© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Stellen, die es woanders gar nicht gibt
Berliner Finanzkrise: Der rot-rote Senat ist zu massiven Kürzungen gezwungen / Gewerkschaften uneinsichtig
Ronald Gläser

Die Berliner Politik dreht sich nur noch um eine große rote Zahl: Das Bundesland ist mit 46 Milliarden Euro haushoch verschuldet. Der SPD-PDS-Senat steckt in einer ausweglosen Situation. Die Landesregierung hat längst die Kontrolle über ihr defizitäres Budget verloren.

Vergangene Woche wurden der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Finanzsenator Thilo Sarrazin deswegen bei Bundesfinanzminister Hans Eichel vorstellig. Doch der ehemalige hessische Ministerpräsident ersparte sich dieser großzügige Zusagen an seine Berliner SPD-Genossen. "Das war nicht anders zu erwarten", erklärte dann auch Wowereit nach dem einstündigen Gespräch. Allein die Zinslast, die die Bundeshauptstadt bedienen muß, beläuft sich auf 2,3 Milliarden Euro. Und diese Summe steigt jährlich um eine weitere Viertelmillion Euro. Das entspricht rund sechs Millionen Euro am Tag. Berlins Regierung hat daher nun den Haushaltsnotstand ausgerufen.

Durch solche Erklärungen und die wiederholten Bankrotterklärung des Finanzsenators bereitet das Land seine Argumentation vor dem Bundesverfassungsgericht vor. Im Gerichtssaal will die Spreemetropole jetzt die Zuschüsse erkämpfen, die der Bund freiwillig nicht zu geben bereit ist. Dabei erhält das Land bereits jetzt rund 3,8 Milliarden Euro jährlich vom Bund.

Berlin, so lautet die Argumentation des rot-roten Senats, sei "unverschuldet" in die Finanzkrise gelangt. Berlin war während der Teilung vom Bund - der Ostteil der Stadt durch die DDR - üppig subventioniert worden, etwa durch die "Zitterprämie" genannte Lohnzulage für Westberliner Beschäftigte. Als diese Zuschüsse wegfielen und der Wirtschaftsaufschwung ausblieb, wuchsen vor allem die Personalkosten ins Unermeßliche. So lautet die Kernthese einer Expertise, die Professor Joachim Wieland angefertigt hat. Der erfahrene Frankfurter Jurist wird vermutlich das Finanzhilfe-Verfahren für das Land Berlin führen. 1999 hatte er bereits die Länder Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Sachsen Finanzausgleich vertreten.

Natürlich übergehen die Landespolitiker die eigenen Fehler, wenn es um die desolate Haushaltslage geht. Diese gibt es, wenngleich Berlin nur einen Teil der Schuld trifft. Der Skandal um die Berliner Bankgesellschaft ist zum Beispiel hausgemacht. Und auch bei der Besoldung der öffentlich Bediensteten hat der Senat unvernünftig gehandelt. 1996 hat Eberhard Diepgen (CDU) die Gehälter aller Bediensteten im Osten auf das Westniveau angehoben. Seine Argumente waren damals so richtig wie heute: Zwei Bedienstete können in ein und demselben Bundesland nicht unterschiedlich für dieselbe Arbeit entlohnt werden - so etwa zwei Polizisten einer Streife, von denen einer den Ost- und einer den West-Tarif erhält. Diese Klientel-Politik gehörte zu Eberhard Diepgens politischer Erfolgsstrategie.

Vor den Folgen dieser Alimentierung des Öffentlichen Dienstes hat die Berliner Politik jedoch die Augen verschlossen. Berlin beschäftigt etwa 164.000 Menschen. 75.000 davon sind Beamte. Diese kosten die Stadt 7,3 Milliarden Euro im Jahr. Das sind fast alle Steuereinnahmen, die Berlin jährlich einnimmt. Zusammen mit der Zinslast machen die Personalkosten rund die Hälfte des 21-Milliarden-Haushalts aus. "40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden gar nicht bei uns arbeiten, wenn wir zum Beispiel Rheinland-Pfalz wären oder Niedersachsen oder ein anderes Land. Das heißt, unsere Bediensteten haben teilweise Arbeitsplätze, die es woanders gar nicht gibt", verkündete der Berliner Finanzsenator Sarrazin vergangene Woche via ARD.

