© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Über Bagdad und Kabul nach China
Neuauflage des Buches von Carl August von Gablenz über den Pamirflug einer Ju 52 der Deutschen Lufthansa vor 65 Jahren
Thomas Fehse

Im August 1937 startet eine Ju 52 der Deutschen Lufthansa vom Berliner Flughafen Tempelhof, um über Rhodos, Bagdad und Teheran nach Kabul zu fliegen. Die afghanische Hauptstadt ist als Sprungbrett für ein riskantes Unternehmen ausgewählt worden: den Flug über das Dach der Welt, der in den Metropolen Chinas, in Nanking und Shanghai enden soll.

Der Vorstoß ins Innere Asiens glückt zunächst überraschend reibungslos: Wo heute die Airbusse schwerelos über das phantastische Panorama der Achttausender des Himalaya gleiten, schraubt sich die winzige "Tante Ju" mit Mühe auf 5.000 Meter, um dann zwischen den Riesen des Pamirgebirges hindurchzuschlüpfen. An der südlichen Grenze zur Wüste Gobi entlang geht der Flug nach Sian in Mittelchina. Hier muß die abenteuerliche Mission abgebrochen werden, weil die Spannungen zwischen China und Japan sich in einem Krieg entladen haben und die Luftwaffe des Tenno die avisierten Ziele Nanking und Shanghai bombardiert. Aber in die Fänge des Krieges gerät die dreiköpfige Besatzung dann doch. Auf dem Rückflug, während einer Zwischenlandung in der Oase Chotan, fällt sie in die Hände eines der vielen Warlords, die sich in dem unter Tschiankaischek zerbröckelnden Riesenreich zu Lokaldespoten aufschwingen. Erst nach vierwöchiger Gefangenschaft können die Deutschen ihre ausgeplünderte Junkers besteigen und in gefährlicher Nähe zu den Bergketten des Pamir ein zweites Mal eine fliegerische Glanzleistung vollbringen, bevor die deutsche Kolonie in Kabul die Vermißten mit "großem Bahnhof" empfangen darf.

Die Geschichte dieses Pionierflugs hat Carl August von Gablenz, Kapitän und Vorstandsmitglied der Lufthansa, 1937 erstmals veröffentlicht. Bis zur "Frontausgabe" von 1943 erreichte das Buch fünf Auflagen. Es handelt sich hier also um den Neudruck eines auch antiquarisch nicht eben häufig angebotenen Werkes. Daß der Verlag es bei einem bloßen Nachdruck bewenden ließ, ohne zeithistorische Einleitung, ohne kommentierende Anmerkungen, dürfte Kritik provozieren. Vor allem von jenen Moralisten, die lautstark gegen die allein auf technische Leistungen fixierte Präsentation deutscher Luftfahrtgeschichte in Peenemünde oder Rostock (siehe JF 38/02) mobil machen. Anstoß könnten bei solchen Zeitgenossen schon die ersten Zeilen erregen, in denen Gablenz dem "Herrn Reichsminister der Luftfahrt, Generaloberst Göring" und dessen Staatssekretär Erhard Milch dankt. Ohne in den Chor der Berufsbewältiger einzustimmen, sondern im Gegenteil, um ihnen das Wasser abzugraben, wäre dem Verlag daher zu empfehlen gewesen, dieses Flugabenteuer in seinen politischen Kontext zu stellen. Gablenz deutet dies nur grob an, wenn er das Bedürfnis nach einer Pamirroute damit erklärt, daß dem Deutschland Adolf Hitlers der Luftweg nach China via Sowjetrußland genauso versperrt war wie über das britische Indien und das französische Indochina. Ganz unerwähnt bleibt aber, daß gerade 1937 die Fernostpolitik im Zeichen der neu geschmiedeten Achse Berlin-Rom-Tokio von China auf Japan umgeschaltet wurde. Als die Gablenz-Crew im Interesse der deutschen Wirtschaft sich bis nach Sian vorgewagt hatte, war der Siemens-Vertreter in Nanking, der jüngst als "Schindler Chinas" mediengerecht vermarktete John Rabe gerade dabei, im Schutz der Hakenkreuzarmbinde, der mordenden und vergewaltigenden japanischen Soldateska möglichst viele potentielle chinesische Opfer zu entreißen. Ein anderer, erläuterungsbedürftiger Kontext wird bei Gablenz Landung in Bagdad mit der Person des Gesandten Fritz Grobba berührt, eine der James-Bond-Figuren des Auswärtigen Amtes, die 1941 den bald niedergeschlagenen irakischen Aufstand gegen das britische Empire organisierte. Der Name Grobbas, der 1939 auch in Saudi Arabien Fuß zu fassen suchte, wo er zum Einstand in Dschidda Ibn Saud mit einem silbernen Modell der Ju 52 beschenkte, signalisiert, wie nicht nur die Pamirmission dazu diente, an den verwundbarsten Stellen des britischen Weltreiches nach deutschem Einfluß zu streben.

Mit kräftigen exotisch-romantischen Beigaben aufbereitete Reiseberichte, in denen diese politische Dimension zugunsten abenteuerlich-sportiver Aspekte zurücktrat, zählten zu den Bestsellern der dreißiger Jahre. Der "Kulturfilm" über die Hochgebirgsexpedition am Nanga Parbat stand dem Erfolg von Leni Riefenstahls "Olympia" nicht nach. Nicht zufällig avancierte der 8.100 Meter hohe Riese am Indus im öffentlichen Bewußtsein zum "deutschen Schicksalsberg", erkor Heinrich Himmler Tibet zum Ziel einer SS-Expedition und auch das westliche China, das den Pamirfliegern fast zum Verhängnis wurde, war dem deutschen Leserpublikum seit langem aus den farbigen Schilderungen Sven Hedins und Wilhelm Filchners vertraut.

Es ist darum sehr schade, daß der Verlag heute, wo der Nahe und Mittlere Osten wieder und immer noch Schauplatz weltpolitischer Entscheidungen ist, die geringen Kosten für eine zeithistorische Einbettung dieses Textes gescheut hat. Denn so bedeutungslos, daß es jetzt gestattet sein dürfte, den Pamirflug von 1937 als aeronautisches Karl-May-Abenteuer zu offerieren, war der gescheiterte Brückenschlag von Berlin nach Shanghai gewiß nicht.

Carl August von Gablenz:: Pamirflug. Lufthansa D-ANOY 1937. Herbig Verlag, München 2002, 192 Seiten, 24,90 Euro


 
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