© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Neue Technologien: 1000 Fragen der "Aktion Mensch"
Wum und Wendelin machen ernst
Angelika Willig

Schüler kennen den Trick. Der Lehrer bittet die Klasse, Fragen zu stellen, ein Streber meldet sich und stellt genau die Frage, die der Lehrer braucht, um seine Weisheiten anzubringen. Und die ganz raffinierten Indoktrinäre ziehen es vor, die "Frage im Raum stehen zu lassen", etwa "warum gibt es Kriege?" oder "warum müssen Menschen hungern?" Solche Fragen wirken anklagend, und dazu sind sie auch da.

Der gleichen Manipulationsdidaktik bedient sich die "Aktion Mensch" in ihrer aktuellen Plakat- und Anzeigenkampagne. Unter www.1000fragen.de  sind Hintergründe und nähere Informationen zu finden. Anlaß ist die anstehende Neufassung einer gesetzlichen Regelung zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Die "Aktion Mensch" will dafür sorgen, daß die Bevölkerung in die politischen Entscheidungen zum Thema Gentechnik stärker einbezogen wird. Die einzelnen Plakate zeigen jeweils den Schriftzug zu einer Frage und im Hintergrund eine passende Illustration - zum Beispiel "Wird mit PID Selektion zur Regel?" mit einem Blick in den Waschbeckenabfluß, oder "Designer-Baby soll Bruder retten" und daneben ein niedlicher Säugling.

Die "Aktion Mensch" ist eine gute Adresse. Als "Aktion Sorgenkind" sammelte die Organisation seit den siebziger Jahren große Summen zur Unterstützung behinderter Kindern und deren Eltern. Durch die Verbindung zur Fernsehunterhaltung ("Der große Preis") wurde das Unternehmen sehr populär. Offenbar ist der Aktion ihr eigener Erfolg ein wenig zu Kopf gestiegen. Während früher Hilfe für Körperlich- und Geistigbehinderte angefordert wurde in der realistischen Einschätzung, daß diese Menschen ganz besonders auf die Gemeinschaft angewiesen sind, trumpft man heute mit Sprüchen auf wie "Behindert ist man nicht, behindert wird man." "Menschlich" ist demnach nur noch die Auffassung, das Problem der Behinderten seien nicht etwa deren gesundheitliche Defekte, sondern ausschließlich die Reaktion der Umgebung. Konsequent folgt daraus die völlige Ablehnung einer Prophylaxe in Form von genetischer Beratung und dem Verwerfen schwer geschädigter Embryonen. Das Argument, Eltern und Kindern furchtbares Leid zu ersparen, gilt dort nicht, wo man das chronische Leid Behinderter leugnet und es zum reformierbaren gesellschaftlichen Mißstand erklärt.

Ein Satz wie "Gentests sind das Geschäft der Zukunft" klingt so, als ob hier nur eine Clique ihre finsteren Interessen verfolge. Man darf aber nicht vergessen, daß die riesige Nachfrage nach neuen medizinischen Methoden und der Markt dafür auf die simple Tatsache zurückzuführen sind, daß Gesundheit von den meisten Menschen als positiv, Krankheit hingegen als störend und belastend empfunden wird. Wer diese Einstellung für behindertenfeindlich hält, müßte auch dafür sorgen, daß die Zahl der schweren Verkehrsunfälle nicht zurückgeht, damit es immer genug Rollstuhlfahrer gibt, an denen wir unsere Toleranz üben und uns dafür beweihräuchern lassen können. Daß dafür einige Menschen mit der Behinderung täglich leben müssen, erscheint angesichts des sozialpädagogischen Nutzens beinahe zweitrangig.


 
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