© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002


Der große Betrug
SPD und Grüne beschreiten rücksichtslos den Weg in eine andere Republik
Paul Rosen

Edmund Stoiber fühlt sich von Gerhard Schröder "verarscht", eine Mehrheit der Wähler in Deutschland vermutlich auch. Der Bundeskanzler und die Parteiführungen von SPD und Grünen haben einen Koalitionsvertrag zusammengeschustert, der in der Geschichte der Bundesrepublik seinesgleichen sucht. Entgegen allen Versprechungen sind breite Schichten von den zahlreichen Abgabeerhöhungen betroffen. Mehr noch: Mit der Vereinbarung macht sich Rot-Grün auf den Weg in eine andere Republik.

Doch auf schnelle Abhilfe und Möglichkeiten, das rot-grüne Projekt zu beenden, dürfen weder der CSU-Chef noch enttäuschte Wähler hoffen. Wegen der Möllemann-Krise droht der FDP der Wandel vom Projekt 18 zum Projekt 1,8 Prozent. Ohne FDP könnte die CDU jedoch in Hessen oder Niedersachsen, wo am 2. Februar 2003 gewählt wird, kaum regieren. Eine Niederlage in Hessen würde die Union zugleich um ihre Mehrheit im Bundesrat bringen.

Auch wenn er fest im Sattel zu sitzen scheint, vor den Wählern und auch international hat sich Schröder blamiert wie vor ihm kein Bundeskanzler. Stoiber hat wohl recht, wenn er sagt, schon vor ihrem Amtsantritt sei die zweite rot-grüne Koalition "wegen ihres dreisten Belügens der Wähler" moralisch gescheitert. International und im westlichen Bündnis ist die Lage für die Deutschen verzwickt. Mit seinem isolationistischen Kurs hat Schröder den amerikanischen Präsidenten George Bush und auch die westlichen Regierungen in London und Paris nachhaltig verärgert. Eine Bereinigung der entstandenen Spannungen dürften sich die Verbündeten teuer bezahlen lassen.

Doch von den Parteitagen der Koalitionsparteien war nicht zu erwarten, daß sie sich der ernsten Themen annehmen würden. Die SPD hielt eine Jubelveranstaltung auf Schröder ab, und die Grünen zerfleischten sich wegen der umstrittenen Trennung von Amt und Mandat. Der grüne Ärger über die von Schröder im Alleingang zugesagte Laufzeitverlängerung für das Kernkraftwerk Obrigheim war wichtiger als eine Debatte über die massive Belastung der Bürger.

In der Innenpolitik hat bisher keine Regierung vor der Wahl so viel anderes versprochen, als sie wenige Tage nach der Feststellung des amtlichen Endergebnisses dann beschlossen hat. Steuererhöhungen und Abgabensteigerungen waren kategorisch ausgeschlossen worden, Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel hatten eine Fortsetzung des Sparkurses angekündigt. Jetzt wird alles anders: Durch die ab kommenden Jahr weiter steigenden Beiträge zur Gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung werden die Lohnnebenkosten in Deutschland weiter in die Höhe getrieben. Die daraus resultierende Verringerung der Nettolöhne wird den Konsum zurückgehen lassen.

Zugleich wird den von Beitragserhöhungen geplagten Bürgern vorgegaukelt, sie würden in einigen Jahrzehnten höhere Renten erhalten, obwohl heute schon feststeht, daß die erworbenen Ansprüche aufgrund der demographischen Entwicklung nicht eingelöst werden können. Doch für die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme wurde nichts getan. Weder die Probleme der Renten- noch der Krankenversicherung will Rot-Grün strukturell angehen.

Was die Koalition weiter beschloß, ist ein gigantisches Abschwungbeschleunigungsprogramm. Allein durch die Kürzungen der Eigenheimzulage dürften in der Baubranche vermutlich über 200.000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Normalverdienende Familien können sich den Erwerb eines Eigenheimes künftig nicht mehr leisten. Es sei denn, beide Ehepartner gehen arbeiten und bringen ihre Kinder tagsüber in einer der vielen Kindertagesstätten unter, die jetzt mit Milliardenaufwand errichtet werden sollen.

Die beschlossenen Steuererhöhungen für Grundbesitzer und Aktionäre werden den Immobilienmarkt zum Absturz bringen. Die Aktie wird als Instrument der Altersvorsorge nicht mehr gefragt sein, wenn jeder Kursgewinn versteuert werden muß. Für den Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaft, sieht die Koalitionsvereinbarung nichts vor. Aber die beschlossenen anderen Belastungen, etwa die Verringerung von Ausnahmen bei der Ökosteuer, dürften viele kleinere Betriebe treffen. Angesichts der zahlreichen Belastungen der Wirtschaft ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesem Winter auf 4,5 Millionen nicht mehr auszuschließen. Nur die von Rot-Grün angekündigte "Bereinigung" der Arbeitslosenstatistik dürfte die Regierung davor bewahren, zu Weihnachten fünf Millionen Arbeitslose in der Bilanz stehen zu haben.

Besonders gravierend ist das Ende des ohnehin nicht sehr überzeugend betriebenen Sparkurses. Eichels Marsch in die weitere Kreditaufnahme (immerhin bis 16 Milliarden Euro zusätzlich in diesem Jahr) gefährdet direkt die Geldwertstabilität und wird eine Sogwirkung auf die bekannten anderen EU-Schuldenmacher wie Frankreich oder Italien haben.

Schon seit Adam Smith, dem Begründer der Volkswirtschaft, ist bekannt, daß alle Staaten ihre Finanz- und Schuldenprobleme stets über Inflationen "gelöst" haben. Ausgerechnet Deutschland, das mit der Deutschen Mark fünf Jahrzehnte ein Stabilitätsanker war, begibt sich jetzt auf den Weg der weichen Währung. Schon jubelt EU-Kommissionspräsident Romano Prodi vor dem EU-Parlament in Straßburg, es sei "dumm, blindlings an den Stabilitätskriterien festzuhalten".

Man darf sich den Koalitionsbeschlüssen aber nicht nur wie Stoiber von der finanztechnischen Seite nähern oder nach den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt fragen. Rot-Grün will mehr. Die faktische Abschaffung der Eigenheimförderung zielt darauf, Familien in möglichst großen Mietwohnungseinheiten zu halten, wo sie stärker auf staatliche Fürsorge angewiesen und auch zu kontrollieren sind. Die DDR bevorzugte diesen Weg ebenfalls, denn die Schaffung bürgerlicher Milieus durch Eigenheimbau war den Kommunisten zuwider.

Die weiter anhaltende Steuerbegünstigung von Großkonzernen und die Schwächung des Mittelstandes soll ein "proletarisches" Milieu erhalten, während subsidiär und selbstverantwortlich arbeitende kleine Einheiten systematisch behindert werden. Die geplante Abschaffung des Meisterbriefes als Voraussetzung zur Führung eines Betriebes würde das Ende des traditionellen Handwerks und damit eines weiteren bürgerlichen Milieus bedeuten. Die Landwirtschaft muß zwei Milliarden Euro Mehrbelastung in Kauf nehmen. Nur die Kappung des Ehegattensplittings, die der traditionellen Ehe die finanzielle Grundlage entzogen hätte, kam nicht zustande. Aber insgesamt treibt Rot-Grün die Deutschen in eine andere Republik. 


 
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