© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002


"Gift für das Wachstum"
Hans Michelbach, Chef der CSU-Mittelstandsunion, über rot-grüne Wirtschaftspolitik und den Euro-Stabilitätspakt
Jörg Fischer / Moritz Schwarz

Herr Michelbach, Bundesfinanzminister Hans Eichel gab jüngst bekannt, daß der deutsche Staatshaushalt - bestehend aus Bund, Ländern und Gemeinden - in diesem Jahr voraussichtlich ein Defizit von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufweisen wird. Das heißt, ein zentrales Kriterium des Euro-Stabilitätspaktes aus dem Jahre 1996 kann vom mit Abstand größten EU-Land nicht mehr eingehalten werden. Die Staatsverschuldung soll laut Eichel um einen zweistelligen Euro-Betrag anwachsen. Was schlägt die CDU/CSU-Opposition alternativ dazu vor?

Michelbach: Der Bürger hätte eigentlich eine ehrliche Bestandsaufnahme unserer wirtschaftlichen Situation von der Regierung erwarten dürfen. Man muß schon dankbar sein, daß wenigstens die Bundesbank zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, indem sie unlängst deutlich machte, daß zwischen Januar und September neue Schulden in Höhe von 25,8 Milliarden Euro aufgenommen wurden, während eigentlich nur 21 Milliarden genehmigt worden waren. Zudem wird einmal mehr klar, daß die Neuverschuldung die Investitionen im Haushalt weit übersteigt, und damit nach Artikel 115 des Grundgesetzes der Haushalt verfassungswidrig ist! Hätte die CDU/CSU als neue Bundesregierung diese Situation so vorgefunden, hätten wir den Menschen über die Tatsachen reinen Wein eingeschenkt und so beim Bürger für die resultierenden neuen Sparmaßnahmen sicherlich Verständnis gefunden. Das Problem ist, daß den Deutschen von Rot-Grün nun erneut ein X für ein U vorgemacht wird, und die Menschen deshalb zu Recht nicht einsehen, daß sie einen Beitrag zur Einsparung leisten sollen.

Welche Staatsausgaben könnten Ihrer Meinung nach denn gekürzt werden, ohne das die Konjunktur noch weiter beschädigt wird?

Michelbach: Da gibt es eine ganze Menge an Möglichkeiten, zum Beispiel die Kohle-Subvention. Notwendig wäre aber grundsätzlich ein Subventionsbegrenzungsgesetz, das eine Verminderung von fünf bis zehn Prozent quer durch alle Subventionen verlangt. Das würde auch dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger entgegenkommen; ganz im Gegensatz zu der gegenwärtigen, ordnungspolitisch zweischneidigen und auch ungerechten bisherigen Vorgehensweise der Bundesregierung.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hat vergangene Woche in einem Interview das unbedingte Festhalten an den Stabilitätskriterien des Euro als "dumm" bezeichnet, worüber es im Europäischen Parlament zum Streit gekommen ist. Es war vor allem Ihr Parteikollege, der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel, der sich 1996 vehement für die Einhaltung des Stabilitätspaktes eingesetzt hat.

Michelbach: Die von Prodi vorgeschlagene Aufweichung der Stabilitätskriterien ist ein höchst gefährlicher Weg, denn damit wird die Stabilität des Euro untergraben. Und ohne Vertrauen in die Währung werden wir in noch größere wirtschaftliche Turbulenzen kommen, als wir es derzeit schon sind. Man muß bereit sein zu konkreten Einsparungen, also zur Reduktion der Staatsquote, und darf nicht das Heil in der Flucht in immer neue Schulden suchen. Das bedeutet nämlich bekanntlich nicht nur eine Gefahr für die Währung, sondern hat auch Einfluß auf die Höhe der Zinsen, die ja für die Investitionen bedeutend sind und damit eine maßgebliche Rolle für die Konjunktur spielen. Vor allem mit Blick auf das Prinzip der Nachhaltigkeit ist das der falsche Weg, denn neue Schulden bedeuten immer eine weitere Belastung der kommenden Generation.

Sie sind Vorsitzender der CSU-Mittelstandsunion. Das Konzept "Basel II" der Europäischen Union erzwingt verschärfte Richtlinien für die Vergabe von Krediten. Welche Belastung bedeutet das für den Mittelstand?

Michelbach: "Basel II" ist für den deutschen Mittelstand eines der wesentlichen Probleme. Wir haben in Deutschland eine sehr schwierige Finanzierungssituation für den Mittelstand, weil wir die geringste Nettorentabilität in Europa und eine sehr schwache Eigenkapitalbasis in den Betrieben haben. Demzufolge ist die Kreditwürdigkeit natürlich sehr eingeschränkt. Deswegen brauchen wir für den Mittelstand, der schließlich bei uns über 70 Prozent der Arbeitsplätze zur Verfügung stellt, spezielle Finanzierungswege, sprich bis zu einem gewissen Grade Ausnahmen bei "Basel II", also bei der Bonitätsbewertung und Kreditgewährung für kleinere Betriebe. Tatsächlich läßt das, was wir im Finanzausschuß zur Verhandlung über das Paket eingebracht haben, noch zu wünschen übrig. Wir brauchen also eine harte Verhandlungsführung der Bundesregierung in Basel, um den Bedürfnissen des Mittelstandes Rechnung zu tragen.

