© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Befreit von allen guten Geistern
Fritz Erik Hoevels verbindet die Biographie Wilhelm Reichs mit einer Generalkritik an Kirche und Familie
Werner Olles

Er gehörte zu den Schülern Sigmund Freuds und wurde bereits als Student der Medizin im Herbst 1920 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Neben seiner tiefenpsychologischen Praxis arbeitete er am Psychoanalytischen Ambulatorium, in dem er es vor allem mit einer proletarischen Patientenschicht zu tun hatte. In diesem therapeutischen Umfeld gedieh seine sexuelle Neurosenätiologie. Nach ihr entstand durch Triebunterdrückung ein schädlicher Sexualstau. Reichs Verabsolutierung der orgastischen Potenz bedachte Freud mit Skepsis und Ironie: "Wir haben hier einen Doktor Reich, einen braven, aber impetuösen Steckenpferdreiter, der jetzt im genitalen Orgasmus das Gegenmittel jeder Neurose verehrt".

1930 siedelte Reich nach Berlin über und gründete als Unterorganisation der KPD "SexPol", mit der er für das Recht der Jugend auf Sexualität, kostenlose Empfängnisverhütung und straffreie Abtreibung kämpfte. Von der Rechten als "Sexualbolschewist", von seinen Analytiker-Kollegen als "Sexualökonom" beschimpft und von der KPD-Führung mit Mißtrauen beobachtet, schrieb er 1933 die "Charakteranalyse". In diesem Standardwerk erklärte Reich die Problematik des sogenannten "Körper"- oder "Charakterpanzers" als chronifizierte Fehlfunktion eines in die Neurose umgeleiteten Energieflusses. In den Protokollen wird deutlich, wie weit er sich von Freuds Ich-Psychologie in Richtung eines kruden Biologismus entfernt hatte.

Es gibt aus dieser Zeit ein Reich-Zitat, das für sich spricht: "Zwei in orgastischer Wollust verharrende Körper sind nichts als ein einziger zuckender Plasmahaufen". Im gleichen Jahr wurde er aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung hinausgeworfen. Zuvor hatte sich die KPD von ihm getrennt. Offiziell lautete der von Wilhelm Pieck formulierte Ausschlußgrund, er gehe von der Komsumtion statt von der Produktion aus, in Wahrheit waren der Parteiführung wohl sein "Freudomarxismus" und seine sexualhygienischen Theorien ein Dorn im Auge. Seine "Massenpsychologie des Faschismus", in der er die Faszination des Nationalsozialismus aus psychologischer Sicht beschrieb, wurde von den Kommunisten als "konterrevolutionär" diffamiert. Und sein wohl berühmtestes Werk "Die Funktion des Orgasmus" erlangte erst post mortem 1968 größere Bedeutung. Reichs letzte Jahre im Exil in den USA, in denen der Emigrant zum Exzentriker und Okkultisten avancierte, bis zu den merkwürdigen Umständen seines Todes am 3. November 1957 im Gefängnis von Lewisburg, werden nur am Rande thematisiert.

Fritz Erik Hoevels sieht in Reich die "eigentliche Symbolfigur der Studentenbewegung". In der Tat war der "einzigartige Gleichklang aus Psychoanalyse und Marxismus für Teile der 68er-Bewegung bestimmend. Gelesen wurden jedoch nur ausgewählte Schriften. Man verdrängte, daß Reich später zum militanten Antikommunisten wurde. Seine Ausfälle gegen die "rotfaschistische Pest" und die "Menschentiere" sind bekannt. Die auf Reich aufbauenden Therapien, wie beispielsweise die "Biosynthese", die "Biodynamische Psychologie", die "Core-Therapie" oder die "Gestalttherapie", haben ihren Siegeszug durch die therapiesüchtige Wohlstandsgesellschaft angetreten. Von der Schulmedizin ernsthaft diskutiert werden die aus der Körpertherapie und dem Energiekonzept Reichs stammenden Ansätze zur Psychosomatik von Krebserkrankungen.

Was an diesem Buch stört, ist Hoevels ungezügelter Haß auf "reaktionäre klerikale Kräfte", der sich zu einem wahren Furor auswächst. Vom "katholizismusgeprägten Reaktionär Hitler" über die "Reaktionäre Einheitspartei Deutschlands" und "Unpersonen" wie Hans-Jürgen Eysenck bis Dieter E. Zimmer oder C.G. Jung reichen die Ausbrüche des Autors. Da muß - angesichts sich auflösender Familienstrukturen - immer noch die "Zwangsmoral der Familie" herhalten, da wird in einer völlig säkularisierten Gesellschaft der Kirche als eine der "Mächte der Finsternis" eine Macht unterstellt, die sie in dieser Form nicht einmal im Mittelalter hatte, da sieht der Autor nach über drei Jahrzehnten sexueller Liberalisierung in diesem enttabuisierten Bereich immer noch jede Menge Repression. Daß die Verhaltenstherapeuten mit durch die sexuelle Libertinage geschädigten Patienten ihre liebe Mühe und Not haben, nimmt er nicht zur Kenntnis. Immerhin kommt Freud als "unverdorbener Altliberaler" noch ziemlich ungeschoren davon, während über "Pfaffen, klassische Nazis und FeministInnen" gleich kübelweise Häme ausgeschüttet wird. Reichs Verteidigung des Lustprinzips gegen das Realitätsprinzip nimmt Hoevels ungebrochen wieder auf. Es fehlt nur noch, daß er - wie jener - behauptet, "der Sozialismus verwirklicht die sexuelle Lebensfreude".

Hoevels nimmt nicht zur Kenntnis, daß das Verhältnis von Psychoanalyse und Religion durch die heute nicht so seltene Personalunion von Seelsorgern und Analytikern auf einem anderen Niveau basiert, als die beschworenen mittelalterlichen Korrelationsfiguren. Es scheint jedoch für manche Psychoanalytiker einfacher zu sein, Konfliktgeschichten von Patienten auf sexuell fixierbare Unterdrückung zu reduzieren, als das dunkle Mysterium des Bewußtseins mit all seinen ekstatischen und apokalyptischen Zügen in ihre Therapie mit einzubeziehen. Über die nicht zu leugnenden Identitäten von Psychoanalyse und Beichtstuhl - Introspektion, Seelenerforschung, Selbstkontrolle - mag der Autor erst gar nicht nachdenken.

Der Versuch, den Theoretiker der kosmischen "Orgonenergie" zu rehabilitieren, ist teils ärgerlich, teils amüsant. Wilhelm Reich, der Pionier der Sozialpsycholgie, bedeutende Analytiker und alchimistische Einzelkämpfer braucht einen anderen "Apologeten" als ausgerechnet Fritz Erik Hoevels.

Foto: Wilhelm Reich (1935): Ein "Sexual-Boschewist" wurde verstoßen

Fritz Erik Hoevels: Wilhelm Reichs Beitrag zur Psychoanalyse. Ahriman-Verlag, Freiburg 2001, 466 Seiten, 18 Euro


 
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