© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Vertrauenssache
Karl Heinzen

Die pauschale und aggressive Kritik an den Steuerplänen der Bundesregierung ist gefährlich, weil sie leichtfertig die Grundlagen unseres Gemeinwesens in Frage stellt. Es ist schwer genug, hochqualifizierte Menschen dafür zu gewinnen, ihren guten Namen für mittelmäßig dotierte Ämter herzugeben, in denen sie wenig bewegen können, aber für alles verantwortlich gemacht werden. Nun sollte man ihnen das Leben nicht noch dadurch schwer machen, daß die durch ihre mühevolle Gedankenarbeit schon fast erschlossenen Spielräume für öffentliche Ausgaben aus privatem Geiz doch versperrt bleiben.

Vertrauen kann in einer Demokratie keine Einbahnstraße sein. Die Menschen haben sicherlich einen Anspruch auf eine berechenbare und transparente Politik. Auch die Politiker müssen sich aber darauf verlassen können, daß die Wähler wissen, was sie tun, und zu ihrer Entscheidung mit all ihren vorhersehbaren Konsequenzen stehen. Wachsende Staatsverschuldung und steigende Abgabenlast für private Haushalte und Unternehmen gehören seit Jahrzehnten zu den Selbstverständlichkeiten der Bundesrepublik. Alle staatstragenden Parteien haben hier in der Geschichte unseres Landes ihre Akzente gesetzt, ohne an Zustimmung zu verlieren. Eine Konsolidierung der Staatsfinanzen und eine Entlastung des privaten Sektors waren zwar Wunschvorstellungen, die in der öffentlichen Diskussion unablässig formuliert wurden. Sie schienen für die Menschen aber nicht ausschlaggebend zu sein, wenn Wahlentscheidungen anstanden. Vielleicht halten viele die finanzpolitische Misere für ein Schicksal, gegen das es kein Ankommen gibt. Gerade dann sollte man aber an die Politik bescheidenere Ansprüche stellen, als Unmögliches möglich zu machen.

Das Staat kann nur das Geld ausgeben, das ihm zur Verfügung steht. Dies wußten die Wähler, als sie dieser Regierung eine Fortsetzung ihrer Arbeit ermöglichten. Gerhard Schröder und sein Team geben sich nun alle Mühe, diesem Auftrag gerecht zu werden. Ihre finanzpolitische Doppelstrategie aus vermehrter Kreditaufnahme und Steuererhöhungen kann nicht der Einseitigkeit bezichtigt werden. Es geht nicht darum, einen radikalen Neuanfang zu wagen, zu dem niemand die Legitimation erteilt hat. Das Ziel ist es vielmehr, dem Bürger spürbare Belastungen aufzuerlegen, die es ihm erlauben, den Wert staatlichen Handelns besser erkennen zu lernen. Dies ist noch keine Kurskorrektur, aber ein unverzichtbarer Schritt dorthin. Die latente Insolvenz des Staates ist bislang bloß in Anfängen individuell nachvollziehbar. Dies wird sich ändern. Noch meinen viele, die ihr Geld in staatlichen Schuldverschreibungen angelegt haben und damit wesentliche Mitschuld an der Finanzmisere tragen, sie könnten sich aus der Verantwortung stehlen. Die Steuerpolitik der Bundesregierung weckt aber das öffentliche Interesse an Überlegungen, ob der Staat tatsächlich immer ein zuverlässiger und vertragstreuer Schuldner sein kann und darf.


 
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