© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Angriffsfront Intimleben
DDR-Vergangenheit: Die knapp 19 Prozent Frauen beim Ministerium für Staatssicherheit hatten zumeist untergeordnete Positionen
Ekkehard Schultz

Denkt man an Frauen bei Geheimdiensten des ehemaligen Ostblocks, so taucht gelegentlich vor dem geistigen Auge das Bild von "roten Amazonen" auf, die, körperlich gut proportioniert, männliche Reaktionäre mit Hilfe einer Mischung aus weiblichem Charme und Partisanenmethoden gnadenlos zur Strecke bringen. Sicherlich ein Klischee, doch immerhin gut genug, um sowohl in der bürgerlichen als auch in der kommunistischen Medienpropaganda eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen, deren Nachwirkungen noch heute zu spüren sind.

Natürlich sah die graue Wirklichkeit von Frauen beim MfS ganz anders aus, wie in einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten in Zentralgebäude in Berlin-Mitte am 15. Oktober die beiden Referentinnen, Angela Schmude und Belinda Cooper, anschaulich zu berichten wußten. Schmude verwies auf die Übereinstimmungen mit dem allgemeinen Frauen-Leitbild in der DDR, das zwar Frauen als Arbeitskräfte anerkannte und ihnen Beschäftigungsgarantien unabhängig von der Lebenssituation gab, jedoch eine wirkliche Chancengleichheit mit Männern nicht im entferntesten bot. So findet man Frauen im MfS in ihrer Mehrzahl auf untergeordneten Positionen, zum Beispiel als Köchinnen, Gärtnerinnen, Raumpflegerinnen und Sekretärinnen. In die wenigen höheren Positionen gelangten Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts dort fast ausschließlich nur über ihre persönliche Herkunft als Gattin oder Tochter von MfS-Offizieren. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß diese Frauen bereits bei ihrer Heirat bzw. über ihren Ehepartner oder Familienvater strengen Überprüfungen durch das MfS ausgesetzt waren, so daß hier eine weitestgehende Garantie für ihre Identifikation mit dem Ministerium und ihre Zuverlässigkeit gegeben schien.

Weibliche MfS-Offiziere als Arbeitskraftreserve

Interessant ist aber, daß auch die nicht mit höheren Würden ausgestatteten Gattinnen von MfS-Offizieren grundsätzlich als potentielle Arbeitskraftreserve angesehen wurden. Eine Beschränkung dieser Frauen auf Ehe und Familie wäre geradezu auf einhelliges Mißfallen beim MfS gestoßen, wenn nicht sogar weitergehende Maßnahmen veranlaßt worden wären. Ein Grund für diese Zwangsintegration lag wohl - wie Schmude andeutete - in der besonderen Situation begründet, daß diese Frauen für die Wahrnehmung von Terminen weit außerhalb der normalen Arbeitszeiten, zum Beispiel für abendliche Treffen mit Führungsoffizieren aufgrund ihrer Situation natürlich weitestgehend frei einsetzbar waren, während andere Frauen erst Gründe für vergleichbare "Ausflüge" gegenüber ihrem Partner bzw. den Kindern erfinden mußten. Grundsätzlich griff das MfS lieber auf potentielle Mitglieder in den eigenen Reihen zurück, was aufwendige Überprüfungen ersparte.

Insgesamt war der Frauenanteil beim MfS gering. 1988 lag er im hauptamtlichen Bereich bei lediglich 18,8 Prozent. Damit sank er sogar noch gegenüber den siebziger Jahren, in denen ein Anteil von über 19 Prozent registriert worden war, obwohl das MfS sich in internen Papieren mehrfach für eine Erhöhung des Frauenanteils ausgesprochen hatte. Bei den IMs war die Quote der weiblichen Mitarbeiter noch geringer: 1989 lag sie bei weniger als 16 Prozent.

Ein Unterschied zwischen den Methoden von Frauen beim MfS im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ist nicht feststellbar. Nach Schmude beteiligten sich Frauen fast an allen "Gemeinheiten" der Männer. Weibliche Gleichberechtigung wurde von den beim Staatssicherheitsdienst beschäftigten Frauen darin gesehen, in der männlich dominierten Arbeitswelt als "Frau" zu bestehen, was die Anwendung einer besonderen weiblichen Sensibilität nahezu zwangsläufig ausschloß.

