© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
"Die Union muß auf konservative Werte setzen"
Jörg Schönbohm, Innenminister und Vize-Ministerpräsident von Brandenburg, über das "Tafelsilber" der Union, die drohende demographische Katastrophe der Deutschen und den Kampf gegen Rechts
Dieter Stein / Moritz Schwarz

Herr Minister, die CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel nennt als Gründe für die Niederlage der Union bei der Bundestagswahl den mangelnden Erfolg der Partei in urbanen Milieus und bei jungen Leuten. Eine Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (JF43/02) kommt dagegen zu dem Ergebnis, daß die Union bei ihrer Stammwählerschaft der über 60jährigen die entscheidenden Prozente verloren habe.

Schönbohm: Wir haben sowohl in den Großstädten Norddeutschlands erhebliche Defizite gehabt, als auch bei den über 60jährigen nur 45 Prozent Zustimmung erzielt, gegenüber mehr als 50 Prozent bei vergangenen Wahlen. Da aber letztere einen sehr großen Anteil des Wahlvolkes ausmachen, wiegen diese fünf Prozent sehr schwer. Als entscheidend erwiesen sich die verlogen anti-amerikanisch aufgezogene Irak-Frage und das August-Hochwasser. Daß Edmund Stoiber in seinem Kompetenzteam niemanden aufzuweisen hatte, der sozusagen den Umweltschutz repräsentiert hätte, betrachte ich dagegen rückwirkend als nicht so wahlentscheidend. Trotzdem ist und bleibt der Umweltschutz natürlich ein klassisch konservatives Thema. Dem müssen wir in Zukunft mehr Aufmerksamkeit widmen. Vergessen dürfen wir auch nicht die bereits erfolgten Einbürgerungen über den Doppelpaß. Ich unterstelle mal, daß es Rot-Grün dabei in erster Linie um wahltaktische Entscheidungen, nicht um Integration ging. Bei dem hauchdünnen Abstand zwischen Regierung und Opposition war auch diese neue Gruppe wahlentscheidend. Als weiterer Faktor muß das Antreten der Schill-Partei genannt werden, die immerhin fast ein Prozent bekommen hat. Wäre die nicht angetreten, dann sähen die Verhältnisse in Berlin heute ganz anders aus.

"Wir wollten Schill doch nicht aufwerten"

Wie erklären Sie sich den Verlust dieser möglicherweise entscheidenden Zehntelprozente an die Schill-Partei?

Schönbohm: Das ist zweifellos ein Punkt, über den wir nachdenken müssen. Die Union muß den Wählern, die sich von der in manchen Teilen Deutschlands schlechten Sicherheitslage verunsichert fühlen und zu Recht nach Gesetz und Ordnung rufen, klarmachen, daß ihr Anliegen auch das unsrige ist. Aber daneben müssen wir uns eben auch um die anderen Felder kümmern, also die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Sicherung der Sozialsysteme, den Umwelt- und Verbraucherschutz oder die Bedürfnisse urbaner Milieus. Jedoch wird der programmatische Spagat bei einer immer größeren Ausfächerung der Milieus und Lebensstile für eine Volkspartei nicht einfacher. Die Kunst liegt darin, den verschiedenen Gruppen auf der Basis unserer Grundüberzeugungen Politikangebote zu unterbreiten - daran müssen wir gerade als Volkspartei hart arbeiten.

Es war klar, daß die Union die Wähler der Schill-Partei bis zum 22. September nicht würde zurückgewinnen können. Wäre es da nicht schlauer gewesen, sie durch eine Kooperation mit Schill indirekt an die Union zu binden?

Schönbohm: Nein, wir wollen doch Schill nicht aufwerten. Die Schill-Partei ist ein auf Hamburg isoliertes Protestphänomen. Daher lohnt sich dort auch die Kooperation für die CDU, aber eben nur dort. Jetzt gilt es, die Schill-Wähler bis zur nächsten Wahl wieder davon zu überzeugen, daß sie bei der Union besser aufgehoben sind. Wir müssen uns auch um diese Wähler kümmern, ohne dabei auch nur einen Millimeter in der Mitte preiszugeben.

