© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002


Rockidol "Thompson": Der Name steht für ein britisches Maschinengewehr - und für Stolz
Kroatischer Provokateur
Carl Gustaf Ströhm

Über der Rock- und Pop-Szene Kroatiens geht ein neuer Stern auf. Er treibt die Jugendlichen in die berstend überfüllten Sporthallen oder Freiluft-Konzerte. Auf den ersten Blick ist es das gleiche junge Volk, das auch im Westen die Diskos, Klubs und Konzerte bevölkert und beim Erscheinen ihres jeweiligen Idols in Verzückung gerät. Und doch gibt es im kroatischen Fall eine spezifische, unverwechselbare Dimension.

Der Star des Abends nennt sich "Thompson". Wer aber meint, es mit einem Briten oder Amerikaner zu tun zu haben, der irrt. "Thompson" ist ein waschechter junger Kroate. Sein bürgerlicher Name lautet Markon Perkovic - und "Thompson" nennt er sich nach einem Schnellfeuergewehr britischer Herkunft, mit dem er in den vaterländischen Krieg gegen die Serben zog.

Der ohrenbetäubende "Sound", den "Thompson" seinen Zuhörern bietet, stellt nur die Verpackung einer tieferen Botschaft dar. Wie ein ausgetrockneter Schwamm die ersten Regentropfen, so saugen die jungen Leute die Worte des Rock-Idols auf. Er spricht und singt über die Heimat Kroatien. "Einigkeit, Liebe zu Gott, Familie und Vaterland" lautet Thompsons Parole. Er singt und spricht vom geschundenen, verkauften und getäuschten Kroatien, von einem Volk, dessen National- und Freiheitshelden von finsteren Mächten zu Verbrechern gestempelt werden - einzig, um den Stolz eines Volkes zu brechen, das jahrhundertelang auf den Tag der Freiheit gewartet habe.

Einem Gemisch von Rock und Mystik liegt in der Luft - und ein linkes kroatisches Blatt meinte sogar, Thompsons Konzerte seien ein Gemisch aus den Lichteffekten und Inszenierungen, wie sie von Leni Riefenstahl und Albert Speer kreiert wurden - und von zeitgenössischen Präsentationen im Stile Bruce Dickinsons und seiner Iron Maiden.

Die Inszenierung der Thompson-Show erfolgt nach einem bestimmten Ritual. "Seid ihr bereit? Seid ihr bereit für Kroatien?" donnert es durch die Lautsprecher. Und dann die vieltausendstimmige Antwort: "Wir sind bereit, komm raus!" Dazwischen hört man den Ruf: "Tod den Serben!" und - auch das politisch wenig korrekte: "Mesic (der gegenwärtige kroatische Staatspräsident) ist ein Zigeuner!" (was hier sicher nicht als Kompliment gemeint war). Gewiß nicht alle, aber doch eine größere Zahl jugendlicher Besucher haben sich Embleme des im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Ustascha-Regimes angeheftet. Ein junges Mädchen, auf den Schultern ihres Freundes sitzend, hebt verzückt die rechte Hand zu einem Gruß, der in deutschen Landen sofort gerichtsanhängig wäre. Auf ihrer Baskenmütze hat sie ein metallenes "U" für "Ustascha" angebracht - aber auf ihrer Bluse prangt unverkennbar das amerikanische Sternenbanner in voller Größe.

Das allein zeigt die Gemütsverfassung der jungen Leute, die eines genau wissen: Es genügt ein einzelner Buchstabe "U" auf dem T-Shirt, um die gesamte Erwachsenenwelt gegen einen aufzubringen. Als einige junge Leute, die sich mit solchen Abzeichen ausstaffiert und das Idol Thompson mit erhobenem rechten Arm begrüßt hatten, anschließend gefragt wurden, ob sie wüßten, was das für Symbole seien, gab es überraschende Antworten. Nein, sie wüßten es eigentlich nicht, sagten sie. Aber sie wüßten eins: Sie seien alle zutiefst unzufrieden mit den jetzigen Zuständen im Lande, in der Schule, im täglichen Leben. Sie hätten diese Abzeichen angelegt, um ihren Protest gegen die gegenwärtige Regierung und gegen die frustrierenden Zustände auszudrücken. Es ist bemerkenswert: Die Masse der Thompson-Fans besteht offensichtlich nicht aus Fanatikern oder gar Skinheads (die auf diesen Konzerten gar nicht in Erscheinung treten), sondern aus ganz normalen, teils sogar recht symphatischen jungen Leuten, langmähnigen Mädchen und aus Jungen, wie man sie auf jedem Sportplatz treffen könnte.Trotz einer gewaltigen emotionalen Aufladung kommt es zu keinerlei Gewalttätigkeiten. Beim Konzert in Zagreb wurde eine einzige Person angezeigt: ausgerechnet ein Mädchen hatte eine Glasscheibe eingetreten: Das war alles.

Zu bemerken ist, daß solche patriotischen Emotionen unter der Regierung des verstorbenen Staatsgründers Franjo Tudjman viel seltener vorkamen. Der als "Nationalist" verschriene Tudjman gab den nationalen Gefühlen die Möglichkeit, sich frei zu artikulieren. Es gab keinen emotionalen Stau, keine so stark ausgeprägte Frustration. Folglich war - trotz (oder sogar wegen) der Kriegssituation mit ihren Gefahren - die Atmosphäre viel entspannter. Auch damals war "Thompson" mit seinen Rockern unterwegs - aber damals war er nur einer unter vielen und konnte sicher kein Stadion füllen.

Das Auftauchen des "Kometen" Thompson am kroatischen Teenager-Himmel hat die regierende kroatische Linke in beträchtliche Aufregung versetzt. Woher kommt dieses plötzliche Interesse der jungen Leute an nationalen Symbolen (sogar solchen zweifelhafter Art)? Woher ihre an den Tag gelegte kalte Verachtung für jene, die Kroatien nach 1945 ein halbes Jahrhundert unterdrückten - und sich jetzt wieder an der Macht befinden? Nun, als die Väter konservativ waren, orientierten sich die Jungen aus Protest nach links. Heute haben in Kroatien linke "Väter" die Macht - und die Jungen demonstrieren ihre Ablehnung. Und da die Kommunisten unter Tito alles, was ihnen nicht paßte, für "faschistisch" und böse erklärt haben, wächst der Widerspruchsgeist und die Neugierde der Jungen: Wollen wir doch mal sehen, was dahinter steckt.

Thompson wird seine Tournee fortsetzen - und im ganzen Land werden ihm die Jungen zujubeln, weil der junge Mann, der das Schnellfeuergewehr mit der Gitarre vertauschte, ihnen Sinn und Sicherheit vermittelt, die sie anderswo nicht zu finden vermögen.

Markon Perkovic, Konzert: Die Jugend muß mit "Ustascha" provozieren, um wahrgenommen zu werden

Informationen: Ein Livekonzert von Markon Perkovic "Thompson" findet am 9. November um 19.30 Uhr in der Ballsporthalle in Frankfurt am Main statt. Nähere Auskünfte über www.crocafe.de  oder Tel. 0177 / 8 70 17 48.


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