt sowieso nicht die Stimmen unserer Anhänger, denn dazu ist sein politisches Profil viel zu schwammig. Es könnte sogar etwas dran sein an dem jüngsten Gerücht, Schmitt habe mit den Sozialisten verhandelt, um den amtierenden Oberbürgermeister Gábor Demszky (SZDSZ) aus dem Amt zu drängen.

Bei den Parlamentswahlen lag Ihre Partei in Budapest deutlich über fünf Prozent. Was geschieht, wenn sie jetzt weniger erreichten?

Csurka: Ein Stimmenverlust wäre schlimm, gerade deshalb muß ich mit aller Kraft meinen Wahlkampf führen und den Leuten klarmachen, daß ich auf keinen Fall für Pál Schmitt zurücktreten werde. Sollte das Ergebnis trotzdem nicht ausreichen, müssen wir natürlich auch über weitere und andere Konsequenzen nachdenken - aber ich bin zuversichtlich.

Was ist der Schwerpunkt Ihres Budapester Wahlprogramms?

Csurka: Wir wollen eine Wende des Anstands in der Hauptstadt, damit sich die Bürger wieder wohlfühlen. Die Korruption muß bekämpft werden, ebenso der Drogenhandel. Wir brauchen ein ordentliches Wohnungsbauprogramm für Familien mit drei Kindern, die wachsende Schere zwischen armen (Pest) und reichen (Buda) Stadtteilen muß geschlossen werden. Kurz: Wir wollen keine "Internationale City", sondern eine lebenswerte Hauptstadt für die Einheimischen. Alexander Barti

 

István Csurka, 1934 in Budapest geboren, ist Dramaturg und Schriftsteller. 1981 bis 1992 im Vorstand des Schriftstellerbundes. 1987 Mitbegründer des CDU-nahen Ungarischen Demokratischen Forums (MDF). 1990/94 und 1998/02 Parlamentsabgeordneter.1993 Mitgründer und seit 1994 Chef der rechtsnationalen Partei MIÉP. Seit 1990 Herausgeber der konservativen Wochenzeitung "Magyar Fórum".

 

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