© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Wege, Abwege, Umwege
Was hierzulande die Faschismuskeule, ist in den USA das "bloody shirt"
Ralph Raico

In den Jahrzehnten nach dem amerikanischen Bürgerkrieg winkten die Republikaner zu Wahlkampfzeiten stets mit dem "bloody shirt". Ihre Gegner von den Demokraten beschimpften sie als "Rebellen" oder "Verräter" und wärmten ohne Ende die Schrecken des Sklavensystems und des furchtbaren Krieges auf, der angeblich nur wegen der Sklaverei geführt worden war. Diese Taktik erwies sich als sehr wirkungsvoll: Die Republikaner konnten damit ihre Macht befestigen, weiterhin die Eisenbahnbarone des Westens subventionieren und die amerikanische Öffentlichkeit durch stets höhere Zölle belasten, die Indianer der "Great Plains" ausrotten oder auf andere Weise die Tradition der "Grand Old Party" ausleben.

Das blutigste Hemd von allen gehört heutzutage Hitler und den Nationalsozialisten. Das geeignete Opfer, dem man damit vor der Nase herumwinken kann, sind natürlich die Deutschen. Amerikas regierende Neokonservative mußten dieses Gift unbedingt verspritzen, als Kanzler Schröder im deutschen Wahlkampf schwor, George Bush nicht in einen Krieg gegen den Irak zu folgen. Voll Wut zitierte ein Autor der National Review Online daraufhin einen zeitgenössischen (Möchtegern-)Mencken: Die deutsche Sprache, sagt er, tauge nur dazu, dem Gesprächspartner ins Gesicht zu spucken. Eine solche Dummheit hätte vielleicht mehr ausgesagt, wenn sie von jemandem stammte, der tatsächlich ein paar Zeilen deutsche Prosa lesen könnte. Oder, sagen wir, ein Gedicht von Goethe, der doch den Leuten nicht allzu derb ins Gesicht zu spucken pflegte.

Das Wall Street Journal versuchte es auf eine etwas raffiniertere Art. Unter dem Titel "Der Deutsche Weg" hieß es: "Wie wir letzte Woche bemerkten, gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen dem militaristischen Deutschland der 1930er Jahre und dem pazifistischen Deutschland der 2000er Jahre: Beide schlagen sich gegen die freie Welt auf die Seite eines faschistischen Dikators, wenn auch in diesem Fall nicht ihres eigenen. Wie um diesen Punkt zu unterstreichen, berichtete die Londoner Times kurz vor der Wahl, daß 'deutsche Neonazis, einschließlich des früheren Chefs der weit rechtsstehenden Republikaner, Franz Schönhuber, jetzt den Kanzler unterstützen, weil er mit seinem 'Deutschen Weg' die Vereinigten Staaten herausfordert'."

Wie wahnsinnig wird hier das "bloody shirt" hin- und hergeschwenkt. Die Logik ist ziemlich verrückt, nicht wahr? Pazifistische Faschistenfreunde? Hat nicht auch Papst Johannes Paul II., könnte man mit Recht einwenden, sich gegen eine grundlose Attacke auf den Irak und dessen Volk ausgesprochen? Natürlich gibt es Neokonservative, die darauf erwidern, der gegenwärtige Papst lasse einfach den "Faschismus" seines Vorgängers Papst Pius XII. (1876-1958) wiederaufleben. "Hitler's Pope" war der ja nach dem Buchtitel von John Cornwell. Aber das Wall Street Journal ist nicht auf das Niveau der New Republic gesunken, oder? Noch nicht.

 

Prof. Dr. Ralph Raico studierte bei Friedrich August von Hayek. Er lehrt heute Geschichte am State University College of New York in Buffalo und ist Senior Fellow des Ludwig von Mises Instituts. In deutscher Sprache erschien von ihm zuletzt "Die Partei der Freiheit: Studien zur Geschichte des deutschen Liberalismus" (Verlag Lucius & Lucius, 1999).


 
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