© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Das deutsche Wesen
Theater: Peter Konwitschnys "Meistersinger"-Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper
Konrad Pfinke

Kurz vor Schluß passiert etwas, was noch in keiner "Meistersinger"-Aufführung stattfand: die Unterbrechung des Finales zugunsten einer Problemdiskussion über den Sinn der Worte "deutsch und echt", "wälscher Tand" und "deutsche Kunst". Da steigen die Meister aus dem Jubelfinale aus, um den Sänger des Sachs - "Du, Wolfgang" - darauf hinzuweisen, daß das ja alles heute so nicht mehr ginge: die Beschwörung des "deutschen Wesens".

Die Szene geht natürlich im Protest einiger Opernliebhaber unter, die es für einen größeren Skandal halten, öffentlich über den problematischen Casus zu debattieren (ein Casus, der so problematisch nicht ist, setzt man ihn nur in die historische Situation des Jahres 1865), als ein paar Minuten das Für und Wider dieser in den letzten Jahren zu einem unglücklichen Ruhm gekommenen Stelle zu diskutieren. Man mag lange darüber streiten, ob der Regisseur Peter Konwitschny recht hatte, die Unmöglichkeit einer "angemessenen" Inszenierung dieser "nationalistischen" Takte zum Thema selbst zu machen. Über die Qualität der Neuinszenierung wurde hier nicht mehr entschieden: sie war unabweislich.

Für Konwitschny geht es bei Wagners Parabel um den scheinbaren Widerstreit von Tradition und Innovation, in erster Linie um eine Komödie, die von großer Harmonie überwölbt wird - allein, es macht den Rang dieser Inszenierung aus, daß sie in den wesentlichen Momenten zu einer kaum noch steigerbaren Intensität findet. Werden die ersten beiden Akte sehr komödiantisch, sehr genau durchinszeniert, so explodieren - man kennt es nicht anders vom Meister der Gefühlsinszenierung - bei Konwitschny schließlich die Emotionen: eine intensivere Begegnung von Sachs, Eva und Stolzing dürfte kaum möglich sein. Man spürt, welch Spannungen das Entsagungsmotiv des älteren Mannes seine Enstehung verdankt, wenn sich Hans Sachs, vom Weinkrampf geschüttelt, im Schoß der jungen Frau vergräbt und diese ihn, immer noch hin- und hergerissen zwischen ihm und jenem jungen Mann, kaum zu trösten vermag.

Sonst aber setzt Konwitschny ganz auf die Komödie. Die Meister kommen im Barett und Samtrock des Meisters daher. Sie werden leicht ironisiert, sind aber keine denunzierten Deppen, sondern honorige Persönlichkeiten, die - auch da hat der Regisseur wie üblich genau auf die Musik gehört - am Ende des ersten Aktes ein fröhliches Tänzchen wagen. Ihre traditionsverhaftete Kunst ist, so die kluge Botschaft, notwendig, um Neues zu ermöglichen.

Beckmesser tritt mit einem wunderbar witzigen Harfenmädchen auf, das seine mimischen Kommentare zum Ständchen gibt, und Stolzing - eine Kopie des berühmten Selbstbildnisses von Albrecht Dürer - ist der lernfähige Haudegen, der so sicher seiner nicht ist: schön, wie er im zweiten Akt nicht den Tristan markiert, sondern die Gespenster der Meister jagt, bevor ihn Eva mit größter Zartheit auf den Boden der Tatsachen holt. Tristan und Isolde aber treten höchstselbst auf der Festwiese auf, zusammen mit ihren Kollegen, den Göttern und Helden der anderen Wagner-Opern, als wären sie einer Inszenierung aus dem Jahre 1902 entsprungen: ein köstlicher, Szenenbeifall provozierender Opernkarneval mitsamt den Käfern, die aus Dürers großem Rasenstück herauskommen, um im Walzer, sehr zart, sehr erotisch, den Lehrjungen zu umsummen.

Der hatte schon vorher so heftig mit seiner Magdalena geknutscht, wie sich der Ritter und seine Geliebte erste Zärtlichkeiten unter dem Podest erlauben: Die Liebenden entdecken sich in der Bedrängnis. Es wäre hier, auf der kleinen Bretterbude, die sich durch alle Akte zieht, fast alles Spaß auf Erden - wäre da nicht die Prügelei, die alle Maße sprengt. Auch hier beginnt der dritte Akt mit einem Bild des kriegszerstörten Nürnberg, Butzenland ist abgebrannt - aber das arg klischierte Bild, das schon allzuoft für die "Ideologiekritik" dieses Stücks herhalten mußte, es kommt bei Konwitschny wieder zu Relevanz, weil er es auch aus dem Geist des Wesentlichen, der Musik, begreift. Es paßt auf fast mystische Weise zum Vorspiel des letzten Aufzugs, das unter dem Dirigat Christoph Metzmachers silbern leuchtet: als wär's ein Stück des "Tristan". Abgeräumt wird der Prospekt während des Quintetts: denn wo die Kunst ist, wächst das Rettende auch - gewiß, ein Traum, aber er muß erlaubt sein.

Man hört übrigens schon im zweiten Akt die "Tristan"- und "Siegfried"-Töne heraus, die Wagner in der Partitur versteckte. Metzmacher setzt ganz auf die delikate Dramaturgie der Kontraste. Das Philharmonische Staatsorchester liefert ihm eine lichte, klare Interpretation: ein beglückendes Kammerspiel genauester Akzente.

Das Ensemble folgt ihnen auf wunderbare Weise: Wolfgang Schöne ist ein Sachs voller Wärme und Altersweisheit. Hans-Joachim Ketelsen bringt die mehr rhetorischen als ausgesprochen belcantistischen Tugenden seiner Stimme in einer sehr komödiantischen Interpretation schön zur Geltung, während mit John Treleaven ein Stolzing von Rang heranwächst: eine geschmeidiges, leicht an den jungen Pavarotti erinnerndes Timbre mit einer disziplinierten Kraft, die mühelos noch das Preislied meistert. Der David Jürgen Sachers läßt, weder stimmlich noch schauspielerisch, einen Wunsch offen. Schließlich Anja Harteros als Eva: eine wunderbar klare Höhe verbindet sich mit einem ansprechenden Ton, schauspielerischer Intensität, Stärke und Sensibilität bis zum letzten Triller. Gerade mit ihrer Kunst merkte man von neuem, daß Peter Konwitschny einer der wenigen Opernregisseure der Gegenwart ist, der Menschen, keine Figuren auf die Bühne stellt, der keine "Konzepte realisiert", sondern die einzig gültigen Geschichten erzählt: unsere.

Die nächsten Aufführungen an der Hamburgischen Staatsoper, Große Theaterstraße 35, finden statt am 13., 17., 21. und 27. November. Karten: 040 /35 68 68


 
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