© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Gleiches Recht auf Ressourcenverbrauch
UN-Klimakonferenz: Einmal mehr um den Erhalt von Natur und Umwelt bemüht / "Effizienzrevolution" nötig
Volker Kempf

Ziel der am 1. November 2002 zu Ende gegangenen UN-Klimakonfe-renz in Neu-Delhi war es, das Kyoto-Protokoll seinem Inkrafttreten näher zu bringen. In Kyoto wurde 1995 zu Protokoll genommen, daß Industriestaaten bis 2012 im Vergleich zu 1990 ihre Treibhausgase um 5,2 Prozent verringern sollen. Mit Kanada konnte in Neu-Delhi ein weiterer Unterzeichner des Protokolls gewonnen werden, nach dem man diesem Land schon in Vorkonferenzen das Zugeständnis gemacht hatte, die Kriterien zur Vertragserfüllung aufzuweichen.

Damit fehlt für das Inkrafttreten des Papiers nur noch Rußland, das 2001 trotz eines Bevölkerungsrückgangs um 0,6 Prozent ein "Wirtschaftswachstum" von 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr aufzuweisen hat. Auf diesem Weg kann Rußland keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten, selbst wenn es noch so gute Papiere unterschreibt. Und dieser Sachverhalt macht auch schon das ganze Dilemma der vielen Umweltkonferenzen offenkundig.

Die UN-Umweltkonferenzen sind der Erfahrung aus den 1960er Jahren entsprungen, daß sektorale Bemühungen um den Erhalt von Böden oder Fischbeständen unzureichend sind. Deshalb fand 1972 die erste Uno-Konferenz über die "menschliche Umwelt" in Stockholm statt. Willy Brandt schrieb 1979 im Vorwort des Berichts einer damals eingerichteten Nord-Süd-Kommission: "Wir wollen die Überzeugung deutlich machen, daß die beiden vor uns liegenden Jahrzehnte für die Menschheit von schicksalhafter Bedeutung sein werden." Die Zeit drängte Brandt zufolge, um die "Probleme globalen Ausmaßes" noch in den Griff zu bekommen. Acht Jahre verstrichen, ehe die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung ihren Brundtland-Bericht vorlegte. Hier sollte das "Thema wirtschaftliche Entwicklung und Umwelt" abschließend behandeln werden. Volker Hauff (SPD) erläutert im Vorwort zum Bericht: "Wir brauchen 'neues Wachstum' im Rahmen einer 'dauerhaften Entwicklung' unserer Welt."

Hier war schon der erste Widerspruch formuliert: Eine Entwicklung, namentlich ein "Wachstum", kann nicht dauerhaft sein. Also müßte gerade das Ziel der Dauerhaftigkeit von "Wachstum" aufgegeben werden, um Dauerhaftigkeit zu garantieren. Aber Hauff schreibt: "Der Begriff dauerhafte Entwicklung ist definiert als ein Entwicklungsweg - als ein Wachstumsprozeß -, der die Handlungsmöglichkeiten kommender Generationen nicht schon heute einschränkt." So soll am Fortschritts- bzw. Wachstumsdenken festgehalten werden. Die negativen Nebenwirkungen aber sollen verschwinden. So einfach geht das allerdings nicht, wie sich bald zeigen sollte.

1992 wurde auf der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro der Leitwert "nachhaltige Entwicklung" aufgestellt. Kritiker sprachen schon damals davon, die letzte Ausfahrt sei verpaßt worden. Einige Öko-Optimisten wie Friedbert Pflüger (CDU) verkündeten, "Der Planet wird gerettet", etwa dadurch, daß bald das zwanzigfache aus einem Faß Öl herausgeholt werde. "Effizienzrevolution" nennt man das heute. Solche Wunder sind allerdings nicht Realität geworden. Mit dem "Wirtschaftswachstum" expandierte fast ebenso der Verbrauch von Rohstoffen und Energie - und der Kohlendioxydausstoß, der das Klima aufheizt, gleich mit.

In Kyoto wurde 1995 zwar eine Reduktion von Treibhausgasemissionen fixiert. Die Entwicklung ging aber in die entgegengesetzte Richtung. Warum also einen Vertrag unterschreiben, wenn sich die Wirklichkeit nicht daran hält? Im September 2002 folgte der Haupteminent USA dieser Logik und weigerte sich, das Unmögliche möglich machen zu wollen. Bei der Wahl zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz entschied sich George W. Bush für ersteres. In anderen Ländern wie Deutschland sieht das ähnlich aus, nur wird dort so getan als seien damit noch immer hehre Klimaziele zu erreichen. Bundesumweltminister Jürgen Trittin versprach in Neu-Delhi - bezogen auf den Wert von 1990 - die Treibhausgase Deutschlands bis 2020 um 40 Prozent reduzieren zu wollen. Gleichzeitig soll aber die Wirtschaft weiter wachsen und der Trend des Bevölkerungswachstums nicht angetastet werden.

Wie das alles unter einen Hut gebracht werden kann, ist ein Rätsel, das durch eine angebliche "Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch" gelöst werden soll. Das ist entweder Wunschdenken oder bewußte Täuschung - wobei die USA als willkommener Sündenbock dienen.

Auch Entwicklungsländer denken nicht daran, sich ohne "Wirtschaftswachstum" zu entwickeln. Sie haben auch keinen Spielraum dafür. So sagte in Neu-Delhi der indische Regierungschef Atal Behari: "Wir glauben nicht, daß die ethischen Grundsätze der Demokratie irgendeine Norm stützen können außer der, daß alle die gleichen Pro-Kopf-Rechte auf weltweite Umweltressourcen haben."

In Indien liegt der geschätzte Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen um das sechzehnfache niedriger als in den USA. Allerdings ist die Bevölkerungszahl in Indien vier Mal so hoch wie die der Vereinigten Staaten von Amerika. Da die Bevölkerungszahlen auf den UN-Umweltkonferenzen aber außen vor bleiben, bleibt das Potential eines Klimaschutzbeitrages der Entwicklungsländer um so bescheidener. Gleichwohl sollen Industrieländer nun Maßnahmen zum Klimaschutz in ärmeren Ländern finanzieren und das auf ihr eigenes Klimakonto gutschreiben können. Das kann jedoch nur eine kleine Abnahme der Zunahme bringen.

Die einstmals von Bundeskanzler Willy Brandt genannten 20 Jahre sind derweil verflossen, das von ihm selbst gepflegte Wachstumsdenken ist geblieben. Das ganze Prozedere der letzten 30 Jahre war also kaum mehr als ein Klagelied über die Nebenwirkungen des "Wirtschaftswachstums". Ob in Neu-Delhi nun Ziele für die Zeit nach 2012 fixiert wurden oder - wie geschehen - nicht, ist da schon eine Nebensache.


 
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