© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Einen Ferrari müßte man haben
Warum Schachweltmeister Kramnik im Duell Mensch gegen Maschine mit einem blauen Auge davongekommen ist
Richard Stoltz

Mit einem 4:4-Remis haben Schachweltmeister Wladimir Kramnik und der Schachroboter "Deep Fritz" ihr Turnier in Bahrain abgebrochen. Noch einmal Glück gehabt, Gospodin Kramnik! Ihr Vorgänger, Garri Kasparow, hatte weniger Ungeduld - und verlor. Zweifellos hätte auch Kramnik verloren, wenn man nur weitergespielt hätte. Denn Schachcomputer sind menschlichen Spielern prinzipiell überlegen. Da hilft auch allererste Klasse nichts.

Das bedeutet nun freilich nicht, daß Computer "besser spielen" oder gar "besser denken" können als Menschen, es bedeutet lediglich, daß sie schneller rechnen können. Das Spiel mit ihnen ist kein richtiges Spiel, wo man wirklich denken können muß, listig planen, logische Zusammenhänge herstellen, Chancen wahrnehmen usw. Denn Schachspiel an sich ist eine Rechenaufgabe, wo alle Funktionen von vornherein festliegen, allerdings mit einer gewaltigen Zahl von Unbekannten, die man alle durchrechnen muß, um die richtige Entscheidung zu treffen.

Der komplett optimierte Computer ist schneller als der Weltmeister, aber dumm, kann keinen Milimeter über das Programm hinaus, das man ihm eingegeben hat. Er ist nicht einmal ein "Stratege" im Sinne der mathematischen Spieltheorie, denn auch für diesen gilt grundsätzlich, daß er sich offen hält für divergierende, konkurrierende Strategieentwürfe und zusätzlich auch noch mit dem Zufall rechnen soll, der überhaupt nicht (oder nur mit Wahrscheinlichkeit) berechnet werden kann.

Ein fairer Sieg in einem Spiel ist nur möglich, wenn das Spiel selber fair ist, dem Denken und der Chancenabwägung eine Chance läßt. Beim Schach-"Spiel" ist das nicht der Fall. Es ist mehr ein Wettrennen, ein Tausendkilometerrennen. Und wer bei einem solchen Rennen keinen Ferrari zur Verfügung hat, der ist natürlich aufgeschmissen. Er braucht sich aber nicht zu schämen und muß sich auch keine Gewissenbisse machen.


 
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