Sie betrachten Schill-Wähler also als "politischen Rand"?

Schönbohm: Im Ergebnis ja, obwohl Herr Schill wie die Union für Recht, Gesetz und Ordnung steht. Schill formuliert das alles nur etwas griffiger, was in Hamburg gut ankam. Denn die Menschen litten dort unter dem Eindruck, daß sich selbsternannte rot-grüne Sozialtherapeuten mehr um Kriminelle, als um die Interessen der rechtschaffenden Bürger kümmerten. Schill wirkte da als eine Art natürlich-konservatives Korrektiv. Seit dem 22. September halte ich das Thema Schill trotzdem bundesweit für erledigt.

In einem Interview mit dem "Spiegel" haben Sie Angela Merkel davor gewarnt, das "Tafelsilber zu verschleudern". Wo sehen Sie die weltanschaulichen Defizite der Union?

Schönbohm: Äußerungen Angela Merkels konnten so verstanden werden, der Union seien alle partnerschaftlichen Lebensformen gleich lieb und sie wolle allen, die sie auf Ehe und Familie als das Normale verpflichten wollten, die kalte Schulter zeigen. Dahinter sahen manche das Kalkül, so die "Patchwork"-Familien der Großstädte für die Union zu gewinnen. Ich halte diese Sichtweise aber für falsch. Die Union muß auf konservative Werte und damit auf die normale Familie setzen. Schließlich sind Ehe und Familie die Keimzelle unserer Gesellschaft und sichern unsere Zukunft und die kommender Generationen. Wenn einige andere Formen wählen, dann ist das deren Entscheidung, die wir akzeptieren. Ehe und Familie dürfen aber nicht durch Systeme abgelöst werden, deren Philosophien auf emotionaler und sozialer Beliebigkeit sowie fehlender Geborgenheit und Verläßlichkeit beruhen. Auf unserem Parteitag in Hannover hat Frau Merkel das auch festgestellt.

Natürlich akzeptiert die Union notgedrungen alternative Lebensentwürfe von Bürgern als deren private Entscheidung, aber wo bitte bleibt ihr aktives Streiten für den insgesamt besseren gesellschaftlichen Entwurf, die Ehe?

Schönbohm: Der Schein trügt, unsere Programmatik ist klar. Das Problem hängt damit zusammen, daß die SPD von Beginn an versuchte, Edmund Stoiber als Rechtsaußen zu brandmarken: Vielleicht erinnern Sie sich, die Sozialdemokraten schalteten Anzeigen, die einen leeren Bilderrahmen zeigten, Unterschrift: "Hier sehen Sie den Kanzlerkandidaten der Union. Sie können Ihn nicht sehen? Er steht zu weit rechts!" Nun muß man das im Zusammenhang mit dem zuvor von Herrn Thierse und anderen initiierten "Aufstand der Anständigen" sehen. Damit war die strategische Falle gestellt, in die die Union hineintappen sollte. Darauf haben wir mit einer Versachlichung des Wahlkampfes reagiert: Rot-Grün sollte in Sachauseinandersetzungen besiegt werden. Elbe-Hochwasser und enthemmtes Schüren von Kriegsangst haben unsere Strategie durchkreuzt.

Statt auf diesem Feld also einmal Trümpfe ausspielen zu können, blieb der Union erneut nichts anderes übrig, als auszuweichen. Die Union, ein "Ritter von der traurigen Gestalt"?