Einen Unterschied nannte allerdings in ihrem nachfolgenden Referat Belinda Cooper, die am World Policy Institute New York angestellt ist, mit der Problematik MfS aber aus der Nahperspektive der Umbruchjahre nach 1989 durch einen längeren Berlin-Aufenthalt gut betraut ist, in dem Verhalten von männlichen und weiblichen Mitarbeitern bei Eheschließungen, bei denen - wie bereits erwähnt - grundsätzlich eine umfassende Prüfung durch das Ministerium erfolgte. Danach sei auffällig, daß im Falle der Ablehnung des Partners durch das MfS sich Frauen in der Mehrzahl gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Ministerium und damit für den gewünschten Partner entschieden, während Männer - vor die gleiche Wahl gestellt - fast immer ihrer Arbeit den Vorzug gaben und die geknüpfte Beziehung abbrachen.

Nach 1989 wurden als Gründe für die Mitarbeit beim MfS von Frauen häufig ein wahrgenommenes "Gefühl von Wichtigkeit" angegeben, während Männer sich in der Mehrzahl "Unterstützung" - zumeist psychologischer Art - erhofften. Auffällig war in diesem Zusammenhang, daß in Interviews bei Männern die Dimension des "Verrates" an Freunden, Nachbarn und Kollegen viel stärker verdrängt wurde, während Frauen diese kritische Retrospektive häufiger auf sich selbst projizierten und dies, obwohl ideologische Vorwände, wie "Kampf für den Frieden und den Sozialismus im Interesse der Werktätigen" bei beiden Geschlechtern immer noch eine bedeutende Rolle zur Rechtfertigung spielten.

Drohung mit Haftstrafen und Repressalien

Die Rolle des "Zwanges" bei der Rekrutierung von IMs ist auch in der aktuellen Forschung immer noch umstritten. Zweifellos versuchte das MfS, Oppositionelle, Renegaten und auch wegen geringer Delikte aufgefallene Straftäterinnen durch die Drohung mit langjährigen Haftstrafen bzw. Repressalien gegen Familie und Kinder zur Mitarbeit zu bewegen. Andererseits wurden Frauen von der MfS-Führung oft als zu "schwatzhaft" eingestuft, so daß schon allein eine kurze Information an Verwandte oder Freunde reichte, um eine Zusammenarbeit für immer zu verhindern.

Nicht vergessen werden dürfen beim Kapitel "Frauen im MfS" jene Liebesdienerinnen der sogenannten "Angriffsfront Intimleben", die bei internationalen Kongressen und Messen sich den einsam fühlenden westlichen Herren zur Verfügung stellten. Ihre Auswahl erfolgte nach der Kriterien Schönheit, Klugheit und Gewandtheit in Fremdsprachen. Sie wurden bewußt nicht an ein Objekt gebunden, sondern zu "Schwerpunktzeiten" in den Interhotels der DDR, in denen die gewünschten Gästen Quartier genommen hatten, auf "Streife" geschickt. Ihr Ziel bestand nicht nur im möglichen direkten Gewinn von Staats- und Wirtschaftsgeheimnissen, sondern auch in der Auskundschaftung der Gewohnheiten der "Freier", die alsbald penibel protokolliert dicke Akte füllten, sowie in der Beschaffung möglichen Erpressungsmaterials. Ein Kapitel, daß die Widersprüchlichkeit des Apparates am besten verdeutlicht, ging es doch ansonsten im MfS äußerst bieder und kleinbürgerlich zu. So durfte sich ein Führungsoffizier in der Regel keineswegs alleine mit einem weiblichem IM treffen, sondern ein zweiter Offizier pflegte das Aufkommen möglicher Verbandlungen von vornherein zu unterbinden.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Thema Frauen im Ministerium für Stastssicherheit keinerlei Stoff für spannende Agentinnengeschichten bietet. Doch solche hat ein Geheimdienst, der bis zu seinem Ende wie eine unheilbare Geschwulst wuchs, auch wahrhaftig nicht verdient.


 
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