© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
CD: Jazz
Legendäres
Michael Wiesberg

Seit Mitte September dieses Jahres ist der acht CDs umfassende Schuber "Consecration" des Bill Evans Trio erhältlich, der bei dem US-amerikanischen Musikverlag Milestone herausgebracht wurde und in Deutschland von ZYX Music Merenburg vertrieben wird. Für Freunde des im August 1929 in Plainfield/New Jersey geborenen Jazzpianistengenie William John ("Bill") Evans sind diese Aufnahmen, auf denen insgesamt siebeneinhalb Stunden Jazz zu hören sind, ein Muß.

"Consecration" ist die Ergänzung zu der im Jahre 2000 erschienenen Box "The last Waltz", die die letzten Aufnahmen von Bill Evans umfassen. Begleitet wird Evans von renommierten Musikerkollegen wie dem weltweit bekannten Bassisten Marc Johnson und dem bis heute unterschätzten Schlagzeuger Joe LaBarbera. Zu hören sind auf "Consecration" 24 Stücke, die Evans und seine Kollegen bei ihren letzten gemeinsamen Konzerten im Keystone Korner in San Francisco vom 31. August bis zum 7. September 1980 spielten. Obwohl Evans zu dieser Zeit schon schwer krank war und schließlich im Alter von nur 51 Jahren am 15. September 1980 an den Folgen eines Magendurchbruchs in New York starb, ist seinem Spiel von seiner schweren Krankheit nichts anzumerken.

"Consecration" wurde 1997 nur in Japan veröffentlicht, wo Balladen wie "My Romance" besonders populär sind. Die acht Scheiben beinhalten denn auch gleich sechs Versionen dieses Stücks von Rogers und Hart. In der Regel gelten die LaFaro/Motian-Livealben "At The Village Vanguard" und "Waltz For Debby" als Inbegriff des Schaffens des Genius Evans. In der Tat bedeuteten diese Alben für das Triospiel eine neue Ära und dokumentieren bis heute ein nicht mehr übertroffenes, traumwandlerisches Zusammenspiel. Nichtsdestoweniger bietet "Consecration" ungeachtet des nahen Todes von Evans Stücke von einer lebensbejahenden Frische.

Was die handwerkliche Qualität seines Spiels und die Höhe seiner Inspiration anbelangt, hat Bill Evans bis zuletzt keinen Beistand nötig gehabt. Diese Aufnahmen sind ein beredtes Zeugnis für das Urteil des Jazzkritikers Claus Ogermann, der Evans Spiel "die Auslassung alles Unnützen" und eine im Jazz "kaum noch zu findende Sensibilität" attestierte. Seine Sporen verdiente sich Evans zunächst im Miles-Davis-Quintett. Schon hier übte er einen Einfluß aus, von dem viele Jazzpianisten dieser Zeit tangiert worden sind. Seine unerschöpfliche Kreativität entfaltete Evans durch das von ihm entwickelte Trio-Konzept, das durch die Aufhebung der starren Rollenverteilung von Solo und Begleitung charakterisiert war. Kollegen urteilten, daß Evans Trio untereinander Gespräche führte, bei denen die Partner zart, fast seismographisch aufeinander reagierten.

Das sensible Spiel, das mit Blick auf Evans immer wieder gerühmt wird, verdankt sich einer subtilen Anschlagsdifferenzierung. Evans verbannte jede Routine-Intervallik aus seinen Melodien. Darüber hinaus war sein Spiel durch eine neuartige Kopplung von legato-Spiel mit einer bestenfalls nur angedeuteten Rhythmik gekennzeichnet. Diese Charakteristika waren es, die von Kritikern als "sophisticated" oder "intellektuell" bezeichnet worden sind.

Schon zu Lebzeiten war Evans vielfacher Poll-Sieger und Grammy-Preisträger. Alben wie "Conversations with myself" (1963), "Alone" (1967), "Live at Montreux Festival" (1968) oder "Bill Evans Album" (1972) gehören zu den Meilensteinen des Jazz. Ungebrochen ist Evans Einfluß auf Nachwuchspianisten. Warum das so ist, kann auf "Consecration" noch einmal nachvollzogen werden. Wer in die Musik des "definitiv Besten seiner Art", wie Fast-Namensvetter Gil Evans über Bill Evans urteilte, eintauchen will, ist mit "Consecration" bestens bedient.


 
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