Schönbohm: Ich bitte Sie, wir sind doch nicht Don Quijote und resignieren. Wir haben eine Schlacht verloren, nicht aber den Feldzug. Die SPD hat im Wahlkampf in der Tat verschleiert, worum es Rot-Grün tatsächlich geht, nämlich in der zweiten Legislaturperiode ihr rot-grünes Gesellschaftsmodell zu vollenden. Die bisherigen Marksteine auf diesem Weg lauten: doppelte Staatsangehörigkeit, Zuwanderungsgesetz, Auflösung der Familie, Homo-Ehe, Erhöhung der Staatsquote, Zurückdrängung des Leistungsgedankens, Negation der Elitenbildung, Minderheitenpolitik zu Lasten der Mehrheit, Begrenzung der Wehrfähigkeit und Destabilisierung des Nato-Bündnisses. Hinzu kommen Ökosteuer, gestiegene Lohnnebenkosten, Rekordarbeitslosigkeit, Pleitewelle und und und... Für die Union heißt es deshalb, mit allen Mitteln diesen ideologisch vorgeprägten Weg in die Katastrophe abzuwenden.

"Die Union muß klarmachen, daß Kinder ein Glück sind"

Hinter der Krise unserer Sozialsysteme steht eine katastrophale demographische Entwicklung. Wieso macht die Union in diesem Zusammenhang nicht deutlich, daß die Familie kein angestaubtes Thema verschrobener Konservativer ist, sondern eine entscheidende Größe, wenn man die demographische Katastrophe noch abwenden will?

Schönbohm: In Ehe und Familie erfahren Kinder Zuwendung, Emotionalität und Geborgenheit. Sie erleben dort im Regelfall menschliche Verläßlichkeit und Gemeinschaft. Unser Problem ist, daß Kinder bei uns - und das besonders aus sozialdemokratischer Sicht - unterschwellig immer als ein Faktor dargestellt werden, der die Mutter daran hindert, sich selbst zu verwirklichen und einen Beruf zu ergreifen. Deshalb muß die Union klarmachen, daß Kinder ein Glück und eine Bereicherung des Lebens darstellen. Und wir müssen uns dazu bekennen, daß Menschen, die bereit sind für Familie und Kinder auf den Beruf zu verzichten, genauso wertvoll sind, wie die, die berufstätig sind.

"Viele Leben auf Kosten derer, die Kinder haben"

Meinhard Miegel, Leiter des Bonner "Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft" , warnt in seinem Buch "Die deformierte Gesellschaft.Wie die Deutschen ihre Wirklichkeit verdrängen" davor zu glauben, das Problem lasse sich durch die Erhöhung der sozialen Leistungen für die Familien lösen. Nach Miegel führt das lediglich zu trügerischen Strohfeuereffekten. Statt dessen müsse man endlich offen aussprechen, daß es fatalerweise zum Wesenskern unserer modernen Gesellschaft gehört, daß Kinder eben erst an zweiter Stelle kommen. Das heißt, alle materiellen Versuche, das Problem innerhalb unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses in den Griff zu bekommen, sind von vornherein vergeblich und bloße Augenwischerei.

Schönbohm: Ich kenne das Buch. Und genau das habe ich beschrieben, als ich eben sagte, Kinder gelten in unserer Gesellschaft zumindest unterschwellig als störender Faktor. Und dabei geht es nicht nur um die Rente oder die soziale Sicherung, sondern auch darum, daß - und so beschreibt es Herr Miegel auch - wir auf Grund unseres demographischen Schwundes in Zukunft nicht mehr genug Arbeitskräfte zur Verfügung haben werden, um unsere wirtschaftliche Potenz, die die Grundlage für unseren Wohlstand ist, sicherzustellen. Eine Antwort darauf kann sein, mehr Müttern die Möglichkeit zu geben, am Arbeitsprozeß teilzunehmen. Voraussetzung dafür ist aber, daß die Eltern ihre Kinder gut betreut wissen.

Womit wir eben doch wieder bei der Finanzierung angelangt wären. Die Menschen sind in erster Linie auf Lebensqualität, Freizeit, Konsum, etc. aus. Auch wenn sie mehr Gehalt und mehr Freizeit haben, werden sie deshalb nicht mehr Kinder bekommen. Brauchen wir Bevölkerungswachstum nicht vielleicht als festgeschriebenes Staatsziel?