An Kürzungen kommt keine Regierung vorbei. Der Senat trat daher in Verhandlungen mit den Gewerkschaften ein, die jedoch platzten. Der Senat hatte keinen Spielraum für Verhandlungen, und die Arbeitnehmervertreter waren nicht kompromißbereit. So scheiterte der sogenannte Solidarpakt.

Deswegen griff man zur ultima ratio: Per Boten teilte der Berliner Senat dem kommunalen Arbeitgeberverband seinen Austritt mit. Auch der Tarifvertrag für Angestellte soll zum 31. Dezember 2003 gekündigt werden. Damit koppelt sich Berlin aus der Besoldung von Landesbeamten und -beschäftigten aus.

Der Wowereit-Senat ging aber noch weiter. Zusammen mit dem CDU-regierten Freistaat Sachsen und dem Saarland sowie dem rot-grünen Schleswig-Holstein kündigte Berlin eine Bundesratsinitiative an, um eine sogenannte Öffnungsklausel durchzusetzen. Dieses Gesetz soll es "armen" Bundesländern ermöglichen, die Löhne und Gehälter ihrer Bediensteten um zehn Prozent zu senken. Ferner soll die Auszahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld flexibilisiert, sprich verringert werden.

Die vorgeschlagene Änderung des Bundesgesetzes bedeutet einen tiefgreifenden Einschnitt in die Besoldungspraxis. 1996 hatten die mitteldeutschen Länder Berlin noch wegen seiner Angleichung der Gehälter "exkommuniziert". Jetzt unterstützen Länder wie Sachsen sogar den Einschnitt in die Gehälter der öffentlich Bediensteten.

Widerstand ist aber vorprogrammiert. Die Gewerkschaften machen mobil. Eine "Kampfansage" machte der Chef des Beamtenbundes (DBB), Erhard Geyer - sein Verband verlangt um 3,5 Prozent höhere Bezüge. Dafür seien auch Streiks denkbar, denn "Loyalität ist auf Dauer keine Einbahnstraße. Die wilden Stellenabbau- und Kürzungspläne, mit denen der rot-rote Senat die Beschäftigten konfrontiert, spotten jeder Beschreibung und beabsichtigen de facto die Liquidierung des öffentlichen Dienstes. Das ist blinde Politik nach Kassenlage, und da machen wir nicht mit." Der Chef der Polizeigewerkschaft (GdP), Konrad Freiberg, sprach von einem "Amoklauf der Ministerpräsidenten." Susanne Stumpenhusen, Landesbezirksleiterin der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) Berlin-Brandenburg, scheint sogar an Realitätsverlust zu leiden: "Es ist auch überhaupt nicht einzusehen, warum die Situation hier in Berlin schlechter sein sollte als in anderen Bundesländern", erklärte sie im ARD-Fernsehen. Ende letzter Woche stimmten die Verbände ihr Vorgehen ab. Verdi, DBB, GEW und der DGB wollen weder einen Lohnverzicht, noch Streichungen beim Weihnachts- oder Urlaubsgeld hinnehmen.

Die Gewerkschaftsspitzen gingen auch auf Distanz zum Berliner Beamtenbund, der einem Lohnverzicht aufgeschlossen gegenübersteht. Die mitregierende PDS rudert nun ihrer Klientel hinterher. Statt den Initiator Klaus Wowereit zu attackieren, kritisieren die Genossen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Die Vorschläge dürften "kein Freibrief für Kürzungsorgien" sein, erklärte die PDS-Führung. Vielmehr solle die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden.

Wowereit scheint in Eintracht mit seiner Kieler Kollegin sogar massive Kündigungen nicht mehr auszuschließen. Er plant die Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 42 Stunden. Zudem werden keine neuen Lehrer eingestellt. Geplante Gehaltserhöhungen von zwei Prozent werden gestrichen.

Das Finanzloch konnte "Partymeister" Wowereit jedoch nicht daran hindern, seinen Abschied als Bundesratspräsident ordentlich zu feiern. Für 25.000 Euro lud er letzte Woche 300 Gäste zu einem Fest in den Comedy Club in der noblen Friedrichstraße.


 
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