© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002


Kühler Technokrat
Nordrhein-Westfalen I: Peer Steinbrück soll als Nachfolger von Wolfgang Clement zum Ministerpräsidenten gewählt werden
Dominik Schon

Kennen Sie den?", titelte der Kölner Express, kurz nach der Bekanntgabe der geplanten Kandidatur von Peer Steinbrück für das Amt des Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen. "Ist das vielleicht ein Schauspieler?", fragten etwa Bürger in Lippe, die auf den "Neuen" angesprochen wurden. Auch kurzfristig durchgeführte Umfragen bestätigten: Peer Steinbrück ist in Nordrhein-Westfalens weitgehend unbekannt.

Dabei gehört der gebürtige Hamburger durchaus zu den wichtigsten Politikern in NRW und kann auf eine solide Parteikarriere zurückblicken. Der studierte Diplom-Volkswirt und Sozialwissenschaftler trat der SPD kurz nach dem Abitur im Jahr 1969 bei. Seine politische Laufbahn nahm 1974 mit einem Werkvertrag im Bundesbauministerium ihren Anfang. Als persönlicher Referent arbeitete Steinbrück für die Minister Hans Matthöfer, Volker Hauff und Andreas von Bülow.

Von 1986 bis 1990 fungierte er als Büroleiter des NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau. Im Juni 1990 zog es ihn wieder in den Norden, wo er zunächst als Staatssekretär und ab 1993 als schleswig-holsteinischer Wirtschaftsminister tätig war. 1998 wechselte er erneut an Rhein und Ruhr, zunächst als Wirtschaftsminister, ab 2000 dann als Finanzminister.

Als Wolfgang Clement der Aufforderung des Kanzlers, nach Berlin zu wechseln, nachkam, rückte Steinbrück als potentieller Nachfolger alsbald ins Rampenlicht. Seine innerparteilichen Konkurrenten, wie etwa die Jugend- und Gesundheitsministerin Birgit Fischer, Arbeitsminister Harald Schartau oder Justizminister Jochen Dieckmann, schienen entweder weniger geeignet zu sein oder hatten - wie Schartau - nicht das für die Wahl zum Ministerpräsidenten notwendige Landtagsmandat.

Nach zwei Tagen innerparteilicher Beratung stand fest: Steinbrück macht wohl das Rennen. Von Präsidium und Landesvorstand wurde er einstimmig (bei einer Enthaltung) zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Die endgültige Entscheidung soll auf dem SPD-Landesparteitag am 2.November fallen.

Peer Steinbrück steht in erster Linie für Kontinuität. Seine Ansichten decken sich mit denen Wolfgang Clements. Er verfolgt den gleichen wirtschaftspolitischen Kurs wie sein Vorgänger. Beispielhaft sei hier die für das Revier immer noch symbolträchtige Kohlepolitik genannt. Unter der Überschrift "Heimische Kohle steht für Energiesicherheit" warb Steinbrück in einem Gastbeitrag für den Westfälischen Anzeiger noch unlängst für die Fortsetzung der Kohleförderung im Ruhrgebiet.

Dem "Neuen" wird ähnlich wie Clement ein einigermaßen schwieriges Verhältnis zum grünen Koalitionspartner nachgesagt. So kommentierte etwa Bärbel Höhn, die prominente grüne Umweltministerin, die Nominierung Steinbrücks mit den Worten: "Wir werden ihn nicht an seiner Zeit im Finanzministerium messen". In dieser Position hatte sich Steinbrück einen Namen als eiserner Sparkommissar gemacht, wobei seine Maßnahmen nicht immer auf Gegenliebe stießen. "Wir können Politik nicht mehr mit der goldenen Mohrrübe machen", hatte der Finanzminister zu seinem Amtsantritt verkündet. Die angespannte Finanzlage in NRW ließe diese Möglichkeit allerdings auch längst nicht mehr zu.

So brachte der Finanzminister einen Haushaltsentwurf für das Jahr 2003 ein, in dem erstmals in der Landesgeschichte real gespart wird. 1,4 Milliarden Euro sollen gegenüber den laufenden Haushaltsausgaben wegfallen. Steuerschlupflöcher schließen und Steuerprivilegien abschaffen, lautet das Credo des Finanzministers, der sich auch als "Vater der NRW-Studiengebühren" für Bummelstudenten einen Namen und nicht unbedingt nur Freunde gemacht hat.

Trotz der offenkundig fehlenden Liebe zum grünen Partner wirbt Steinbrück für die Fortsetzung der rot-grünen-Koalition. "Ich stehe für Rot-Grün bis 2005", versicherte er nach seiner Nominierung. Steinbrück ist in erster Linie Pragmatiker. Der Spezialist für eigenwillige Sprachbilder beschreibt sein Verhältnis zur Ideologie mit den Worten, daß "man mit Prinzipien nicht wie mit einer Stange durch den Wald im Mund rumlaufen sollte, sondern daß man versuchen sollte, Lösungen zu erarbeiten." Weder über Sach- noch über Personalfragen will der designierte Regierungschef zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich reden. Bekannt wurde jedoch, daß es möglicherweise ein Ministerium für Wirtschaft und Arbeit nach Berliner Vorbild geben soll.

Was Steinbrück fehlt, ist der vielbeschworene "Stallgeruch". Anders als SPD-Landeschef Schartau verfügt er in Partei und Fraktion über keinen großen Rückhalt. Die Nagelprobe folgt bei der Wahl des neuen NRW-Landeschefs am 6. November. 116 Parlamentarier müssen für ihn stimmen, wobei die SPD 102 und die Grünen 16 Abgeordnete stellen.

Daß die Wahl Steinbrücks zum Ministerpräsidenten durch Abweichler gefährdet werden könnte, gilt derzeit trotz der schwachen Mehrheit der Regierungskoalition als ziemlich unwahrscheinlich. Zu groß ist der Wille aller Beteiligten, die rot-grüne Regierung fortzusetzen. Auch die Grünen scheinen diesmal anstaltslos mitzuziehen. Oberrealo Michael Vesper läßt keinen Zweifel aufkommen: "Peer Steinbrück wird von uns 16 Ja-Stimmen bekommen."

Problematischer als die Wahl Steinbrücks zum Ministerpräsidenten erscheint die Frage nach der Eignung des Kandidaten für dieses Amt. Was auch viele Genossen wissen, bringt der Duisburger Parteienforscher Karl-Rudolf Korte auf den Punkt: Steinbrück müsse sein Technokraten-Image dringend um die Rolle des "Landesvaters" erweitern. Nur als solcher würde man wiedergewählt. Ob dem einstigen Büroleiter des personifizierten Landesvaters "Bruder Johannes" dieser Schritt gelingen wird, bleibt abzuwarten.


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