Schönbohm: Nein! Die Menschen können wir uns nicht anders machen, als sie sind. Also müssen wir ihnen erklären, daß es um unsere gemeinsame Zukunft geht. Wer zahlt denn ihre Rente, wenn sie als Junggeselle alt werden? Leider verstehen viele immer noch nicht, daß sie auf Kosten derer leben, die heute viel Geld und Zeit in Kinder investieren.

Tatsächlich geht es nicht nur um Wohlstand und Rente, sondern - und das machen sich die Menschen nicht klar - um das Verschwinden der Deutschen als historische und soziale Kategorie, eben als Volk.

Schönbohm: Es ist richtig, daß wir in diesem Land eigentlich ernsthaft die Frage diskutieren müßten, ob wir wirklich das deutsche Volk schrittweise reduzieren wollen. Denn das wird in der Tat am Ende dieses Prozesses stehen. Wir würden sozusagen in den Staub der Geschichte fallen. Deshalb halte ich eben die Vorschläge zur Egalisierung aller Lebensformen für falsch und sehe gar die Pflicht, an der Familie festzuhalten. Dies gilt ebenso beim Thema Nation - schon darum, weil wir ohne die Nation die deutsche Einheit nicht erklären können. Und deshalb sind auch die heute gerne verlachten klassischen bürgerlichen Tugenden, wie Erziehung, Leistung und Verantwortung wieder so wichtig.

Mit dem, was Sie da sagen, müssen Sie sich doch in Ihrer Partei sehr einsam vorkommen: Denn außer Ihnen und Roland Koch fallen einem keine weiteren konservativen Führungskräfte von Format ein. Im Klartext: Der konservative Flügel in der Union, von dem immer wieder nebulös in der Presse die Rede ist, existiert doch gar nicht!

Schönbohm: Nein, das ist nicht richtig. Die Frage ist vielleicht, was verstehen Sie überhaupt unter einem "konservativen Flügel"? Natürlich bedeutet konservativer Flügel nicht, mit einem Stahlhelm auf dem Kopf herumzulaufen.

"Nationale Interessen statt der Irrlehre des Multikulturalismus"

Herr Minister, die erdrückende Mehrheit der Union teilt Ihre Positionen nicht. Was verstehen Sie denn unter konservativem Flügel?

Schönbohm: Die Konservativen waren einst gegen Industrialisierung, weil sie die daraus resultierende Entfremdung fürchteten. Sie waren gegen den Deutschen Zollverein und sie waren gegen die damalige deutsche Einheit, das Deutsche Reich. Das ist nicht mein Verständnis von Konservatismus. Konservativ bedeutet, unsere Gesellschaft auf der Basis unserer Erfahrung weiterzuentwickeln. Eine Weiterentwicklung können wir nicht verhindern, deshalb geht es darum, sie zu gestalten. Und darum bin ich auch kein Gegner der Globalisierung, allerdings fordere ich eine Globalisierung mit Augenmaß. Als Konservative sehe ich zum Beispiel all jene in der Fraktion, die sich in der eminent wichtigen Familienfrage zur programmatischen Familienpolitik der Union bekennen.

Im Programm der Union steht lediglich "Familie ist da, wo Kinder sind".

Schönbohm: Sie dürfen den folgenden Satz nicht einfach unterschlagen: Und "wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern sorgen", das heißt also, wo Verantwortung füreinander da ist.

Durch Adoption sind da dennoch die wildesten Modelle möglich, und folgerichtig wird in der entsprechenden Stelle im Programm der CDU/CSU auch auf die Erwähnung der Institution Ehe verzichtet. Warum?

Schönbohm: Die Ehe wird an anderer Stelle durchaus erwähnt. Aber Sie haben den Finger in die Wunde gelegt: Die Union hat aus der Sorge heraus, als altbacken dargestellt zu werden, Probleme, in der medialen Öffentlichkeit ihr Festhalten an der Ehe verständlich zu formulieren.

