© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Erwartungsgemäß harmlos
CDU-Parteitag: Statt der Strategiedebatte gab es in Hannover nur eine "Debatte um die Debatte" / Führungsriege gewählt
Melanie Walter

Alle Konzepte für die Bewältigung tagespolitischer Probleme taugen nichts, wenn die Grundsatzfragen nicht gelöst werden. Knapp zwei Monate nach der verlorenen Bundestagswahl ist die CDU dazu aufgefordert, in sich zu gehen. Es geht um das Selbstverständnis einer großen Volkspartei, die unschlüssig und zaudernd zwischen Zeitgeist und Meinungstrends, die sie nicht selbst gemacht hat und ihre eigenen christlich-konservativen Wurzeln zu suchen scheint. Viele Mitglieder und Freunde der CDU schauten deshalb besonders erwartungsvoll nach Hannover. Am vergangenen Montag fand hier der 16. Bundesparteitag der CDU statt.

Es war vor allem der Parteitag der Angela Merkel. Wichtigster Punkt auf der Tagesordnung blieb die Wiederwahl der Parteivorsitzenden. Die 49jährige wurde zwar dann auch mit überwältigender Mehrheit in ihrem Amt bestätigt, aber dieses Mal stimmten nicht mehr so viel Delegierte für sie, wie bei der letzten Wahl. Von 796 gültigen Stimmen konnte sie 746 auf sich vereinigen. 50 stimmten gegen sie. Das entspricht einer Zustimmung von 93,7 Prozent 160 der 978 eingetragenen Delegierten beteiligten sich überhaupt nicht an der Abstimmung. Vergaßen sie die Wahl aus reiner Nachlässigkeit oder wollten sie sie ganz bewußt vergessen?

Alles in allem ein etwas schlechteres Ergebnis als bei ihrer ersten Wahl im April 2000. Damals hatten 2,2 Prozent mehr für sie gestimmt. Der Essener Parteitag stand damals unter dem Einfluß der CDU-Spendenaffäre. Bei der Wahl der vier Stellvertreter machten die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan, der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Christoph Böhr, Jürgen Rüttgers (Nordrhein- Westfalen) und Christian Wulff (Niedersachsen) das Rennen. Mit 93,8 Prozent erzielte Schavan das beste Wahlergebnis. Böhr ist neuer Vize. Er übernahm den Posten des früheren Verteidigungsministers Volker Rühe. Bei der Wahl des siebenköpfigen Parteipräsidiums schnitt der von Angela Merkel entmachtete Ex-Fraktionschef Friedrich Merz mit 93,6 Prozent der Stimmen am besten ab. Außerdem wurden noch 26 Mitglieder des Parteivorstands gewählt. Zuvor hatte die alte neue Parteichefin in ihrer Grundsatzrede inhaltlich wie strategisch kaum neue Akzente gesetzt. Lediglich im Bereich Gesundheit und Rente kündigte sie mehr Engagement an. Hier soll eine innerparteiliche Reformkommission eingesetzt werden. Angela Merkel hatte sich für diesen Parteitag etwas anderes vorgenommen. Sie rechnete mit dem politischen Gegner ab und erreichte dabei bisweilen eine überraschende rhetorische Bril- lanz: "Die Menschen wurden getäuscht wie nie und die Menschen sind enttäuscht wie nie. Deutschland ist im Herbst des Jahres 2002 an einem weiteren Tiefpunkt der Nachkriegsgeschichte angekommen - wirtschaftlich, sozial und moralisch." Für diese allumfassende Krise sei allein Gerhard Schröder verantwortlich.

Angela Merkel forderte den "Abschied von der Politik des Augenblicks" und die Hinwendung zu mehr längerfristigem Denken. Zwar brauche Politik auch "kurzfristiges Ereignismanagement", wie es Schröder betreibe, "aber nicht allein". Politik habe statt dessen die Aufgabe, "Weichen zu stellen" und "über den Tellerrand des Hier und Jetzt" hinauszublicken. Getreu der Devise "Jede Schwäche der Regierung ist eine Stärke der Opposition" vermochte Angela Merkel den Finger präzise in die Wunden der rot-grünen Regierung zu legen. Sie rief die Bürger in Hessen und Niedersachsen dazu auf, die Landtagswahlen zu einer "Denkzettel-Wahl" für Rot-Grün zu machen. "Sie haben die Chance, zu sagen: Danke Kanzler, jetzt reicht es."

