© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Eichels Ruf ist endgültig ruiniert
Finanzpolitik: Ein rot-grüner Koalitionsvertrag steuerpolitischer Flickschusterei und ökonomischen Unverstands
Bernd-Thomas Ramb

Sicher wird das finanzpolitische Süppchen im rauhen Alltag der politischen Durchsetzung nicht so heiß gelöffelt, wie zuvor mit dem euphorischen Flammenwerfer der Koalitionsvereinbarung gekocht. So manche Detailidee wird weder die Hürden des Bundesrates noch die Abwehrmauer des Bundesverfassungsgerichts bewältigen können. Die komplette Abweisung der Finanzvorhaben ist jedoch nicht unbedingt sichergestellt. Es lohnt daher ein Blick auf die wichtigsten Einzelvorhaben, schon um die Gedankenart der neuen Regierung zu erkennen und die erheblichen Mängel ökonomischen Sachverstands aufzudecken.

Generell fällt zunächst die Diktion auf, allen voran der Begriff "Abbau ungerechter Steuersubventionen und Steuervergünstigungen". Darunter wird ausnahmslos die Erhöhung von Steuersätzen oder die Ausweitung von Besteuerungsgrundlagen angeführt. Wenn diese "Vorteile" ungerecht sind, fragt es sich, warum sie überhaupt eingeführt wurden. Wohl eher trifft ihre Einordnung als "Minderung von Steuernach-teilen" zu. Die Argumentationsweise der neuen Regierung läßt aber ihre grundsätzliche Auffassung erkennen, alle Einkommen, die nicht vom Staat über Steuern und Angaben konfisziert werden, sind prinzipiell als Vorteile anzusehen, die nach dem willkürlich definierten Gesichtspunkt der "Gerechtigkeit" zu überprüfen und in die staatliche Administration zu überführen sind.

Ein zweiter Verhaltensgrundsatz ist auffällig. Die bisherige Marschrichtung "Alles ist erlaubt, nur nicht die Abweichung vom Pfad des konsequenten Abbaus der Neuverschuldung" wird verlassen. Ob dies mit konjunkturellen Besonderheiten oder mit dem Blick auf europäische Nachbarländer oder wie auch immer begründet wird, ist unerheblich. Ebenso ist das Ausmaß der Abweichung von dieser Richtschnur nun beliebig. Die Büchse der Pandora ist geöffnet und das einzige verläßliche Prinzip der alten Regierung, symbolisiert durch den "Eisernen Hans" Eichel als Finanzminister, preisgegeben. Jetzt ist dieser Ruf ruiniert und nun lebt es sich bekanntlich ganz ungeniert. Die demnächst veröffentlichten Eingeständnisse noch höherer Steuermindereinnahmen sind so vorsorglich durch eine Ausweitung der Staatsverschuldung gedeckt.

Die Absicht der höheren Neuverschuldung mischt sich praktisch allein mit dem Vorhaben, die Steuereinnahmen ebenfalls zu erhöhen. Die Ausnahmen mit Steuersenkungseffekten sind im Koalitionsvertrag nur spärlich verstreut. Sie betreffen zum einen die im Hartz-Papier postulierten "Reformen" des Arbeitsmarktes und dort die Rücknahme von Regelungen, die sich als eindeutig unpraktikabel erwiesen haben, wie etwa das 325-Euro-Gesetz. Das Füllhorn von Steuervergünstigungen wird sonst nur über ökologisch fragwürdige Vorhaben wie Windparkanlagen ausgeschüttet. Ob gerade diese Steuervorteile nachhaltig "gerecht" sind, darf bezweifelt werden. Das gilt noch mehr für die geplanten Steuererhöhungsabsichten, deren ökonomische Folgen zudem nicht durchdacht erscheinen.

So wird beispielsweise die 50prozentige Heraufsetzung des privat zu versteuernden Kostenanteils bei der Nutzung von Dienstwagen zu einem massiven Rückgang der Autonachfrage führen. Die bestehenden Dienstwagen werden in Privateigentum überführt, so daß die pauschale steuerliche Belastung entfällt, wesentlich länger gefahren und die dienstlichen Kilometer über Kostenerstattungen vergolten werden.

Weniger Ausweichmöglichkeiten bestehen bei der Mindestbesteuerung der Unternehmen. Sie betrifft Firmen, die - die gerade bei Neugründungen rasch entstehenden - Verlustvorträge aus Vorjahren in nachfolgenden Gewinnjahren nicht mehr sofort und vollständig ausgleichen dürfen, sondern nur noch anteilig. Verlustvorträge werden dadurch langsamer abgebaut. Da sie in der Regel durch Kreditaufnahmen finanziert wurden, verlängert sich die Zinsbelastung dieser Firmen. Viele werden damit zur vorzeitigen und vermeidbaren Aufgabe gezwungen, nur weil der Staat seine Unternehmenssteuereinkünfte früher erzielen will. Eine kurzsichtige Rechnung, die kaum nachhaltige Überlegungen erkennen läßt.

Bei den meisten steuerlichen Schlechterstellungen hätte sofort auffallen müssen, daß sie zwangsläufig zu einer Erstarrung der wirtschaftlichen Aktivitäten führen. Das betrifft vor allem die geplante Vollbesteuerung von Wertgewinnen aus Aktien und Immobilien. "Halten, Halten, Halten" wird automatisch das Gebot der kommenden Zeit. Wer aber kein Geld aus Altverkäufen erzielen kann, der investiert auch nicht in Neues.

Gerade der Immobilienmarkt, bisher schon das größte Sorgenkind der Wirtschaft, wird unter der nochmals reduzierten Nachfrage ungeheuer leiden. Die Folge sind zum einen enorme Preissteigerungen bei den dennoch erfolgenden Verkäufen, da das Angebot gering und die Preisvorstellungen der Verkäufer wegen der zusätzlichen Steuerbelastungen hoch sind. Zum anderen werden dadurch die Mieten steigen, denn das geringere Angebot an neuen Mietshäusern führt zu einer verstärkten Nachfrage nach Altbaumietwohnungen.

Die Erschwernis bei der Veräußerung von Immobilien und Aktien, die zur Alterssicherung erworben wurden, ist der fatalste Fehler der neuen Regierungssteuerpläne. Zwar werden die Nachteile der nicht realisierbaren Wertsteigerung teilweise ausgeglichen durch höhere Beleihungswerte, für die wenigsten wird dies aber zur Finanzierung des Alters ausreichen. Zudem werden gerade die Jüngeren an der Bildung von Privatvermögen zur Altersvorsorge zusätzlich durch die geplante Erhöhung des Beitragssatzes und der Bemessungsgrenze der staatlichen Rentenversicherung geschädigt. Und das, nachdem mit der "Riester-Rente", die nun noch weniger Menschen finanzieren können, gerade das Unvermögen der Gesetzlichen Rentenversicherung amtlich bestätigt wurde. Das Wort "Riester" taucht im übrigen im gesamten Koalitionsvertrag an keiner Stelle auf.

Insgesamt lassen sich die finanzpolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags nur mit einem vernichtenden Urteil versehen. Ihre Folgen, weiter sinkende Wirtschaftsaktivitäten, ansteigende Unternehmenspleiten, höhere Privatverschuldung, höhere Arbeitslosigkeit und steigende Preise und vor allem eine drohende Altersarmut, könnten sich letz-tenendes als die einzige "Nachhaltigkeit" erweisen, welche die neue Regierung so gerne erreichen würde.


 
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