Noch mehr als im Falle der Ehe läßt sich die Union im Falle der Zuwanderung den Mund verbieten.

Schönbohm: Die Union läßt sich ganz bestimmt von niemandem den Mund verbieten. Verwechseln Sie bedachtes Handeln nicht mit Feigheit vor dem Feind. Entscheidend in der Sache aber ist, daß sich die Zuwanderung am nationalen Interesse orientieren muß und schon deshalb ist das rot-grüne Zuwanderungsgesetz völlig unausgereift. Es ist eine Verschränkung aus 68er-Ideologie und der linken Irrlehre des Multikulturalismus. In dem Gesetz werden die Integrationsvoraussetzungen nicht deutlich genug formuliert. Vor allem ist die Frage nicht beantwortet, warum wir, angesichts von vier Millionen Arbeitslosen, Zuwanderung überhaupt brauchen.

"Die NPD dient als Resonanzboden für den Antifa-Kampf"

Dieses Gesetz wird die Grundlagen unseres Landes maßgeblich und unwiderruflich beeinflussen. Haben Sie sich denn bei der Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat im März tatsächlich entschieden genug dagegen eingesetzt? Ihr lauer Protest gegenüber dem damaligen Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit, der die unterschiedlichen Voten von Ministerpräsident Stolpe und Ihnen zu gunsten der Vorlage wertete, scheint nicht dafür zu sprechen, daß Ihnen eine Verhinderung dieses Gesetzes wichtig war?

Schönbohm: Da war nichts lau. Die Situation ist im Grundgesetz klar definiert: Wenn eine Landesregierung nicht einheitlich abstimmt, können die Stimmen nicht gezählt werden. Schon das zweimalige Nachfragen des Präsidenten war deshalb unzulässig. Dennoch habe ich meine Position beim Nachfragen durch den Hinweis "Herr Präsident, Sie kennen meine Auffassung" noch einmal bekräftigt. Man muß wissen, daß ich bereits in meiner Rede zuvor angekündigt hatte, daß ich mit "Nein" Stimmen würde: "Ich sage dieses jetzt so deutlich Herr Präsident, damit kein Mißverständnis entsteht und Sie nachher nicht überrascht sind. Ersparen Sie uns eine Nachfrage ... die im übrigen rechtswidrig ist". Mein Satz "Sie kennen meine Auffassung" bezog sich daher sowohl auf das "Nein" in der Abstimmung, wie auch auf die Rechtswidrigkeit einer Nachfrage überhaupt. Ich hatte also der Eindeutigkeit meiner Ablehnung mehrfach und deutlich Ausdruck verliehen.

War aber nicht auch ein bißchen Taktik dabei, um die Koalition in Brandenburg zu retten?

Schönbohm: Nein, dann hätte einer von uns beim zweiten Mal geschwiegen. Es war kein abgesprochenes Schattenboxen, die Situation war todernst.

Als Innenpolitiker sind Sie auch mit der heiklen Frage von Parteienverboten befaßt: Viele Politiker befürworten ein Verbot der NPD, weil sie sich tatsächlich gegen unsere verfassungsmäßige Ordnung wendet. Andere aber erinnern daran, daß solche Parteien politisch bekämpft werden müssen. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Schönbohm: Grundsätzlich ist beides richtig, entscheidend ist aber der Einzelfall. Die NPD ist eindeutig verfassungsfeindlich und verkörpert dabei auch aggressiv-kämpferische Elemente. Parteienverbote sollten die Ausnahme sein. Ich habe schon immer die Meinung vertreten, daß ein Verbot der NPD problematisch ist - noch bevor es zu den aktuellen Querelen kam. Denn politisch ist die NPD ohne Bedeutung. Bedeutung hat sie allein in der öffentlichen Wahrnehmung, und die ist durch das Verbotsverfahren noch mal exorbitant gestiegen. Da wir den Weg nun aber eingeschlagen haben, müssen wir ihn auch bis zum Ende gehen.

