© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Auf der Suche nach Perspektiven
Vertriebene: Sudetendeutsche Landsmannschaft traf sich zu einem Kongreß auf der Festung in Würzburg
Ekkehard Schultz

Rund 300 Mitglieder der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) sowie zahlreiche Gäste trafen sich vom 25. bis 27. Oktober auf der Festung in Würzburg, um über die zukünftigen Ziele ihrer Volksgruppe im Rahmen des bevorstehenden EU-Beitrittes der Tschechischen Republik zu diskutieren. Das Motto des Fachkongresses der SL "Sudetendeutsche Wurzeln - Sudetendeutsche Zukunft" wandte sich im speziellen an alle Vertreter der jüngeren und mittleren Generation, die die unmittelbaren Ereignisse im Zuge der Vertreibung selbst nicht mehr erlebt haben.

Zentraler Bestandteil der Veranstaltung waren acht Podiumsdiskussionen, die sich alle im wesentlichen auf drei Schwerpunkte konzentrierten. Zum einen wurden grenzüberschreitende deutsch- bzw. sudetendeutsch-tschechische Initiativen im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich vorgestellt. Zum zweiten wurde ein Fazit über Erfolge bzw. Mißerfolge der Projekte hinsichtlich der Entwicklung eines besseren Verständnisses zwischen Tschechen und Sudetendeutschen bzw. der Auflösung von gegenseitigen Stereotypen und Vorurteilen gezogen. Zum dritten wurde die Frage nach den zukünftigen Aufgaben der Sudetendeutschen in Deutschland, Österreich, der Tschechischen Republik sowie auf europäischer Ebene gestellt. Als Experten auf den Podiumsplätzen waren neben Vertretern der Landsmannschaft, der Sudetendeutschen Jugend sowie den Protagonisten der deutsch-tschechischen Initiativen, auch tschechische Vertreter, Angehörige der heutigen deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik und Opfer von Vertreibungen der jüngsten Vergangenheit, wie die Studentin Ora Bukoshi aus dem Kosovo, eingeladen worden.

Bereits in seiner Eröffnungsrede betonte der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, daß sich die Zusammenarbeit zwischen Sudetendeutschen in den vergangenen Jahren auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene erheblich verbessert habe. Auf politischer Ebene werde dagegen die ausgestreckte Hand der Sudetendeutschen immer noch von der tschechischen Seite zurückgewiesen.

Auch die Sudetendeutschen ließen sich beeinflussen

Eine eindeutige positive Bewertung erhielten die wirtschaftlichen und kulturellen Initiativen Sudetendeutscher, Deutscher bzw. Österreicher in Böhmen und Mähren. Das Spektrum ihrer Vertreter auf der Veranstaltung reichte von Harald Salfellner, Gründer des einzigen Verlages mit ausschließlich deutscher Literatur in Prag mit dem Namen "Vitalis", Peter Rath, seit Januar 1994 alleiniger Geschäftsführer der von ihm gegründeten tschechischen Firma "Glasatelier Steinschönau Peter Rath GmbH" und Barbara Greipl, einer Landwirtin, die Anfang der neunziger Jahre einen Hof in Böhmen erwarb bis zu dem Maler Peter Fischerbauer, der in letzter Zeit sowohl in seinem alten Atelier in München als auch in Höritz (Böhmerwald) arbeitet.

Hinsichtlich der Bewertung der Projekte und der durch sie initiierten Gespräche und Kontakte zwischen Sudetendeutschen und Tschechen seit dem Zusammenbruch der alten sozialistischen Ordnung, gingen dagegen die Meinungen stark auseinander. Diese Bilanz fällt nach Meinung der meisten Podiumsteilnehmer ambivalent aus. Einerseits trägt die unmittelbare Zusammenarbeit dazu bei, Vorurteile und Stereotype über die jeweils andere Seite aufzubrechen und abzubauen. Insbesondere bei der jüngeren Generation seien Feindbilder nahezu unbekannt. Andererseits sei es immer noch leicht, in bestimmten politischen Situationen wie zum Beispiel bei der vergangenen tschechischen Parlamentswahl oder der Temelin-Frage die alten Stereotype wieder hervorzuholen.

