© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Zeit zum Umdenken
Naturschutz: Das Hochwasser 2002 könnte eine neue Chance für natürliche Flußlandschaften sein
Adrian Gerloff

Hochwasser und Überschwemmungen an Fließgewässern gab es in der Vergangenheit schon immer. Die zunehmende Intensität ist jedoch auffallend. Die Katastrophe dieses Sommers, die Jahrhundertflut an Elbe, Mulde und Donau, wurde zwar unmittelbar durch extreme und langanhaltende Niederschläge verursacht, ist aber in ihrem Ausmaß eine Folge des verfehlten Umgangs mit den Flüssen und deren Einzugsgebieten. Die Fehler rächen sich: Die Begradigung von Bächen und Flüssen, der Bau von Staustufen und der damit verbundene Verlust von Auen und Feuchtgebieten, die voranschreitende Flächenversiegelung, großangelegte Entwässerungen der später landwirtschaftlich intensiv genutzten Überschwemmungsflächen sind Eingriffe des Menschen und die eigentlichen Ursachen der zunehmenden Hochwasser.

Eingriffe des Menschen sind eine Ursache der Hochwasser

Natürliche Fließgewässer und die dazugehörigen Auen sind durch einen ständigen Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser geprägt. Auen und die dort existierenden Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren benötigen die regelmäßig wiederkehrenden Hochwasser für den Erhalt ihrer Artenzusammensetzung, denn das Ökosystem Aue ist angepaßt an den Wechsel von Hoch- und Niedrigwasserständen. Damit wirken Auen als natürliche Retentionsflächen für Hochwasser, denn in den Auen wird das Wasser zurückgehalten, der Wasserabfluß gebremst und erst allmählich an die stromabwärts liegenden Flußbereiche weitergegeben.

Von den einst ausgedehnten Auen der größeren Flüsse ist jedoch nur noch ein kleiner Teil übriggeblieben. An fast allen Strömen wurden die Auen durch Staustufenbau, Kanalisierung und Regulierung sowie Deichbauten auf einen Bruchteil reduziert. Am deutschen Abschnitt der Elbe sind nur noch 15 Prozent des natürlichen Überschwemmungsraumes erhalten. Die Einschnürung und Begradigung der Flüsse beschleunigt damit den Hochwasserabfluß. Durch die Eindeichungen wurden die Auen von den Flüssen abgetrennt und nutzbar für Landwirtschaft, Siedlungsbau und Verkehrsinfrastruktur.

Werden die Überschwemmungsgebiete, insbesondere die ehemaligen Auen oder Feuchtwiesen, als Ackerfläche oder Intensivgrünland genutzt, so sind sie mit einem dichten Netz von Dränagen und Entwässerungsgräben durchzogen. Millionen Kubikmeter Wasser werden so schnell in die ausgebauten Flüsse und Bäche geleitet. Selbst ein großer Strom wie die Elbe kann diese enormen Wassermengen seiner Nebenflüsse und Zuleiter nicht aufnehmen und abführen.

Die Nutzungen verstärken den schnellen Abfluß des Wassers einerseits und sind andererseits der Hochwassergefahr als erstes ausgesetzt, und führen damit zu den immens hohen volkswirtschaftlichen Kosten dieser extremen Hochwasserereignisse.

Entlang der Elbe entsteht derzeit ein durchgängiges "Grünes Band" von Schutzgebieten. Ziel ist es, in einem länderübergreifenden Projekt den wohl noch natürlichsten Fluß in dieser Größe vor weiteren Ausbaumaßnahmen zu sichern. Das Biosphärenreservat "Mittlere Elbe" umfaßt den größten zusammenhängenden Auenwaldkomplex Mitteleuropas. Bis 2010 fördert das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz mit 11,4 Millionen Euro den Schutz und die Wiederherstellung einer intakten, naturnahen und waldreichen Überflutungsaue.

So wird durch eine erste großräumige Deichrückverlegung ein 450 Hektar umfassender Retentionsraum wieder hergestellt. Auch im brandenburgischen Naturschutzgroßprojekt "Lenzener Elbtalaue" steht eine umfassende Deichrückverlegung, ebenfalls mit Schaffung einer Retentionsfläche von fast 500 Hektar, kurz vor der Bewilligung.

Rückverlegung von Deichen für mehr Überflutungsraum

Vor allem dort zeigt sich in besonderem Maße, daß die Naturschutzinteressen im Einklang mit den Interessen der im Gebiet lebenden Menschen stehen. Auch für dieses Projekt wäre es wichtig, wenn statt der weiteren Durchführung der im wesentlichen aus verkehrlichen Interessen definierten flußbaulichen Maßnahmen möglichst rasch ein Gesamtkonzept für den weiteren wasserbaulichen Umgang mit der Elbe vorgelegt würde, das Naturschutz- und Hochwasservorsorge miteinander und mit den Anliegen des Schiffsverkehrs verbindet.

Die Binnenschiffahrt nimmt für sich in Anspruch, der umweltfreundlichste Verkehrsträger zu sein. Festzustellen ist, daß durch den fortgesetzten technischen Ausbau der Flüsse zu Wasserstraßen dieser Anspruch ad absurdum geführt wird. Begradigungen, Uferschotterungen und Staustufen degradieren die Flüsse zu öden Kanallandschaften. Die Zerstörung der Flußlandschaften und die Steigerung des Hochwasserrisikos haben mit der immer wieder beschworenen "Umweltfreundlichkeit des Binnenschiffs" nichts mehr gemein.

Daher hat der Bundesfinanzminister Eichel bereits im April 2002 die Gelder für einen geplanten Elbausbau, auch für den Abtrag des Domfelsens in Magdeburg gesperrt. Aus den Mitteilungen des Bundeskanzleramtes ging hervor, daß der Ausbaubedarf noch zu begründen sei. So würden zwischen Magdeburg und Lauenburg lediglich zehn Schiffe pro Tag fahren. Leider betrifft die Sperrung der Gelder nicht die 150 Millionen Euro für sogenannte Unterhaltungsmaßnahmen, die die meisten ökologischen Probleme bereiten. Ein erster Schritt in Richtung nachhaltiger Umgang mit der Elbe wurde mit dem Ergebnis der in Folge der Flutkatastrophe Anfang September einberufenen Flußkonferenz bekannt. Trotz der Besänftigungen seitens der Schiffahrt und wirtschaftlichen Interessenten setzten sich die Bedenken gegenüber der geplanten wasserbaulichen Praxis durch. Der im Bundesverkehrswegeplan von 1992 festgeschriebene Ausbau der Elbe und des Mündungsbereiches der Saale werden gestoppt und neu überdacht.

Spätestens bei dem Ruf nach allen Verkehrsträgern ist es wieder da, das Prinzip: "Aufbau Ost": Infrastruktur bereitstellen und dann hoffen, daß sie jemand nutzt. Andere Länder beginnen, ihre Flüsse zu renaturieren und denken über Auen, Überflutungsflächen und Deichrückbau nach. Solche Maßnahmen können Bund, Land und Steuerzahlern viel Geld und vor allem Leid bei potentiell Betroffenen sparen. Denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt.


 
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