Ebenso wie jene, die in der Ära McCarthy um des Rechtsstaates willen auf eine adäquate Behandlung der des Kommunismus verdächtigen Angeklagten beharrten und deshalb der Sympathie mit diesen Leuten bezichtigt wurden, macht sich heute verdächtig, wer im Falle der NPD an die Einhaltung der Normen von Anstand und Rechtsstaatlichkeit erinnert. Tatsache ist nämlich, bei allen berechtigten Überlegungen eines ordentlichen Verbotes der Partei, daß die NPD eine dauernde Diskriminierung ihrer demokratisch garantierten Rechte hinnehmen muß. Wäre die Partei nicht schon radikal, könnte man es - wenn auch nicht billigen - ihr kaum verdenken, daß sie sich in Anbetracht dieser Benachteiligungen radikalisiert.

Schönbohm: Sie sollten den Bock nicht zum Gärtner machen. Würde sich die NPD nicht extremistisch und aggressiv-kämpferisch aufführen, dann gäbe es weniger Probleme. Tatsache aber ist ebenso, daß die NPD nur allzu gerne als Resonanzboden für die Rituale des antifaschistischen Kampfes benutzt wird. Und so unappetitlich und kaum erträglich die Demonstrationen der NPD auch sein mögen, so haben wir sie doch im Regelfall nach Urteilen der Verwaltungsgerichte hinzunehmen. Wenn ich aber zum Beispiel sehe, daß am Volkstrauertag auf Soldatenfriedhöfen Rechtsextremisten aufmarschieren, dann finde ich das nicht mehr hinnehmbar. Es widert mich geradezu an, weil ich die Leistungen unserer Soldaten am Ende des Zweiten Weltkrieges, als sie in völlig aussichtsloser Lage die Flucht zigtausender Flüchtlinge nach Westen gedeckt haben, im höchsten Maße achte. Gewisse Orte wie Soldatenfriedhöfe, aber auch das Brandenburger Tor, sollten vor extremistischen Aufmärschen geschützt werden.

"Kampf gegen Rechts - dahinter stecken Thierse & Fischer"

Ist eine Einmischung ins Totengedenken anderer, vorausgesetzt die Totenruhe wird nicht gestört, in einem Rechtsstaat nicht ein Ding der Unmöglichkeit? Ein ähnliches Ansinnen bezüglich der jährlichen Luxemburg/Liebknecht-Demonstration der PDS auf dem Berliner Friedhof Friedrichsfelde würde - zu Recht - heftigen Widerspruch hervorrufen.

Schönbohm: Sie sollten hier nicht bemitleidenswerte Alt-SED-Kader, die sich mit dem Krückstock an einer Liebknecht-Büste vorbeischleppen, mit diesen militanten Glatzköpfen gleichsetzen. Ich kann und werde nicht akzeptieren, daß demonstrierende Rechtsextremisten mit Springerstiefeln auf den Gräbern gefallener Soldaten herumtrampeln. Es geht mir dabei gerade um die gedenkenden Angehörigen, die am Volkstrauertag auf dem Friedhof von solchen Demonstrationen nicht in ihrer Trauer gestört werden dürfen oder gar Angst haben müssen.

Das Andenken der Soldaten wird allerdings viel häufiger durch die beinahe flächendeckende Besudelung von Kriegerdenkmälern und die Schändung von Soldatengräbern beleidigt. Dagegen scheint das von Ihnen genannte Problem gering.

Schönbohm: Ich werde die Dinge mit Ihnen jetzt nicht gegeneinander aufrechnen. Was Sie eben beschrieben haben, sind Straftaten. Die haben wir verfolgt und die verfolgen wir. Und jede davon ist eine zutiefst verachtenswerte. Das hat aber nichts mit dem Versuch von Rechtsextremisten zu tun, Friedhöfe zu mißbrauchen, Totenruhe zu stören, trauernde Angehörige zu verschrecken und Geschichte auf dem Rücken Tausender Gefallener umdeuten zu wollen. Und nicht zuletzt geht es auch um das Ansehen unseres Volkes in der Welt.