Die Steuerpläne der rot-grünen Bundesregierung sind von Wirtschaftsfachleuten und der Opposition massiv kritisiert worden. Was hätte die CDU/CSU anders gemacht - denn sie hätten ja vor dem gleichen Haushaltsdefizit gestanden?

Michelbach: Unsere Konjunktur wird weiter durch die stark ansteigenden Steuererhöhungen behindert: Im Jahr 2003 von 7,1 Milliarden, bis zum Jahr 2006 auf 22,3 Milliarden Euro. Das ist natürlich für die Investitionsfähigkeit und -bereitschaft der Wirtschaft ebenso wie für das Verbrauchervertrauen Gift. Niedrigere Steuersätze haben immer zu mehr Wachstum und so zu mehr Steuereinnahmen geführt. Über fünfzig Steuerverschärfungen bringt aber das rot-grüne Finanzpaket und widerspricht damit obendrein dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen. Wir hätten Einsparungen vorgenommen, um Steuererleichterungen gegenzufinanzieren.

Was halten Sie von der geplanten Mindestbesteuerung für Unternehmen?

Michelbach: In der Tat wird mit diesem Konzept das Prinzip der Besteuerung nach Leistung ausgehebelt. Schon jetzt handelt es sich bei den meisten Steuerverschärfungen der rot-grünen Bundesregierung um Scheingewinnbesteuerungen. Das heißt, Firmen werden verschärft besteuert, obwohl sie gar keinen zusätzlichen Gewinn gemacht haben! Das alles sind Steuern, die die Substanz der Betriebe beschädigen. Deshalb ist eine Mindeststeuer, was die Unmöglichkeit Verluste und Gewinne zu verrechnen bedeutet, ein Anschlag auf unsere bisherigen, bewährten deutschen Steuerprinzipien. Der Staat kann nicht nur "auf der Matte stehen", wenn es den Unternehmen gut geht, er muß sich auch in schweren Zeiten als Partner zeigen.

Ab 2003 steigen die Beiträge der Gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung. Auch das wirkt sich direkt auf alle Betriebe aus, da sie schließlich die Hälfte der Sozialbeiträge zu tragen haben. Unter einer unionsgeführten Bundesregierung wäre für den Haushalt allerdings erschwerend noch die Streichung der Ökosteuer hinzugekommen.

Michelbach: Eine Lösung dieses Problems ist nur durch mehr Wachstum und Beschäftigung möglich, und deshalb ist auch hier die Politik der neuen Bundesregierung das reine Gift. Die Union hätte auf die Reform der sozialen Sicherungssysteme gesetzt, statt den Faktor Arbeit immer weiter zu verteuern.

Sprich, die Union hätte die Ausgaben reduziert?

Michelbach: Notgedrungen, zum Beispiel hätten wir bei der Lebensarbeitszeit auf eine Einhaltung der festgelegten Altersgrenze von 65 Jahren gedrungen, denn tatsächlich gehen heute die meisten Arbeitnehmer schon früher in Rente.

Auf dem Arbeitsmarkt sind allerdings ältere Arbeitnehmer zugunsten jüngerer Arbeitskräfte bekanntlich nicht mehr sonderlich gefragt.

Michelbach: Bei der gegenwärtigen katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung, hervorgerufen durch die falsche Weichenstellung der Koalition, haben wir überhaupt keine Chance - weder jüngere, noch ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen. Denn derzeit werden für ältere Entlassene doch gar keine jüngeren Arbeitssuchenden eingestellt.

Die Bundesregierung will das Konzept der "Hartz-Kommission" umsetzen. Das setzt aber hauptsächlich bei der Vermittlung von Arbeitsstellen an. Was hält die Opposition
dagegen?

Michelbach: Der Arbeitsmarkt muß schlicht und einfach "befreit" werden: Bürokratie muß abgebaut, die Scheinselbständigkeitsregelung abgeschafft werden. Betriebliche Bündnisse für Arbeit müssen geschlossen und ein Mittelstandsförderprogramm aufgelegt werden. Das alles sieht das Hartz-Konzept nicht vor. Hier geht es lediglich um reine Vermittlung, stellt sich nur die berechtigte Frage: Wohin?

Also auch eine Lockerung des gesetzlichen Kündigungsschutzes?

Michelbach: Das Arbeitsrecht muß auch entrümpelt werden, das ist klar. Insbesondere für ältere Arbeitnehmer sollte es für den Einstieg ein unbürokratisches Abfindungsmodell geben.