Die von Schröder eingeleitete Wirtschafts- und Sozialpolitik sei ebenso gescheitert wie die Familien- und Gesundheitspolitik. Die Politik von Rot-Grün bestrafe systematisch die Leistungsträger der Gesellschaft. Der Bundeskanzler habe "keine Richtung", "keine Linie und ziemlich wenig Kompetenz". Zum neuen Leitmotiv erklärte die Vorsitzende daher "die Rückkehr des Politischen". Im Bereich der Familienpolitik bedeute das eine klare Absage an "eine kulturelle Revolution der Gleichmacherei mit der Gießkanne".

Für einen solchen Frontalangriff konnte jede interne Richtungsdebatte nur hinderlich sein. Deshalb fand die im Vorfeld des Parteitages von verschiedenen Seiten eingeforderte Strategiedebatte nicht statt.

Der Vorsitzende der Jungen Union etwa, Philipp Mißfelder, hatte sich vor dem Parteitag wiederholt kritisch zum Erscheinungsbild der Partei geäußert. Aber auch von ihm kam nicht wirklich etwas Neues. Er kritisierte, daß die CDU "offensichtlich für junge Frauen nicht wählbar" sei. Die Ergebnisse der Bundestagswahl hätten gezeigt, daß die CDU besonders schlecht bei Jungwählern, jungen Frauen und in Großstädten abgeschnitten hatte. Damit saß auch er der oberflächlichen Analyse der Partei nach der verlorenen Wahl auf. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigte im Gegensatz dazu, daß die Wahl nicht durch die jungen weiblichen Städter, sondern durch den Stimmenverlust bei den Wählerschichten über 60 verloren wurde. Doch dies war ihm offensichtlich unbekannt.

Eher am Rande des Parteitags gab daher es so etwas wie eine Debatte um die Debatte. Deren hochoffizieller Tenor war allerdings eindeutig: Strategische wie programmatische Fragen sollen erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar 2003 erörtert werden. Die Wahlen werden für die Partei wie für die derzeit so mächtige Frau an ihrer Spitze entscheidend sein. Wahlsiege würden die Union zwar insgesamt stärken, gleichzeitig aber die Wahlsieger Roland Koch und Christian Wulf gegenüber ihrer Vorsitzenden stärken. Die Ankündigung dieser neuen Standortbestimmung blieb gewohnt vage und brachte nichts Konkretes. Statt dessen gab es von der Parteivorsitzenden knapp zwei Monate nach der verlorenen Bundestagswahl nur einen Appell zu Geschlossenheit und Wandel. Angela Merkel beendete ihre mit zahlreichen Zitaten illustrierte Rede mit der Beschwörung eines "christdemokratischen Zeitalters". Das war noch mehr Balsam für konservative Ohren.

Die Neujustierung der Partei müsse erfolgen, ohne das "konservative Tafelsilber" zu veräußern Deutliche Absage an eine Single-Gesellschaft, Hinwendung zu Heimat, Familie, Religion und Gemeinschaft - das war es, was der in der Vergangenheit von der Parteiführung so stiefmütterlich behandelte konservative Flügel hören wollte.

Die Worte "Ich habe keine Angst vor dem Zeitgeist, ich will ihn prägen und gestalten" lassen den Anspruch der Union erahnen, in Zukunft wieder mehr die öffentliche Meinung prägen zu wollen. Wie schon an anderen Stellen ihrer Rede brachte Angela Merkel aber auch hier viel Allgemeines und wenig Konkretes.

Die Wähler wissen deshalb kaum besser als vorher, in welche Richtung sich die CDU nun jenseits aller Lippenbekenntnisse wirklich bewegt. Erwartungsgemäß fiel die große Strategiedebatte in Hannover ebenso aus wie eine Analyse der Wahlschlappe am 22. September.

Am Ende der gut einstündigen Rede der Parteivorsitzenden waren dann auch die Beifallsbekundungen nicht so frenetisch, wie noch in den Zeiten vor der Bundestagswahl. Dennoch war klar, daß die einzige Siegerin der Bundestagswahl in der Union gesprochen hatte. Nach der Erringung des Vorsitzes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor wenigen Wochen konnte sie auf dem Parteitag einen weiteren Erfolg einfahren und ihre Position als unumstrittene Chefin in Partei und Fraktion weiter festigen. Die wenigen parteiinternen Konkurrenten wie Friedrich Merz, Roland Koch und Christian Wulff konnte sie weiter auf Abstand halten. Symbolcharakter für den gesamten Parteitag hatte ein Geschenk, das Angela Merkel vom niedersächsischen Spitzenkandidaten Christian Wulff überreicht bekam: ein Fahrrad mit der Aufschrift "Number One". Es ist mit einem Kompaß ausgestattet, damit Angela Merkel in Zukunft die richtige Richtung findet.


 
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