Wie bewerten Sie das NPD-Verbotsverfahren unter dem Gesichtspunkt seines Anlasses, des Bombenattentates auf die Düsseldorfer S-Bahn-Station im Sommer 2000, das offenbar nicht auf das Konto von Rechtsextremisten geht?

Schönbohm: Ich habe bereits früher gesagt, daß ich es für unverantwortlich gehalten habe, sofort Rechtsextremisten für diese Tat verantwortlich zu machen, ohne irgendwelche Anhaltspunkte dafür zu haben. Dies gilt ebenso für den Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge einige Wochen später, der sich dann als Anschlag im Kontext des Palästina-Konfliktes herausstellte. Dennoch wurde nach dem S-Bahn-Attentat nicht zum Kampf gegen Rechtsextremismus, sondern zum "Kampf gegen Rechts" aufgerufen. Ich habe an solchen Veranstaltung allerdings nie teilgenommen, sondern klargemacht: "Ich nehme keine Kerze in die Hand, sondern das Schwert des Rechtsstaates". Diese Äußerung hat mir sehr viel Ärger eingebracht, was ja schon für sich spricht. Was da insgesamt wirkte, war verordneter, moralisch überhöhter Aktionismus und der wurde schließlich sogar noch parteipolitisch gegen die CDU instrumentalisiert. Die treibenden Kräfte dabei waren die Herren Thierse und Fischer.

"Die Unredlichkeit der 'Anständigen' empört mich"

Im Zuge des "Kampfes gegen Rechts" gelang es, die linksradikale These, der Rechtsextremismus komme "aus der Mitte der Gesellschaft", in der gesellschaftlichen Mitte zu verankern.

Schönbohm: Mit der heißen Phase des "Aufstandes Zuständiger und Anständiger gegen Rechts" stiegen die rechtsextrem motivierten Straftaten parallel sprunghaft an. Seit dem Abflauen des "Kampf gegen Rechts" sind auch diese Straftaten wieder klar rückläufig. Und jetzt stellt vor allem Herr Thierse diese These auf: Da der Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft komme, fände er nun verdeckt, nicht mehr offen statt. Was damit bezweckt werden soll ist klar: Nämlich den Diskurs der verschiedenen politischen Lager - der notwendig zu einer lebendigen Demokratie gehört - zu unterbinden, um das konservative Lager erneut matt zu setzten. Das alles ist schon erstaunlich. Denn gleichzeitig finden wir 13 Jahre nach dem Ende der Diktatur in einem Teil Deutschlands die Situation vor, wo Kommunisten und Ex-Stasi im Namen des "Aufstandes der Anständigen" gegen alles, was sich halbrechts von der Mitte befindet, politisch vorgehen. Das können wir nicht hinnehmen.

Hat die Union nicht auch Schuld an dieser Situation, so hat sie doch an der Großdemonstration "gegen Rechts" am 9. November 2000 in Berlin teilgenommen?

Schönbohm: Tatsächlich lief die Demonstration offiziell unter einem weniger verfänglichen Titel. Das bemerkenswerte bei dieser Veranstaltung war allerdings, daß der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, als Redner der Union Vorwürfe machte, die falsch und verletzend waren. Mich hatte das doch verwundert, weil ich Herrn Spiegel sehr schätze. Im übrigen fiel mir damals wie heute kein Innenminister der SPD ein, der so viel gegen Rechtsextremismus getan hat, wie wir seit Ende 1999 in Brandenburg. Oder lassen Sie mich mit Blick auf diese 2000er Großdemonstration ein ganz einfaches Beispiel nennen: Ich habe selbst einige Jugendclubs besucht, wo ich mit solchen irregeleiteten Jugendlichen diskutiert habe. Hätten sich all jene, die an dieser Demonstration teilgenommen haben, mal lieber den Problemen vor Ort gestellt, wäre bestimmt mehr erreicht worden. Genau das meinte ich mit dem Hinweis "Schwert statt Kerze". Es ist diese Unredlichkeit, die mich bei dieser Anstands-Inszenierung so empört! Ich wurde nämlich noch dafür kritisiert, daß ich es überhaupt gewagt hatte, diese Jugendclubs aufzusuchen. Man warf mir vor, ich hätte mit Rechten geredet.

