© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
PRO&CONTRA
Die Türkei in die Europäische Union aufnehmen?
Marc Landau / Daniela Raschhofer

Selbstverständlich sind wir dafür, daß die Türkei in die EU kommen soll, wenn die allgemein geltenden Bedingungen erfüllt sind - politisch wie wirtschaftlich. Alle Beteiligten sollten sich jedoch darüber im klaren sein, daß man über die Dauer dieses Prozesses nicht viel sagen kann. Am Ende sollte jedoch die EU-Mitgliedschaft der Türkei stehen.

Wir haben vor einiger Zeit eine Umfrage unter den ortsansässigen deutschen Unternehmen gemacht, bei der die Perspektive eines Beitritts eine Frage ist, von der sie eine Investitionsentscheidung abhängig machen würden. In über achtzig Prozent der Fälle fiel die Antwort positiv aus, im Dienstleistungsgewerbe lag die Zustimmung sogar bei über neunzig Prozent. Eines der Hauptargumente dafür ist der zunehmende Harmonisierungszwang, also die Umstellung der Türkei auf die in der EU geltenden Normen. Das verbessert die Arbeitsbedingungen der deutschen Unternehmen.

Daß es kulturelle Unterschiede gibt, ist klar. Aber warum sollten diese eine Barriere darstellen? Es sind keine fundamentalen Differenzen, und kleinere Unterschiede existieren auch zwischen Ländern wie Deutschland, Portugal und Italien.

Mit dem Regierungswechsel in der Türkei wird sich an dem eingeschlagenen Weg in Richtung Europäische Union nichts ändern. Wirtschaftlich ist seit jeher die Türkei auf Europa orientiert gewesen. Über fünfzig Prozent des Außenhandels in beiden Richtungen werden mit Ländern der EU abgewickelt, nimmt man die OECD-Staaten noch dazu, sind es achtzig Prozent. Daran wird sich nichts ändern. Die neue Regierung wird sich vor allen Dingen darauf konzentrieren, die Lage im Inland zu stabilisieren und den Wohlstand des Volkes zu fördern, denn der ist in der Tat verbesserungswürdig.

 

Marc Landau ist Geschäftsführer der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul.

 

 

Die konservativ-religiöse Partei AKP trug vergangenes Wochenende einen Erdrutschsieg davon. Und prompt verkündete der Parteivorsitzende Erdogan, die Türkei werde unter einer AKP-Regierung die Bemühungen des Landes für einen Beitritt zur Europäischen Union vorantreiben. Im Hinblick auf diesen markanten Wahlsieg einer Partei, mit islamistischen Wurzeln, stellt sich die Frage, ob es eine Zukunft für die Türkei in der EU gibt.

Jahrelang hat man der Türkei den Beitritt zur EU wie eine Karotte vor die Nase gehalten. Damit wurde in der Türkei ständig die Hoffnung geschürt, irgendwann am politischen Leben Europas gleichberechtigt teilhaben zu können. Dies ist eine reine Heuchelei, gaukelt man der Türkei einerseits einen EU-Beitritt vor, und andererseits spricht man hinter vorgehaltener Hand davon, daß es zu einem Beitritt der Türkei in den nächsten Jahren gar nicht kommen kann. Traut sich denn niemand offen zu sagen, daß dieses Land hinter dem Bosporus keinen Platz in einer europäischen Wertegemeinschaft hat? Die Tatsache, daß die Türkei erst im Jahre 1923 die arabische Schrift abgeschafft hat, ein Land ist, dessen Geschichte, Kultur und Tradition eine zu den jetzigen Mitgliedstaaten völlig unterschiedliche ist, und der jetzt möglicherweise eine islamistisch geprägte Regierung bevorsteht, zwingt zur Überlegung, wieweit Europa reicht. Mag es vielleicht im Interesse der USA liegen, ein offenes Tor zum Nahen Osten in einem geostrategisch wichtigen Land zu haben, so ist es doch dringend an der Zeit, diese Frage an die "EU-Eliten" zu richten. Sie sind aufgerufen, in Kopenhagen dieser Tragikomödie der endlosen Irreführung über einen Beitritt ein ehrliches Ende zu setzen und den Beschluß von Helsinki zu revidieren. Die jetztige Erweiterungsrunde von bereits 10 Kandidaten hat eine Dimension, die Europa nachhaltig verändern wird. Wer die Türkei nun auch aufnehmen will, kann die EU gleich in die Luft sprengen.

 

Daniela Raschhofer ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FPÖ-Gruppe.


 
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