© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Störche, Bernstein und deutsche Lieder
West- und Ostpreußen: Eine Schienenkreuzfahrt nach Marienburg, Danzig, Allenstein und Königsberg
Gertrud Richter

Als in der Zeitung von einer Schienenkreuzfahrt nach West- und Ostpreußen zu lesen war, regte sich die Neugier und die Erinnerung an die Erdkundestunden während der Schulzeit. Unsere Lehrerin erzählte so fesselnd von der für uns so fernen deutschen Heimat. Gerne war ich bereit, mitzureisen.

Mit dem Sonderzug "Hansa-Expreß" ging es über Berlin, Fürstenwalde und Frankfurt/Oder zunächst nach Posen. In einem guten Hotel verbrachten wir die Nacht. Nach einer Besichtigung der geschichtsträchtigen Stadt an der Warthe brachte uns der Zug über Gnesen, Hohensalza nach Thorn an der Weichsel. Wir besichtigten die guterhaltene Stadt und standen auch vor dem Geburtshaus des großen deutschen Astronomen Nikolaus Kopernikus, dessen Spur unsere Reise noch mehrfach kreuzte. Weiter ging es über Deutsch Eylau und Osterode nach Allenstein, dem "Tor nach Masuren". Am nächsten Tag waren wir mit Bussen unterwegs. Wir besuchten die Barockkirche von Heiligelinde, anschließend fuhren wir zur "Wolfsschanze" bei Rastenburg, wo Graf Stauffenberg das Attentat auf Hitler ausführte. Weiter ging es nach Lötzen. Durch eine unvergleichlich schöne Landschaft fuhren wir mit dem Schiff auf den Masurischen Seen bis Nikolaiken. Der Bus brachte uns wieder nach Allenstein in unser Hotel. Während der ganzen Fahrt beobachteten wir viele Störche auf den Wiesen und Feldern und in ihren Nestern auf Häusern, Türmen und Masten.

Tags darauf ging es weiter mit dem Zug über Mohrungen, Preußisch Holland, Elbing, am Frischen Haff entlang bis zur ermländischen Bischofsstadt Frauenburg, wo Kopernikus mehrere Jahrzehnte gewirkt hat und 1543 starb. Wir besuchten die Kathedrale, danach fuhren wir über Braunsberg, Heiligenbeil - hier gibt es noch eine Stacheldrahtgrenze zwischen dem polnischen und dem russischen Verwaltungsgebiet Ostpreußens - nach Königsberg, der alten ostpreußischen Hauptstadt. Dort gab es am Abend ein russisches Konzert im Dom, der sich noch im Wiederaufbau befindet.

Am nächsten Morgen besichtigten wir die Stadt: das wiedererrichtete Kant-Denkmal vor der Universität, das Kant-Grabmal, die Hafenanlagen und die neuerbaute evangelische Kirche. Straßenmusikanten spielten für uns das Ostpreußenlied "Land der dunklen Wälder" und andere deutsche Lieder, wie wir auch auf dem Bahnsteig mit Musik empfangen und verabschiedet wurden. Dann brachten uns die Busse zum Ostseebad Rauschen an der Samlandküste. Dort erlebten wir den bunten Badebetrieb am Strand unterhalb der Steilküste. Es wurde viel Bernstein zum Kauf angeboten. Nach einer weiteren Zugfahrt über Marienburg und Dirschau kamen wir am späten Abend in Danzig an, wo uns drei Übernachtungen in einem Hotel erwarteten.

Am anderen Tag brachten uns die Busse nach Eibing, von wo wir mit einem Schiff eine interessante "Treppen-Schiffahrt" in fünf Kanalabschnitten durch den Oberländischen Kanal erlebten. Die Fahrt führt durch ein einmaliges Naturschutzgebiet mit vielen Tieren und Pflanzen. An Aufzugsseilen und auf Schienen geht es von Abschnitt zu Abschnitt auf den "geneigten Ebenen" über Land (insgesamt über 100 Meter Höhenunterschied). Unser nächstes Ziel war die Marienburg an der Nogat. Wir besichtigten das mächtige Schloß des Deutschen Ordens; danach ging es zurück nach Danzig.

Tags darauf stand ein Gang durch Danzig auf dem Programm. Diese Stadt mit ihren liebenswerten Straßen und Gassen ist so stilecht deutsch, und man möchte länger dort verweilen, als wir es konnten. Am Nachmittag fuhren uns die Busse zur "Westernplatte" und dann in das Ostseebad Zoppot an der Danziger Bucht. Auf der überaus großen Schiffsanlegebrücke kann man weit hinauswandern. Kurz war danach die Fahrt nach Oliva zu einer berühmten Kirche, wo gleich vier Trauungen stattfanden. Während unserer ganzen Reise lachte die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Mehr als eine Woche wurden wir von freundlichen jungen Damen und Stadtführern begleitet und betreut, die alle sehr gut deutsch sprachen.

Ab Danzig fuhren wir mit dem Zug über Bromberg zurück in unsere Heimatorte. Noch einmal konnten wir die Landschaft in uns aufnehmen. Es sind riesige Gebiete, verhältnismäßig wenig bewohnt, still, unberührt und naturbelassen. Schöne Heimat West- und Ostpreußen! Wer sie besucht, wird belohnt.


 
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