Hat die Union inzwischen kapiert, daß es beim "Kampf gegen Rechts" nicht wirklich um das Problem des Rechtsextremismus geht, sondern darum, die Union unter Druck zu setzen?

Schönbohm: Ich bin sicher, daß das auch die Wohlmeinenden in der Partei spätestens mit dem 9. November 2000 eingesehen haben. Ein zweites Mal wird sich eine solche Situation nicht wiederholen.

Sie meinen, daß die Union nicht mehr wie damals gegen sich selbst demonstriert?

Schönbohm: Nochmal: Die Demonstration vom 9. November war unter einem durchaus vertrauenerweckenden Titel angekündigt. Das nächste Mal aber, wird sich die Union einem solchen in-die-Zange-nehmen verweigern.

Das glauben Sie wirklich?

Schönbohm: Ja.

"Wir sollten unbefangen stolz sein auf unser Land"

Sie sprachen eben von irregeleiteten Jugendlichen. Trägt die Gesellschaft nicht auch für dieses Phänomen insofern Verantwortung, als wir jungen Deutschen schließlich kein positives Deutschlandbild "an die Hand geben"? Natürlich stoßen Extremisten in dieses emotionale Vakuum nur allzu dankbar nach.

Schönbohm: Das ist richtig, und wir sollten nach allem, was wir seit dem Krieg und seit der Wende aufgebaut haben, endlich lernen, wieder unbefangen stolz auf unser Land sein zu können. Ich bringe das in meinen Reden auch stets zum Ausdruck. In den Schulen ist natürlich die Saat der 68er aufgegangen, aber ich weiß von Jugendlichen, die in den USA zu Besuch waren, wie sehr sie davon beeindruckt waren, wie dort alle morgens in der Schule mit großer Ernsthaftigkeit die Nationalhymne singen und wie selbstverständlich die Amerikaner mit dem Stolz auf ihr Land umgehen.

Von der Union kann man das aber nicht lernen, denken Sie nur an die Nie-wieder-Reaktion Edmund Stoibers bezüglich der Deutsche-Weg-Wortwahl des Bundeskanzlers in der Irak-Frage.

Schönbohm: Da gehen Sie aber ganz gewaltig Herrn Schröder auf den Leim. Schröder wollte damit nicht nationale Interessen vertreten, sondern der Mann - der vor 1989 gegen die deutsche Einheit war und der die zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter abschaffen wollte - hat nichts anderes als eine Wahlkampfnummer abgezogen. Vor allem hat er einen "deutschen Weg" gegen Europa eingeschlagen. Dagegen, nicht gegen einen wirklichen deutschen Weg hat sich Edmund Stoiber gewandt, denn tatsächlich verläuft der "echte" deutsche Weg nach Europa und in Richtung Atlantik. Ich gebe Ihnen aber insofern Recht, daß vor allem Wolfgang Schäuble sich immer sehr für die Nation eingesetzt hat - sonst vielleicht nur wenige. Die Union ist die Partei der Einheit und unsere nationale Einheit kann nicht ohne das Bekenntnis zur Nation vollendet werden.

 

Jörg Schönbohm, General a.D. ist Minister des Inneren und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Bis 1998 war er Innensenator in Berlin, seit 1999 führt er den CDU-Landesverband Brandenburg. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung trat 1957 in die Artillerietruppe ein und diente zuletzt als Inspekteur des Heeres. Schönbohm wurde 1937 in Neu-Golm/ Mark Brandenburg geboren.

 

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