Interessante Erfahrungen äußerte in diesem Zusammenhang Nicole Sabella, Landesvorsitzende der Sudetendeutschen Jugend in Bayern, die selbst zwei Jahre in Tschechien studierte. Trotz ihrer guten Beziehungen zu den tschechischen Kommilitonen, mit denen sie offen über alle Fragen des deutsch-tschechischen Verhältnisses diskutiert habe, seien diese Kontakte vielfach im Vorfeld der diesjährigen Parlamentswahlen abgebrochen bzw. deutlich negativ beeinflußt worden. Auch die Studenten ließen sich von den von Politikern und Intellektuellen geäußerten Vorurteilen schnell beeinflussen und griffen selbst wieder leicht zu Stereotypisierungen. Ein Interview des tschechischen Fernsehsenders NOVA mit ihr sei, so Sabella, im Wahlkampf propagandistisch aufbereitet und unter dem Schlagwort: "Das Böse lebt unter uns" gesendet worden.

Denktabus, auch auf deutscher Seite

Die anwesenden tschechischen Vertreter, wie Matej Spurny von der Studentenvereinigung Antikomplex in Prag, die sich der gemeinsamen Erforschung der heutigen tschechischen Grenzgebiete durch Tschechen und Sudetendeutsche widmet und Vaclav Mls, dem Geschäftsführer des Johann-Balthasar-Neumann-Stiftungsfonds in Eger, bezeichneten im wesentlichen den "Druck von außen" als Ursache solcher Entwicklungen. Je stärker dieser sei, desto mehr würden die Tschechen trotz sonstiger zahlreicher politischer Differenzen zusammenrücken, "ohne sich inhaltlich mit den eigentlichen Themen wirklich auseinanderzusetzen". Sie könnten sich nur dann aufrichtig mit den problematischen Teilen ihrer Geschichte auseinandersetzte, wenn kein Druck ausgeübt werde, so Spurny. Mls vertrat ferner die Auffassung, daß unter jungen Tschechen in der Mitte der neunziger Jahre teilweise eine "idealisierte" Darstellung von Sudetendeutschen existierte, das zwangsläufig zu Enttäuschungen geführt habe, da auch auf deutscher Seite immer noch Denktabus anzutreffen seien. So sei es eine "Schwierigkeit, mit Sudetendeutschen über etwas anderes zu sprechen als über Vertreibung".

Eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben der Landsmannschaft, liegt - so Bundesvorsitzender Posselt - im Einsatz der Sudetendeutschen für ein europäisches und später auch weltweites Volksgruppenrecht. Die Sudetendeutschen als unmittelbar Betroffene müssten sich für eine weltweite Ächtung aller Vertreibungen einsetzen. Zudem sei das "kulturelles Erbe nicht nur museal zu bewahren, sondern für die Zukunft zu entwickeln".

Obwohl die "Benes-Dekrete" nur am Rande eine Rolle spielte, waren sie wegen der Aktualität des Beitritts der Tschechischen Republik zur EU und den Gutachten von Frowein und Blumenwitz in den Fragen des Publikums, wie auch in den Diskussionsrunden im kleineren Kreis ein beherrschendes Thema.

Jüngere Teilnehmer der Veranstaltungen zeigten sich enttäuscht über die weitläufige Ausblendung von Themen, wie der Schaffung einer zukunftsweisenden Struktur der Landsmannschaft, die die Attraktivität für künftige Mitglieder steigern könnte, einer Erörterung des "Generationenkonfliktes" sowie die Art der Erlebnisweitergabe an die jüngere Generation. Nach ihrer Auffassung wurden auf dem "Zukunftskongreß" diese wichtigen Themen nicht bzw. nur unzureichend behandelt.


 
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