© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Konvergenzwahn
Karl Heinzen

Der Präsident der EU-Kommis-sion, Romano Prodi, hat den einst von Theo Waigel initiierten Stabilitätspakt als dumm bezeichnet, weil er sich mit seiner Verpflichtung aller Mitglieder der Europäischen Währungsunion, kein Haushaltsdefizit von mehr als drei Prozent zuzulassen, als zu inflexibel erwiesen habe. Wer ihn dafür kritisiert, ist nicht bloß ein Illusionär, sondern hat den Sinn der Gemeinschaftswährung schlichtweg nicht begriffen. Der Euro wurde nicht eingeführt, um eine Ära der Haushaltsüberschüsse und des staatlichen Schuldenabbaus zu erzwingen. Diese Perspektive hat man lediglich als eine denkbare Nebenwirkung in den Raum gestellt, um Einwänden marktwirtschaftlicher Fundamentalisten, die womöglich auch noch populistisch zu instrumentalisieren gewesen wären, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Der Euro war nötig, um die währungs- und finanzpolitische Hegemonie, die die Bundesrepublik Deutschland unwillentlich und absichtslos über Europa ausübte, zu brechen, bevor irgend jemand in Berlin auf die Idee käme, ihr eine politische Entsprechung zur Seite stellen zu wollen. Das Gerede, in das Gerhard Schröder und Joschka Fischer nun unser Land gebracht haben, zeigt zudem, daß deutsche Außenpolitik weder bewußt an unheilvolle Traditionen anknüpfen noch ein außergewöhnliches eigenes Interesse verfolgen muß, um als störend und das europäische Miteinander belastend empfunden zu werden. Dank der währungspolitischen Entwaffnung Deutschlands ist die Gefahr, daß Irritationen eskalieren, gebannt. Diese Chance hat Helmut Kohl gemeinsam mit seinen europäischen Partnern erkannt und genutzt.

Haushaltsdisziplin hingegen kann der Euro nicht erzwingen. So wenig wie er eine wirtschafts- und finanzpolitische Konvergenz der beteiligten Staaten zum Ausdruck brachte, so wenig vermag er diese zu befördern. Im Gegenteil: Der Devisenmarkt zwang die heutigen Euro-Partner, die durch Deutschland - so oder so - geschaffenen Tatsachen zu akzeptieren und die eigene Politik an ihnen auszurichten. Diese Fessel besteht nun nicht mehr. Die Konvergenz war weder eine Realität noch ein lohnenswertes Ziel. Zu den Konditionen des Stabilitätspaktes war sie sogar eine Wahnvorstellung. Aus welchem Grund sollen Zwergenökonomien, in denen es aufgrund günstiger Umstände ausgeglichene Staatshaushalte gibt, beispielgebend für die Motoren der europäischen Einigung wie Frankreich und Deutschland sein?

Man muß Verständnis dafür haben, wenn sich auf Dauer niemand in ein Verhaltenskorsett zwängen lassen will, das irgendwelche wohlklingenden Absichtserklärungen einer fernen Vergangenheit vermeintlich auferlegen. Da die akademische wie die populistische Kritik am Euro nahezu verstummt ist, gibt es auch keinen Anlaß mehr, trotzig den Schein zu wahren, der Stabilitätspakt hätte primär andere als taktische Ziele in der innenpolitischen Überzeugungsarbeit verfolgt.


 
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