Zum Ausbau der Bürokratie ist ebenfalls das vor allem von den Grünen geforderte Anti-Diskriminierungsgesetz gezählt werden, denn auch das wird Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Die Unternehmer werden dann nicht mehr Arbeitskräfte frei wählen können, sondern zusätzlich die Anti-Diskriminierungs-Grundsätze beachten müssen.

Michelbach: Rot-Grün belastet den Arbeitsmarkt mit immer mehr Hemmnissen. Solche Regelungen mögen für jene gut sein, die eine Stelle haben. Die, die aber auf dem Markt frei zur Verfügung stehen, werden so noch weiter ausgegrenzt. Bürokratie - und dazu gehört zweifellos auch der Unsinn des Anti-Diskriminierungsgesetzes - setzt die bewährten Prinzipien der Marktwirtschaft immer weiter außer Kraft.

Die FDP und marktliberale Wirtschaftswissenschaftler fordern allerdings, im Zuge der "Entrümpelung" auch Regelungen wie die deutsche Handwerksordnung abschaffen.

Michelbach: Unsere Handwerksbetriebe, die von einem Meister geführt werden, haben die geringste Insolvenzrate. Unsere Handwerksordnung ist ein Garant für Qualität und Leistung. Diese Errungenschaften "wegzuliberalisieren", hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das würde keine Probleme lösen, sondern neue schaffen.

Statt Probleme aus eigener Kraft zu lösen, wird seit einigen Jahren der Ruf nach der Einwanderung neuer Arbeitskräfte laut, so vor zwei Jahren in der Grünkarte-Debatte. Inzwischen sind die ersten "Computer-Inder" arbeitslos. Auch andere angeworbene Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten können arbeitslos werden und befinden dann in Konkurrenz zu den einheimischen und EU-Arbeitslosen. Zusätzlich steht der deutsche Arbeitsmarkt nach der EU-Osterweiterung auch noch unseren osteuropäischen Nachbarn offen. Sorgen wir damit nicht für die Arbeitslosigkeit von morgen?

Michelbach: In der Tat müssen wir die Zuwanderung begrenzen und steuern - bei über vier Millionen Arbeitslosen und zwei Millionen Sozialhilfeempfängern kann es da keine Diskussion geben. Eine weitere Zuwanderung in die Sozialsysteme darf nicht stattfinden. Natürlich sind wir ein weltoffenes Land und das muß auch so bleiben, aber wir wollen keine multikulturelle Gesellschaft. Dann das wäre eine weniger friedliche und weniger gerechte Gesellschaft. Vor unseren Türen warten hundert Millionen neuer EU-Bürger, die in die EU-Freizügigkeit integriert werden müssen, und deshalb darf unsere Integrationsleistung nicht noch darüber hinaus belastet werden.

Aber dennoch wird es grundsätzlich weitere Zuwanderung geben?

Michelbach: Ja, aber nur noch kontrolliert, wenn es notwendig ist.

Droht bei einer Öffnung der Grenzen zu Polen und der Tschechei nach der EU-Osterweiterung nicht Lohndumping und verschärfter Preisunterbietungswettbewerb?

Michelbach: Die EU-Osterweiterung ist eine ganz große Herausforderung für die deutschen Grenzgebiete. Deshalb muß es auch ein spezielles Förderprogramm für diese Regionen geben. Da ist bisher noch viel zu wenig passiert. Das große Gefälle zwischen den Beitrittsländern und dem Standard in den deutschen Grenzländern darf nicht unterschätzt werden, da es mit der Osterweiterung zweifellos zum Wegbrechen weiterer Industriezweige kommen wird.

Bundeskanzler Schröder hat nun Wolfgang Clement mit einem "Superministerium" betraut. Eigentlich stammt die Idee von der Union, und Lothar Späth sollte mit diesem Posten bedacht werden. Das müßte Ihnen doch gefallen?

Michelbach: Die Frage ist, ob Wolfgang Clement der richtige Mann dafür ist. Denn bisher hat er nicht bewiesen, daß der neue Superminister auch ein Supermann in Sachen Wirtschaft und Arbeit ist. In seinem Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigen die Zahlen ein ganz anderes Bild. Die Wirtschaft hat dort in den vergangenen Jahren schlechte Wachstumsraten erzielt und die Arbeitslosenzahlen sind ebenfalls miserabel, wofür - auch wenn man das bei der SPD nicht wahrhaben will - die Landespolitik des Herrn Clement unmittelbar mitverantwortlich ist.

 

Hans Michelbach ist Vorsitzender der CSU-Mittelstandsunion und stellvertretender Bundesvorsit-zender der Mittelstandsvereinigung der Union. Seit 1994 ist der CSU-Politiker Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Geboren wurde der Groß- und Einzelhandelskaufmann 1949 in Gemünden am Main. Er ist Präsidiumsmitglied im Hauptverband des deutschen Einzelhandels.

 

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